Ammerer,
Gerhard, Das Ende für Schwert und Galgen? Legislativer Prozess und
öffentlicher Diskurs zur Reduzierung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren
unter Joseph II. (1781-1787) (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs
Sonderband 11). Studienverlag, Innsbruck 2010. 633 S. Besprochen von Thomas
Olechowski.
Die vorliegende Habilitationsschrift, mit welcher der
Salzburger Historiker Gerhard Ammerer seine venia 2009 um das Fach
„Rechtsgeschichte“ erweitert hat, hat ein Thema zum Gegenstand, das im
Allgemeinen so bekannt ist, dass man sich nur wundern kann, dass erst jetzt
eine umfassende Monographie vorliegt, welche die bis dahin noch offenen
Forschungslücken geschlossen und so manche Legende in das Reich derselben
verwiesen hat. Zentrales Anliegen des Verfassers ist, nachzuweisen, dass die
viel gerühmte Abschaffung der Todesstrafe durch Joseph II. weder eine
vollständige war, noch zu einer Humanisierung des Strafrechts beigetragen hat –
und dies ist ihm auch in ausgezeichneter Weise gelungen.
Nach einigen allgemeinen Feststellungen zur Todesstrafe und
deren Aktualität im 21. Jahrhundert setzt die Darstellung mit der Constitutio
Criminalis Theresiana von 1768/1769 ein, die noch ganz den Geist der Frühen
Neuzeit atmete: „Verbrennen, Rädern und Vierteilen sowie Zusatzstrafen am
lebenden und toten Körper wie etwa das Zwicken mit glühenden Zangen oder das
Abtrennen und Ausstellen von Körperteilen am Ort des Richtplatzes – und das zu
einem Zeitpunkt, als in der zeitgenössischen Literatur über die Zulässigkeit
verschärfter Todesstrafen schon eine nahezu einheitliche ablehnende Meinung
herrschte und auch bereits begonnen worden war, diese Sanktionen per se zur
Disposition zu stellen“ (41). Besonders wird auf die Rolle Beccarias und
Sonnenfels‘ aufmerksam gemacht, die sich schon unter Maria Theresia für eine
teilweise Aufhebung der Todesstrafe stark gemacht hatten, was von der Regentin
jedoch 1778 abschlägig entschieden wurde.
Kurz nach dem Antritt seiner Alleinherrschaft nahm sich
Joseph II. des Themas erneut an, und zwar auf mehreren Ebenen: Zum einen setzte
er am 26. Februar 1781 eine aus drei Räten der Obersten Justizstelle – Carl
Anton von Martini, Josef Ferdinand von Holger und Franz Georg von Keeß –
bestehende Kommission ein, zum zweiten verfügte er am 9. März, dass vorläufig
Todesstrafen nicht zu vollstrecken seien. Dieses Provisorium sollte für die
Dauer bis zur Sanktion eines neuen Strafgesetzes gelten, was sich jedoch
verzögerte, sodass mehr als sechs Jahre ein – unter modernen, rechtsstaatlichen
Gesichtspunkten – problematischer Schwebezustand geschaffen wurde, in dem die
Todesstrafe formal noch bestand, nur eben nicht exekutiert wurde, wovon der
absolute Monarch jedoch wieder Ausnahmen machen konnte, wie insbesondere im
„Fall Zahlheim“: Der Beamte Franz v. Zahlheim war wegen Mordes zum Tode
verurteilt worden, die Vollstreckung wurde diesmal jedoch nicht ausgesetzt,
sondern Zahlheim am 10. März 1786 gerädert, was in der Bevölkerung „ungeheures
Aufsehen“ erregte. Ammerer erklärt diesen Sonderfall vor allem damit, dass es
sich beim Delinquenten um einen Beamten handelte, an die Joseph II. bekanntlich
ganz besonders hohe moralische Ansprüche stellte.
Die Kommissionsmitglieder gingen mit viel Engagement an die
Sache und legten dem Kaiser bereits im März 1783 einen ersten Entwurf vor. Doch
die darauf folgende Resolution vom 10. April machte „sämtliche Planungen der
Juristen zunichte“; offenbar war Joseph ins Zweifeln gekommen, ob man den
„immer bedenklichen Schritt, ein neues Kriminalgesetzbuch zu verfassen“ wagen
solle oder nicht doch eine Novellierung der CCTh genüge (297f.). „Wie die
Protokolle der Kompilationshofkommission zeigen, ließ der Elan der Juristen
nach der ersten fehlgeschlagenen Fertigstellung der Kriminalnormen schlagartig
nach“, stellt Ammerer fest (302) und ist der – gut nachvollziehbaren – Ansicht,
dass es erst die Italienreise Kaiser Josephs (Dezember 1783 – März 1784) war,
die in dem Monarchen den definitiven Entschluss reifen ließ, die Todesstrafe
abzuschaffen. Denn kurz danach, im April 1784, wurden die Arbeiten an einem
vollständig neuen Gesetzbuch wieder aufgenommen. Dieser italienische Einfluss
wird an vielen Stellen des Gesetzgebungsprozesses deutlich – so hatte die
Kommission schon zuvor auf das vorbildliche Gefängniswesen in Pisa hingewiesen
und ihrem Bericht auch genaue Zeichnungen beigelegt (welche S. 100ff auch
wiedergegeben werden); in einem besonderen Kapitel widmet sich Ammerer dem
toskanischen Strafgesetzbuch, das Josephs II. Bruder, der nachmalige Kaiser
Leopold II., erlassen hatte. Die toskanischen Arbeiten hatten doppelt so lange
wie in Österreich gedauert, die Diskussionen wurden hier aber auch durch
empirisch gewonnene und statistisch ausgewertete Daten aus der toskanischen
Strafpraxis unterstützt (!). Dennoch blieb die „Leopoldina ... in ihrer
Endfassung im Vergleich zum josephinischen Strafgesetz wesentlich
unsystematischer und unvollständiger“ (328).
1786 konnte das große Werk vollendet werden; Joseph von
Sonnenfels, der Vater der Legistik, wurde beauftragt, das gesamte Gesetzbuch
noch stilistisch zu überarbeiten, bevor es am 13. Jänner 1787 als „Allgemeine
Gesetz über Verbrechen, und derselben Bestrafung“ sanktioniert wurde.
In der Praxis ergaben sich nicht unerhebliche
Anwendungsschwierigkeiten. „Die amtierende, im gewohnten maria-theresianischen
Gesetzbuch heimische Kriminalrichtergeneration .... war damit nicht vertraut,
die Urteile in der vorgeschriebenen Exaktheit zu formulieren. ... So vergaßen
sie mitunter, im Urteil die Dauer der Kerkerhaft, den Ort der Strafverbüßung
oder die Art der Zwangsarbeit zu bestimmen“ (373). Die notwendigen
authentischen Interpretationen wurden meist nicht vom Landesfürsten persönlich
vorgenommen, beachtenswert hierbei eine Anfrage aus Böhmen bezüglich der
„fehlenden“ Bestimmungen zu Zauberei und Hexerei sowie die Antwort aus Wien,
die den „nulla-poena-sine-lege-Grundsatz“ hervorhob. Große Probleme
bereitete ferner die „katastrophale Situation bei der Unterbringung von
Sträflingen“ (379); die – hoffnungslos überfüllten – Anstalten waren oftmals
zugleich Arbeits- und Strafanstalt, Armen-, Waisen- und Irrenhaus! Neben
Sicherheitsproblemen bedeutete dies Mängel bei Ausstattung und Verpflegung.
Das wichtigste Kapitel der ganzen Monographie betrifft die
Frage nach der angeblichen Abschaffung der Todesstrafe durch das josephinische
Strafgesetz. Hier wird zunächst auf die Strafe des Schiffziehens eingegangen,
die – nachdem sie z. B. schon von Sonnenfels in seinen „Grundsätzen der
Polizei“ erwähnt worden war – 1783 von Joseph II. als neue Strafart eingeführt
wurde, de facto (nicht de iure) als Ersatz für die Todesstrafe. Die schwere
körperliche Arbeit, das stundenlange Waten im Wasser, das Anbehalten der nassen
Kleider, das (angekettete) Übernachten auf freiem Feld sowie die mangelhafte
Ernährung führten innerhalb von maximal zwei Jahren zum qualvollen Tod der
Verurteilten. Das Generalkommando in Peterwardein erstattete Bericht an den
Kaiser, um vor den Missständen zu warnen, dieser jedoch verwendete den Bericht
gerade umgekehrt zu „Propagandazwecken“ (391) und veröffentlichte ihn samt
allen abschreckenden Details. Es war ihm nämlich von anderer Seite vorgeworfen
worden, dass das Schicksal der Verurteilten unbekannt sei und die
generalpräventive Wirkung fehle! – In einem zweiten Abschnitt wird über
Brandmarkung im Gesicht und schwere Kerkerstrafe in Eisen berichtet und dies
als „Todesstrafe auf Raten“ (392) bezeichnet. Trotz der Bedenken der Wiener
medizinischen Fakultät hielt Joseph II. an diesen Maßnahmen fest, da sie
ohnedies nur todeswürdige Verbrecher, die keine Rücksicht verdienen, betreffe.
John Howard wird der Ausspruch zugeschrieben: „Ich wollte mich lieber in
England aufhängen lassen, als in einem ihre [sic] Kerker leben“ (395). –
Schließlich wird auch die „Todesstrafe auf legislativem ‚Umweg’“ (396)
behandelt: Das josephinische Strafgesetz beseitigte die Todesstrafe nämlich
nicht gänzlich, sondern nur für das ordentliche Verfahren. Im standrechtlichen
Verfahren sollte sie weiterhin, und zwar durch den Strang, stattfinden (§ 20
JStG; dieser sollte für jede Hinrichtung neu errichtet und danach wieder
abmontiert werden). Somit verschwanden unter Joseph II. tatsächlich alle
anderen Hinrichtungsarten, nicht jedoch die Todesstrafe an sich, und durch die
Kriminalgerichtsordnung wurde der Anwendungsbereich noch erheblich ausgeweitet.
Wenn Raub, Mord und Brandlegung „um sich griffen“, konnte eine ganze Region zur
„Krisenregion“ erklärt und das Standrecht verhängt werden, und zwar nicht nur
durch den Kaiser, sondern auch durch untergeordnete Organe, was namentlich in
der Zeit der napoleonischen Kriege von großer Bedeutung war.
Ein Ausblick bis 1803 rundet die Arbeit ab: Die
Kompilationshofkommission wurde 1790 von Leopold II. aufgelöst und durch die
Hofkommission in Gesetzessachen ersetzt, 1793 erschien ein Entwurf für ein
neues Strafgesetz im Druck. Die sog. Jakobinerprozesse gaben dann den Anlass
für das Hofdekret vom 2. Jänner 1795, mit dem die Todesstrafe auch im ordentlichen
Verfahren wieder eingeführt und dann im Strafgesetzbuch 1803 auch beibehalten
wurde; bemerkenswert hier insbesondere die Todesstrafe für das Herstellen und
Ausgeben gefälschter Kreditpapiere oder Bancozettel. Dennoch zeigt die
Statistik, dass, mit Einrechnung der Todesopfer unter den Arbeitssträflingen,
unter dem neuen Regime weniger Personen zu Tode kamen als in der
theresianischen oder josephinischen Epoche.
In seinem „Resümee“ kommt der Verfasser zum Schluss, dass es
dem Kaiser bei seiner Strafrechtsreform keineswegs um eine „Humanisierung“ des
Strafrechtes ging, sondern ganz im Gegenteil, „1. das Strafensystem – nach
Angemessenheit – zu verschärfen und die Sanktionen vor allem ökonomisch
sinnvoll sowie generalpräventiv-publikumswirksam auszugestalten sowie 2. Macht
und Gewalt weiter zu monopolisieren, wie es lange davor bereits Jean Bodins
Souveränitätslehre und Niccolò Machiavellis ‚Il principe’ vorgegeben hatten und
durch den Kontraktualismus als Herrschaftsordnungskonstrukt untermauert worden
war“ (435).
An den Text schließt sich ein umfangreicher Quellenanhang an
(437–561). Es handelt sich um Archivalien des Österreichischen Staatsarchivs,
die für den Text von großer Bedeutung waren, wie insbesondere Gutachten von
Holger, Martini und ganz besonders von Keeß, die geradezu das Zentrum der
Darstellung bilden.
In die vorliegende Arbeit ist aber noch weit mehr als das im
Anhang wiedergegebene Archivmaterial, und zwar aus vielen verstreuten Archiven,
eingeflossen. Es wurde gemeinsam mit den gedruckten Quellen und der
umfangreichen Sekundärliteratur lege artis ausgewertet. (Die 2009 fertig
gestellte, umfassende Joseph-Biographie von Derek Beales fand leider keinen
Eingang in den Text mehr.) Die wichtigste Erkenntnis Ammerers ist zweifellos
die, dass von einer Humanisierung des Strafrechts unter Joseph II. in keiner
Weise die Rede sein kann; vielmehr „kamen beim Vollzug der schweren
Kerker-Ersatzstrafen und der Sanktion des Schiffzugs in kürzester Zeit
wesentlich mehr Menschen ums Leben, als unter Maria Theresia durch Schwert und
Galgen hingerichtet worden waren“ (434). Die Arbeit liefert aber auch sehr
bedeutsame Einblicke in die Gesetzgebungspraxis im 18. Jahrhundert und zur
Persönlichkeit Josephs II., der mit seinen einsam getroffenen Entscheidungen
seine Berater mehr als einmal vor den Kopf stieß. Die überhastete Art, in der
er seine Reformen anging, war ein Hauptgrund für das letztliche Scheitern
vieler seiner Reformen. Diese Einsichten sind zwar nicht völlig neu, werden
aber hier anhand von konkretem Quellenmaterial eindrucksvoll bestätigt. Somit
hat es Ammerer geschafft, eine Monographie zu schreiben, die ein ebenso
wertvoller Beitrag zur Geschichte des Strafrechts ist wie zur Geschichte des
Josephinismus.
Wien Thomas
Olechowski