Schmoeckel, Mathias, Auf der Suche nach der verlorenen Ordnung. 2000 Jahre Recht in Europa. Ein Überblick. Böhlau, Köln 2005. XIX, 600 S., 364 Abb. Besprochen von Marcel Senn.

 

I. Der Bonner Rechtshistoriker Mathias Schmoeckel hat sich mit Untersuchungen zum mittelalterlichen Beweisrecht des Strafverfahrens sowie zur Juristischen Zeitgeschichte im Umfeld des Nationalsozialismus und der geschichtlichen Grundlagen des Bürgerlichen Gesetzbuchs als kompetenter Forscher vorgestellt. Nunmehr legt er ein rechtsgeschichtliches Lehrbuch vor.

 

Schmoeckel will „die europäische Rechtsgeschichte wie ein Konzert“ der unterschiedlichen politischen Gebilde und Ideen darlegen und verabscheut die „nationale Geschichtstradition als unerträgliche Fiktion“ (S. 5ff.). Es geht ihm um den „roten Faden“ im Verständnis der unterschiedlichen Konzeptionen von Recht, den er anhand von Lebensläufen, Visualisierungen und Quellenauszügen von der Römerzeit bis in die Gegenwart mit einem besonderen Schwerpunkt auf dem Rheinland als „Schmelztiegel der Kulturen“ nachvollziehen will. Leitmotiv bildet die „Suche nach der verlorenen Ordnung“ in der Dialektik von Chaos und Norm, die das menschliche Leben prägten (3ff.). Auch wenn sich die Dinge der Menschen nur begrenzt verschieden ordnen liessen, so spielten die gesellschaftlichen Wertungen doch eine entscheidende Rolle, weshalb es in der geschichtlichen Darstellung nicht nur um die Technizität im Sinn der Rechtswissenschaft, sondern auch um einen Kommunikationsprozess über Recht gehe. Deshalb könne Recht nie nur im Sinn einer stringenten Evolution verstanden werden, denn Recht sei eine „Kulturerscheinung“.

 

Schmoeckel gliedert den 518 Seiten umfassenden Haupttext seines Lehrbuchs in fünf bezifferte Themen, die überschrieben sind mit: Der römische Bürger, der Sünder, der Mensch als Rechtssubjekt, der Homo oeconomicus und der Verbraucher. Diese Themen untergliedert er in 23 durchgehende und mit Buchstaben bis und mit Y bezeichnete Abschnitte. In 12 der insgesamt 23 Abschnitte erscheint der Ordnungsbegriff in der jeweiligen Überschrift.

 

II. 1. Der „römische Bürger“ bildet das erste Thema. Ausgehend vom „goldenen Zeitalter“ römischer Herrschaft, in dessen Zivilisation die Lehre des „Hochverräters aus Galiläa“ eingebunden wird, folgt die Völkerwanderung der Ost- und Westgoten sowie der „Burgunden“ (sic). Daran schließt die Darstellung Ostroms sowie ein Unterabschnitt über die Langobarden. Dieser letzte Abschnitt endet mit einer für die Legesforschung allgemein geltenden Bemerkung betreffend ihre historiographische Qualifizierung. Zu Recht problematisiert Schmoeckel die Bezeichnung der Stammesrechte als „leges barbarorum“, erklärt indessen nicht, woher diese Bezeichnung stammt, was wohl Aufklärung dazu brächte. Nun wird die Geschichte der Franken unter dem „Eroberungstrieb Chlodwigs“ (55) anschaulich erzählt; sie endet mit der Taufe Chlodwigs zum „ersten katholischen Herrscher“ (58). In diese Darstellung werden zugleich die Klöster als „think tanks“ eingeflochten, obwohl diese mit dem Frankenreich im Besonderen wohl kaum etwas zu tun haben. Unverständlich, weil unerklärt, bleibt die Einfügung des Bildes „Mémoire du Baptème de Clovis“, eines Plakats von 1900; wir können nur erahnen, dass die Geschichte Chlodwigs offenbar auch einen Gegenwartsbezug für die Franzosen im 20. Jahrhunderts gehabt haben muss. Anhand der Lex Salica erklärt der Autor nun die Funktionsweise des Bußensystems exemplarisch. Diese Erläuterungen erscheinen nach dem Stand der aktuellen Legesforschung diskutabel. Denn weder ging es um „Fachtermini germanischer Provenienz“ (60), die Germanen waren ja nicht Wissenschafter, noch darum, „die Schuld des Angeklagten vollständig zu ermitteln“ (62), was erst ein Thema des Spätmittelalters wird; auch ging es nicht darum, aus Gründen der Praktikabilität auf „ein obrigkeitliches Strafrecht“ (63) zu verzichten – was ein funktionierendes Staatswesen voraussetzte, das es so nicht gab –, oder um einen Fortschritt (sic!), wenn statt einer Todesstrafe eine Buße ausgefällt wurde (ebd.), weil die Bußenkatalogen nicht Strafe bzw. Strafrecht darstellen. Unverständlich bleibt auch hier die kommentarlose Einfügung eines Bildes zum Zweikampf des Frühmittelalters, das zwei  königliche Lohnkämpfer aus dem 15. Jahrhundert darstellt (Abb. 33).

 

Wie bei der Beurteilung der Leges das staatliche Strafrecht der Neuzeit die Interpretationskriterien vorgibt, so wird auch die Geschichte vom Verfall des Merowingerreiches unter ahistorischen Kategorien bzw. Termini vom „privaten Eigentum“ oder der „Einheit des Territoriums in öffentlich rechtlicher Hinsicht“ (65f.) präsentiert. Erneut illustriert ein unpassendes und nicht erläutertes Bild, immerhin der St. Galler-Klosterplan (Abb. 38), den Themenbereich. Darauf folgen allerdings eine gelungene Darstellung der Grundherrschaft, die gerade an dieser Stelle, auch ihren eigentlichen Sinn hat, sowie eine überzeugende Darstellung der Renovatio Imperii.

 

Bereits bei der Darstellung dieses ersten Themas werden zwei Probleme des Lehrbuches manifest: Titel und Bilder passen nicht immer zum Text bzw. sie werden kontextuell nicht zusammengestellt; schließlich werden die Begriffe bzw. Kategorien nicht immer historisch korrekt oder geschickt gewählt.

 

2. Das zweite große Thema des Buches ist mit „der Sünder“ überschrieben. Es setzt die Thematik Stabilisierungsbemühungen der Reichspolitik fort, wobei der Darstellung das Gegensatzpaar Kirche/Papst und Reich/Kaiser offensichtlich, aber nicht explizit zugrunde gelegt worden ist. Nur kurz und eher beiläufig wird dann auch noch angedeutet, was unter der Kategorie „Sünder“, die immerhin dem gesamten Kapitel die Thematik aufprägen soll, im Übergang zum Hochmittelalter zu verstehen sei, nämlich, dass die Kirche das christliche Leben vorschreiben wollte und für die Verstöße sog. Beichtgespräche vorsah (98). Damit hat man sich zu begnügen; das Stichwort „Sünde/r“ fehlt aber auch im Register.

 

Wiederum prägnant werden die Grundlagen des Kirchenrechts erklärt. Ob der Begriff „Staat“ für die Bildung von Stammeslanden hier zutreffend eingesetzt ist, muss bezweifelt werden; bemerkenswert jedenfalls ist, dass der Autor selbst den Begriff weder erklärt, noch ihn in seinen Ausführungen verwendet. Darauf folgt unter der Überschrift „Festigung der königlichen Herrschaft um 1000“ eine Darlegung, die sich bis ins 14. Jahrhundert erstreckt. Diese Ausführungen zum Reich der Ottonen, des Adels und des Lehnsystems entsprechen den bekannten Darstellungen, wie sie in anderen Lehrbüchern auch vorkommen, sie werden indes mit kurzen Ausblicken auf Eigenheiten in Frankreich und England verdienstvoll bereichert und in bewusste Abgrenzung zu „Deutschland“ (sic! 122) gesetzt. Erneut stößt man sich aber an der unbedachten Wortwahl, die doch zu vermeiden gewesen wäre, denn der Autor spricht sonst von Mitteleuropa oder vom Reich, wie auch ein Blick auf die Karte zum Hochmittelalter (S. 106, Abb. 62) zeigt. Sollten indessen die „deutschen“ Verhältnisse spezifisch thematisiert werden, dann wäre es angemessener, vom „regnum Teutonicum“, also dem Reich der Deutschen, zu sprechen wie etwa Dietmar Willoweit (Verfassungsgeschichte, 6 II). Ich thematisiere diesen Aspekt nur deshalb eigens, weil ich glaube, dass sich hier eines der zentralen Probleme des Lehrbuches eröffnet: Schmoeckel will zwar ein Buch zu Europa schreiben, entfaltet aber seine konkreten Ausführungen jedenfalls ab dem Spätmittelalter immer stärker mit Bezug auf eben dieses Deutschland. Dies zeigt sich auch darin, dass – bevor die Geschichte zum Gegensatzpaar Kirche/Reich fortgesetzt wird –, der Autor die deutsche Stadtrechtsgeschichte und zwar etwa so wie Hans Planitz thematisiert, als ob dieses Genre uneuropäisch gewesen wäre. Der Einbezug der Städteentwicklung während der Osterweiterung des Reiches behebt diesen Mangel nicht, denn diese Erweiterung stellt einen Kolonialisierungsvorgang des Regnum Teutonicum dar.

 

Nun folgt nochmals ein Abschnitt zur Geschichte des Investiturstreits, weil – so die Begründung für den Einbezug an dieser Stelle – die Regulierung des Verhältnisses zwischen Reich und Kirche im Jahre 1122 der erste Ordnungsschritt durch „ratio und auctoritas“ im Mittelalter gewesen sein soll (133). Man fragt sich mit Blick auf die Themen der Leges oder Reichsverwaltung des Frühmittelalters, ob es denn zuvor wirklich keine Rationalität bzw. Autorität gegeben habe? Bezweifelt werden darf auch, dass das Wormser Konkordat den „ersten publizistischen und wissenschaftlichen Streit um die staatsrechtliche Organisation Europas“ darstelle (138). Doch weitaus schwerwiegender erscheint mir der Umstand, dass der Autor die Jahrhunderte währenden, intensiven Rationalisierungsbestrebungen um verfassungsmässigen Frieden und reichsweite Sanktionspraxen durch die Gottes- und Landfrieden bloß beiläufig (104f., 195) vorträgt. Gerade diese Bestrebungen erfüllen die Kriterien der Ordnung durch eine autoritative Vernunft, wie sie der Autor sucht. Diese Unterlassung halte ich denn auch für einen gravierenden Mangel im Kapitel zum Mittelalter. Doch die Assoziationstechnik des Autors lässt einen vom Investiturstreit nun zum Thema der Rechtswissenschaft weitereilen.

 

Die Ausführungen zu Wissenschaft und Universität überzeugen mich weitgehend. Sie zeigen im Sinne Paul Koschakers nochmals die Bedeutung der Rechtswissenschaft für Europa. Den Unterabschnitt über die „Erfindung der Universität“ (150ff.) finde ich besonders gut, weil er sehr anschaulich die Entwicklung der Institution Universität dem Adressatenkreis der Studierenden näherbringt. Ebenso begrüße ich die vermittelnde Sicht zur Scholastik als einer Methodologie zwischen Theologie, Kanonistik und Legistik und auch die emanzipatorische Darstellung des „mos italicus“ (157ff.). Ferner ist die Darstellung zum „ius commune“ zu loben, insbesondere weil der Autor die landläufige Darstellung von England als Sonderfall in diesem geläufigen Kontext problematisiert und dem Thema zumindest eine längst notwendige Korrektur – wenn auch nur in einem Satze – verpasst (170). Und endlich wird die „Magna Charta“ nicht als der erste demokratische Freiheitsbrief oder dergleichen dargestellt (171, 191f.).

 

Unübersichtlicher wird es hingegen wieder beim Thema der „intellektuellen Zuspitzungen“, wo die Begriffe der Kodifikation und Kompilation zu wenig deutlich auseinander gehalten werden. Im Fettdruck werden unter dem Stichwort der Kodifikationsbewegung (173) weltliche Erlasse wie die Konstitutionen von Melfi oder wissenschaftliche Darstellungen der Rechtspraxis in England erwähnt; man fragt sich aber, weshalb hier nicht auch die Kanonistik etwa mit dem Liber Extra erwähnt wird? In denselben Abschnitt wird - allerdings nicht im Fettdruck - die Kompilation des Sachsenspiegels und des Schwabenspiegels eingelassen. Gewiss sind beide Rechtsbücher auch bedeutende Rechtsaufzeichnungen, aber deswegen wohl noch nicht „intellektuelle Zuspitzungen“. Dadurch zerfließen die klaren Konturen der Begriffe von Kompilation und Kodifikation unnötig. Zwischen den Rechtsaufzeichnungen des Nordens und den süditalienischen oder spanischen Gesetzgebungen bestehen hinsichtlich Intention, Urheberschaft, Materialbasis und Wirkungsmacht völlig unterschiedliche Regelungskulturen. Wenn nämlich vom Staat im weltlichen Bereich des hohen Mittelalters (so Heinrich Mitteis) überhaupt irgendwo gesprochen werden kann, dann im Königreich Sizilien. Sizilien war die imperiale, kulturelle und ökonomische Drehscheibe zwischen dem islamisch-arabischen, jüdischen und abendländisch-christlichen Mittelmeerraum bis ins Hochmittelalter; diese Funktion war das Ergebnis aus einer Handels- und Wissenschaftstradition, die seit der Antike über das Frühmittelalter fortgesetzt und vor dem Hintergrund der Kreuzzüge – ein Stichwort, das man bei Schmoeckel ebenfalls vergeblich sucht – intensiviert wurde; und auch nur hier wurde um 1200 in der Nähe zum Reich wirklich ein Staat aufgebaut und geführt. Kaiser Friedrich II. hatte wohl die für sein Königreich Sizilien 1231 erlassenen Konstitutionen vor Augen, als er in der Arenga des Mainzer Reichslandfriedens von 1235 die alte Gerichtspraxis im Reich als rechtlich unattraktiv bezeichnete und die mangelnde Transparenz des Verfahrens rügte. Schmoeckel stellt Friedrich indessen nur als den Schützer der Juden dar, weil er das Institut der kaiserlichen Kammerknechtschaft ab 1236 weiterführte (179); unerwähnt bleibt dabei, dass er den kurz zuvor ergangenen päpstlichen Erlass, der in den Liber Extra Eingang fand, zum Vorbild hatte. Immerhin erfährt man über das Register als weitere rühmenswerte Taten, dass Friedrich auch Gründer der Universität Napoli war (155), mehrere Städte (127, 130) und die (geistlichen) Kurfürsten privilegierte (199f.) und dass er den Streit mit dem Papst wagte, was zu seiner Exkommunikation geführt habe (182; seine mehrfache Exkommunikation bleibt unerwähnt). Gerade auch diese Wahrnehmung einer doch so zentralen und kompetenten Führungspersönlichkeit des Mittelalters wie Friedrich II. unterstreicht den kompilatorischen Charakter des Lehrbuches.

 

Auf die Darstellung des Judenregals folgt nun wieder eine andere Teilgeschichte, nämlich die zur „Zwei-Schwerter-Lehre“, die etwas verloren dasteht. Schon ein Rückverweis auf die S. 96f. abgehandelte Entstehungsgeschichte in der Spätantike hätte Binnenkontext geschaffen. Stattdessen folgen im gleichen Spaltenabsatz Ausführungen zu Aristoteles’ Ansicht vom „zoon politikon“ (179) und danach zu Thomas und den Franziskanern, bevor der Blick wieder zum Papsttum zurückschwenkt. Diese Darstellungsfelder finden auf knapp vier Seiten Platz (181-184), desgleichen dann die das Kapitel abschliessenden Ausführungen zur Reichsreform (226-230). Dazwischen gibt es allerdings unter dem Stichwort des „frischen Windes“ nochmals zwei Einschübe zur Stadtrechtsgeschichte betreffend die „Freien“ und die „Pfahlbürger“. Die Ausführungen zur städtischen Freiheit entsprechen ungefähr dem Verständnis der liberalen Historiographie; die Definition des Wortes „Pfahlbürger“ – Bürger, die einen Pfahl in der Stadt aufstellen (215) – dürfte mutmaßlich aus dem etymologischen Artikel von Ruth Schmidt-Wiegand im „Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte“ missverständlich verdichtet worden sein (215, vgl. stattdessen Bader/Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 459f.).

 

3. Mit der Thematik der Säkularisierung tritt nun „der Mensch als Rechtssubjekt“ für das nächste etwas schlankere Themenkapitel auf die rechtshistorische Bühne und zwar zunächst in der Erscheinung zahlreicher Nobiles der verschiedenen Wissenschaften, deren wesentliche Aussagen in Kurzform und zahlreichen Konterfeis geboten werden. Dann werden Reformation und Gesetzgebung im Territorialstaat präsentiert, ohne die viel diskutierte Problematik der Konfessionalisierung (ein Stichwort, das man bei Schmoeckel wieder vergeblich sucht) zu erfassen. Es folgen knappe Ausführungen zum Absolutismus und dann die weitere Entwicklung des Reiches nach dem Dreißigjährigen Krieg. Nebst den Hexen wird auch die Thematik der Rezeption aufgegriffen. Diesem Begriff steht der Autor jedoch mehr als skeptisch gegenüber (262-264). Seine Begründung für die Skepsis kann ich indes nicht recht nachvollziehen. Zum einen führt er die Gründe der Professionalisierung und Verwissenschaftlichung an, die eben gerade für den heute gebräuchlichen Begriff sprächen, zum anderen fasst er die Rezeption als eine „durchgängige“ und somit unprofilierte Performation des römischen Rechts auf. Vertritt der Autor also eine Argumentationslinie wie jene Romanisten, die behaupten, das heutige europäische Privatrecht sei römisch gewachsen?

 

4. Was der Titel des Buches verspricht, nämlich eine Geschichte der Ordnung des Rechts in Europa vorzulegen, dünnt sich im Folgenden leider immer weiter aus. Die letzten 300 Jahre der Zeitrechnung werden nunmehr nur noch als deutsche Rechtsgeschichte dargestellt mit  Ausnahme des Abschnitts über den Legal Realism (443ff.), wofür es in diesem Kontext aber keine Notwendigkeit gibt. Die gesamte Darstellung der Neuzeit erstreckt sich auf das bereits erwähnte Thema „Deutschland“. Gewiss, am Ende des Buches wird auf immerhin dreizehn Seiten noch die neueste Rechtsentwicklung unter den Direktiven von UNO und EU angesprochen (512–527). Doch dies hat einerseits mit Globalisierung zu tun und anderseits macht auch das halbe Dutzend Angelsachsen und Romanen unter den Naturrechtlern noch kein vereintes Europa!

 

So sehr ich dem Autor beipflichte, dass die Nationalgeschichte eine unnötige (nicht unbedingt „unerträgliche“) Fiktion sei, so inakzeptabel erscheint es mir aber umgekehrt, dass er diese gleichsam durch die Hintertür wieder einführt. Ist es denn nicht auch eine „unerträgliche Fiktion“ (6), wenn die deutsche gleichsam still zur europäischen Rechtsgeschichte mutiert?

 

III. Die Tragik oder das Dilemma dieses Buches ist es, ein Panoptikum von der Antike bis in die Gegenwart bieten zu wollen, dabei aber auf weite Strecken oberflächlich bleiben zu müssen, weil der eng bemessene Darstellungsraum dies nicht anders zulässt. Schmoeckel legt in dem Sinne eine Kompilation von Wissensstoff vor, die mit knappen Informationseinheiten operiert und die durch mehr als 300 kleine schwarz-weiß Bilder und Schemen sowie einigen wenigen Quellentexten zu einer, wie er sagt (5), Geschichte des Gleichzeitigen und Ungleichzeitigen sowie des Allgemeinen und Besonderen des Rechts verbunden werden soll.

 

Hier fehlt jedoch offensichtlich die Kohärenz in der stofflichen Anordnung oder die prägende Handschrift des Autors. Die Verknüpfung der Hälfte der Themen über das Stichwort der Ordnung stiftet jedenfalls noch nicht diesen Sinnkontext. Insbesondere lässt sich der Begriff der „verlorenen Ordnung“, der das Thema des Buches bildet, nicht einfach dadurch konstituieren, dass er anhand geschichtlicher Ereigniserzählungen jeweils konkret eingeführt, jedoch nirgends eingehender reflektiert wird. Auch die Kategorien vom Menschen als Bürger, Sünder, Rechts- und Wirtschaftssubjekt sowie als Endverbraucher, welche die fünf Teile des Buches bilden, geben dem Werk nicht viel mehr als einen schwachen äußeren Halt. Denn sie scheinen kaum taugliche Parameter unter sich zu sein; sie erzählen jedenfalls keine Entwicklung oder in sich schlüssige Geschichte, wie sie vorgeben. Die Darstellung der Materie erscheint daher mehr als eine Abfolge von vielen Geschichten unter manchmal problematischen Überschriften und mit einem nicht immer sorgfältig ausgewählten bzw. sinnvoll eingesetzten Bildbestand. Etwas mehr Mut wäre dem Autor daher zu wünschen gewesen, seine pädagogische Botschaft, zur Wertediskussion Erhellendes beitragen zu wollen (4), auch in der Darstellung des Stoffes jeweils klar auszudrücken.

 

Zürich                                                                                                                        Marcel Senn