Wagner, Alexander, „Gleicherweiß als wasser das feuer, also verlösche almuse die sünd“. Frühneuzeitliche Fürsorge- und Bettelgesetzgebung der geistlichen Kurfürstentümer Köln und Trier (= Schriften zur Rechtsgeschichte 153). Duncker & Humblot, Berlin 2011. 431 S. Besprochen von Werner Schubert.
Ziel der Untersuchungen Wagners ist es, „Unterschiede und Gemeinsamkeiten der territorialen Armenfürsorgegesetzgebung der geistlichen Fürstentümer Köln und Trier herauszuarbeiten“ (S. 390). Dabei geht es zunächst um die Begründung der „staatlichen Kompetenzen im Bereich der Armenfürsorgegesetzgebung“ (S. 25), welche die Sicherung der menschlichen Existenz „durch staatliche Kontrolle und Verwaltung“ (S. 26) bezweckte. Wagner geht aus von der mittelalterlichen Fürsorgetheorie (Verdienstlichkeit der Spenden nach der Almosenlehre des Aquinaten; legistische Jurisprudenz der Kommentatorenzeit) und von den Bettelordnungen Nürnbergs von 1370 und 1478 (S. 45ff.). Die Befugnis zum Betteln wurde an die Erlangung von Bettelscheinen geknüpft, wobei fremde und auswärtige Arme vom Betteln ausgeschlossen wurden. Hinzu kam eine Kontrolle der Spitäler. Die Nürnberger Almosenordnung von 1522 (S. 56), die Wagner nicht mehr detailliert behandelt, wurde von zahlreichen Reichsstädten übernommen. Die Versorgungsreform wurde vom „kontrollierten Bettel“ auf eine „zentralisierte Zuteilung von Unterstützung“ umgestellt. Gegenstand eines weiteren Abschnitts sind die Fürsorgekonzepte des Humanismus, die Ypener Armenordnung von 1525, das darauf aufbauende Edikt Karls V von 1531 für die habsburgisch-niederländischen Städte und die theoretische Durchdringung des Ypener Fürsorgemodells durch den spanischen Humanisten Vives (S. 58ff.). Die protestantischen Armen- und Kastenordnungen gingen aus von der Zurückweisung der „Verdienstlichkeit des Almosens“ als „formale Werkgerechtigkeit“ (S. 66ff.). Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 stellten den „Anfangs- und Endpunkt der Aktivität des Reichs“ auf dem Gebiet der Fürsorgegesetzgebung dar (S. 82). Obwohl das Reichsrecht hinter den Fürsorgekonzepten des partikularen Rechts des 16. Jahrhunderts zurückblieb, hatten die Reichspolizeiordnungen im Ganzen eine Initiationswirkung auf die Territorialherrschaft.
Die folgenden Teile der Darstellung behandeln die Fürsorgegesetzgebung in den Kurfürstentümern Trier und Köln in jeweils drei sich auf das 16., 17. und 18. Jahrhundert beziehenden Kapiteln, unterbrochen durch einen Abschnitt über die rechtstheoretische Durchdringung des Armenfürsorgerechts im 17. Jahrhundert (S. 163-169). Bahnbrechend für Trier waren die fortschrittliche Armenordnung von 1533 und ihre Umsetzung insbesondere im Trierer Stadtrecht. Die Armenfürsorge wurde auf die Kommunen übertragen und von der kurfürstlichen Verwaltung kontrolliert. Das katholische Verständnis des Almosens als Mittel der Buße und gutem Werk blieb bestehen (S. 93ff.); jedoch trat zunehmend die Gefahrenabwehr in den Vordergrund (keine Duldung fremder Bettler). Der Bettel war, wenn auch mit nicht unwesentlichen Ausnahmen insbesondere für die Bettelorden, keine zulässige Versorgungsform mehr, ohne dass das individuelle Almosenspenden verboten wurde. Die Unterstützungsleistungen erfolgten aus dem Vermögen der Städte und der Hospitäler sowie aus dem Almosenstock (zentrale Almosenkasse der einzelnen Pfarreien). Die Gesetzgebung des Kurfürstentums Köln setzte zwar die Reichspolizeiordnungen zeitnah um, führte jedoch nicht zur Ablösung des Bettels als Versorgungsform (abgesehen von Armenkassen für Bergleute) und zur Umstellung auf kontrollierte Zuteilungen (S. 134-162). – Für das 17. Jahrhundert finden sich für das Erzbistum Trier nur wenige Gesetze zum Fürsorgerecht (S. 170ff.). Insbesondere war in der Stadt Trier der Bettel neben der Almosenzahlung für den hierzu berechtigten Personenkreis eine anerkannte Versorgungsform (S. 173, 177). Breiter war dagegen die Gesetzgebung im Erzbistum Köln (Provinzialsynoden, Bergordnung von 1609; Polizeiordnungen; Verordnung der Stadt Bonn von 1697/98. – S. 177-208). Zentralisierte Armenkassen finden sich erst ab 1662. Maßnahmen gegen umherziehende und nicht landesangehörige Arme wurden verschärft. Der Bettel blieb für die nicht arbeitsfähigen Armen weiterhin eine zulässige Versorgungsform. – Für das 18. Jahrhundert fanden im Kurfürstentum Trier seit 1729 mehrere Reformen der Armenfürsorge statt (1729 Reform der Hospitalfürsorge; Armenordnung von 1736 unter dem Kurfürsten Johann Philipp und Armenordnung von 1768). Für diese Zeit lässt sich ein fließender Übergang von einer Begrenzung des Bettels bis zu seinem grundsätzlichen Verbot feststellen (S. 218, 283f.). Das Verbot der direkten Spende führte zu einem Verlust der persönlichen Beziehung zwischen dem Empfänger und dem Spender, welch letzterer bei direkter Almosenspende schließlich bestraft werden konnte (S. 304f., 248). Die Arbeitsstrafe für harte, arbeitsfähige Bettler wurde nunmehr vollzogen in dem 1776 gegründeten Arbeits- und Zuchthaus in Koblenz (S. 296ff.; hierzu auch ausführlich Doris Schirra, Zucht- und Arbeitshäuser als Institution der Fürsorge und Strafrechtspflege, Magisterarbeit 1997, S. 69-162; dies., in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte, 28. Jg. [2002], S. 237ff.). Die repressiven Maßnahmen wurden durch Umsetzung insbesondere der supraterritorialen Gesetzgebung der Reichskreise verschärft (S. 267ff.). Die christlich geprägte Legitimationssemantik (S. 287) wurde zunehmend abgelöst durch den Gedanken der Gefahrenabwehr und landesherrlichen Fürsorgepflicht (S. 393). Gleichwohl kam es nicht zur Einführung einer in der Rechtsliteratur befürworteten (direkten) Armensteuer, so dass weiterhin die christliche Nächstenliebe das „Fundament und zugleich die Schranke des Fürsorgesystems“ blieb (S. 318). Für das Erzbistum Köln analysiert Wagner insbesondere die einzelnen Polizeiordnungen für das Erzstift und für Westfalen (S. 319-389). Die Abschaffung des Bettels als Versorgungsform erfolgte erst 1784 (S. 368ff.). Dagegen wurde bereits 1736 ein Stock- und Zuchthaus in Kaiserswerth begründet, das in den 70er Jahren nach Bonn und 1794 nach Neuss verlegt (S. 375f.) wurde.
Das Werk wird abgeschlossen mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse, wobei die strukturellen und inhaltlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Trier und Köln herausgestellt werden. Der Abschnitt über die Besonderheiten im Vergleich zu anderen Territorien fällt relativ knapp aus (S. 399). Nach Wagner weist in der Gesamtbetrachtung die Fürsorgegesetzgebung der Erzstifte Trier und Koblenz „keine wesentlichen Abweichungen in der Entwicklung in den anderen Territorien im Reich“ auf (S. 399). Damit ist auch der immer noch verbreiteten „Tendenz zur Annahme der Rückständigkeit katholischer, speziell geistlicher Territorien“ (S. 28) die Grundlage entzogen. Jedoch hätte dies etwas detaillierter begründet werden sollen. Obwohl von der Zielsetzung des Werks nicht mehr umfasst, wäre auch im Hinblick auf eventuelle Folgewirkungen des alten Rechts ein Ausblick auf die Ablösung der kurfürstlichen Fürsorge- und Bettelgesetzgebung durch das französische Fürsorgerecht sowie auf das Schicksal des französischen Rechts in der Rheinprovinz seit 1814 aufschlussreich gewesen. Das Hauptverdienst des Werks Wagners, das sich auf die Normebene der Armenfürsorge konzentriert (S. 31), besteht in der detaillierten Analyse der Einzelregelungen der Fürsorgegesetzgebung in den Kurfürstentümern Trier und Köln. Der Erkenntnisgewinn wurde „durch den Vergleich der beiden Kurfürstentümer untereinander und mit der Gesetzgebung in Europa und im Reich erzielt“(S. 31), welch letzteres für das 17. und 18. Jahrhundert nur noch partiell erfolgt. Mit dem im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 600 „Fremdheit und Armut“ an der Universität Trier unter Franz Dorn entstandenen Werk liegt erstmals eine umfassende rechtshistorische Untersuchung der frühen neuzeitlichen Fürsorgegesetzgebung am Beispiel des Rechts der Kurfürstentümer Trier und Köln vor.
Kiel |
Werner Schubert |