Kriminalität und Gesellschaft in Spätmittelalter und Neuzeit, hg. v. Schmitt, Sigrid/Matheus, Michael (= Mainzer Vorträge 8). Steiner, Stuttgart 2005. 137 S., 14 und 3 Abb., 1 Faltkarte. Besprochen von Eva Lacour.

 

Der kleine Band enthält fünf Vorträge, die im Jahr 2003 am Institut für Geschichtliche Landeskunde in Mainz zum Thema Kriminalität und Gewalt gehalten wurden.

 

Gerd Schwerhoff konzentriert sich in seinem Beitrag auf Raub, Diebstahl und Betrug im Mittelalter und der Frühneuzeit und untersucht die Frage näher, ob die Täter gesellschaftliche Außenseiter waren und etwa eine Subkultur bildeten. Interessant ist dabei, dass auch professionelle Räuber zumindest am Anfang ihrer „Karriere“ noch ein „normales“ Leben in der Gesellschaft führten, mit Diebstahl und Raub primär ihren Lebensunterhalt bestritten und auch im weiteren Verlauf innerhalb einer relativ begrenzten Region vorzugsweise entlang wichtiger Verkehrsachsen operierten. Auch arbeiteten sie z. B. mit Gastwirten zusammen, die potentielle Opfer verrieten und waren auf Hehler in der nächsten Stadt angewiesen, um ihre Beute zu verkaufen. Udo Fleck untersucht eine bestimmte Räuberbande, die des Schinderhannes im Hunsrück, denn die Quellenüberlieferung ist hier außergewöhnlich dicht. Die Bande beging zwischen 1796 und 1802 im heutigen Rheinland-Pfalz insgesamt 211 Delikte.

 

Dem Thema Randgruppen widmet sich auch Ernst Schubert. Er untersucht die Entstehung des Begriffs vom „starken Bettler“ und datiert den Beginn einer verstärkten Diskriminierung der arbeitsfähigen, aber arbeitslosen Bettler auf die Zeit um 1500. Dass Randgruppen allgemein im 16. Jahrhundert massiver verfolgt wurden als zuvor, zeigt sich jedoch nicht nur am „starken Bettler“, sondern auch an den „Leuten aus Klein-Ägypten“, den Zigeunern, denen man zunächst ihre Herkunftslegende geglaubt und deren hartes Schicksal als aus ihrer Heimat vertriebenen Leuten man mit Almosen zu lindern versucht hatte, bis der Reichstagsabschied von 1500 sie für vogelfrei erklärte. Schubert spricht von zwei verschiedenen „Entwicklungsfäden“ (S. 66), den Statuten und Geboten der Städte einerseits und der Reichsgesetzgebung mit den Reichspolizeiordnungen von 1530, 1547 und 1577 andererseits, die sich nach 1500 „verknoten“. Doch es „macht einen entscheidenden Unterschied aus, ob Stadträte im Interesse des Gemeinwohls ihrer Bürger ein Gebot erlassen oder ob ein Fürst als Ausdruck seiner Obrigkeit ein Gesetz verkündet.“ (S. 57) Die Städte trieben in Abständen die zwielichtigen „Buben“, „Freiharte“, „Spieler“ oder „Gassentreter“ aus, „die Juristen aber kannten den eindeutigen mendicus validus, den starken Bettler, aus dem römischen Recht“. Deshalb erkennt Schubert keine „Kontinuitätslinie“ von den spätmittelalterlichen städtischen Statuten zur frühneuzeitlichen Gesetzgebung.

 

Jutta Nowosadtko analysiert frühneuzeitliche Hinrichtungsrituale und kommt zu dem überraschenden Schluss, dass diese keineswegs so gleichförmig abliefen, wie dies aufgrund der lapidaren Hinweise in den Gerichtsbüchern zu vermuten wäre. Für den Scharfrichters und andere Beteiligte existierten offenbar „größere Handlungsspielräume“ (S. 92). Hinrichtungen wurden von der Wissenschaft unterschiedlich interpretiert, wobei manche Deutungen sich ergänzen, nicht widersprechen; sie wurden als „Herrschafts-, Macht-, Abschreckungs-, Reinigungs-, Vergeltungs- oder Übergangsritual, als religiöses, als magisch-heidnisches oder gar als triebhaftes ‚Bauchritual’ im Gegensatz zu den rationalen ‚Kopfritualen’ beschrieben“ (S. 77). Doch Nowosadtko weist nach, dass über den tatsächlichen Verlauf von Exekutionen in der frühen Neuzeit viel zu wenig bekannt ist; und die exakte Beschreibung des rituellen Geschehens ist natürlich „die wesentliche Grundvoraussetzung jeglicher Analyse“ (S. 89).

 

Etwas außerhalb dieses Rahmens liegt der Beitrag Jens Petersens, der sich mit politischer Gewalt im faschistischen Italien auseinandersetzt. Der Wille zur Aktion und die Bereitschaft zur Gewalt entpuppen sich als eigentliches Kennzeichen und Substanz des Faschismus.

 

Anschau                                                                                                                     Eva Lacour