Nesemann,
Urte, Die schwedische Familiengesetzgebung von 1734 bis zu den
Reformgesetzen von 1915 bis 1920 und deren Einfluss auf die
Gesetzgebungsprojekte der Weimarer Republik (= Rechtshistorische Reihe 275).
Lang, Frankfurt am Main 2003. 555 S.
Der Gesetzgeber
der Weimarer Zeit leistete sich lebendige und offene Diskussionen. Gerade im
stark von Traditionen geprägten Familienrecht blickte man sogar über den
national-deutschen Tellerrand hinaus. Heutzutage ist diese Methode nichts
Ungewöhnliches, gerade wenn man auf die jüngeren deutschen gesetzgeberischen
Aktivitäten im Familienrecht blickt, die sich, man denke nur an die letzte
große Kindschaftsrechtsreform von 1998 oder die Einführung des Rechtsinstituts
der „eingetragenen Partnerschaft“, mit Erfahrungen und Vorbildern in anderen
europäischen Rechtsordnungen, insbesondere den skandinavischen, intensiv
auseinander gesetzt haben. Damals war es jedoch gleichsam ein Novum, gerade vor
dem Hintergrund, dass das deutsche Ehe- und Kindschaftsrecht zu Beginn der
Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts noch weitgehend patriarchalisch geprägt
war, während man in Schweden bereits seit 1915 bzw. 1920 eine vollkommene
Gleichstellung von Mann und Frau in der Ehe kannte und bei nichtehelichen
Kindern deren finanzielle Absicherung durch Unterhaltsansprüche in den
Vordergrund stellte.
Ohne gleich eine
„traditionell“ nordische Vorreiterposition in der Angelegenheit eines
modern-aufgeschlossenen Familienrechts belegen zu wollen, bestätigt zumindest
die von Urte Nesemann vorgelegte Arbeit, dass für den gewählten Zeitraum
der Betrachtung Schweden, Norwegen und Dänemark in Sachen Gleichberechtigung weit
voraus waren.
Die Autorin
verfolgt mit ihrer Arbeit zwei Ziele: Zum einen möchte sie den Lesern einen
Eindruck von der Gesetzgebungsgeschichte des schwedischen Familienrechts
vermitteln, damit der im Norden um so viel früher vollzogene Sprung in die
Gleichberechtigung unter Einbeziehung der dortigen verfassungsrechtlichen wie gesellschaftspolitischen
Entwicklungen nachvollzogen werden kann. Den Startpunkt 1734 der Betrachtung
rechtfertigt sie vor dem Hintergrund, dass sich seither in Schweden
umfangreiche weltliche Gesetzgebungswerke der Kodifikation des Familienrechts
annahmen. Erst diese Analyse ermöglicht ihr zum zweiten eine genaue Sichtung
der nordischen Einflüsse, die vom deutschen Gesetzgeber (nicht) aufgegriffen
wurden.
In einem
umfangreichen Anhang von fast 150 Druckseiten hat Nesemann alle
einschlägigen skandinavischen Familiengesetze mit deutscher Übersetzung aus dem
schwedischen Reichsarchiv zusammengetragen, bereits dies ein Verdienst im Sinne
Schuberts, ihres Doktorvaters.
Betrachtet man
den Stand des schwedischen Eherechts, dem sich die anderen nordischen Staaten anschlossen,
fällt auf, dass seine ehemals konservativ-obrigkeitliche Prägung bis zur
Weimarer Zeit vor allem durch eine im Zuge der Industrialisierungswelle
erforderlich gewordene freiere Stellung der un(!)verheirateten Frau
aufgebrochen wurde. Ab 1915 verschwand das patriarchalische Familienleitbild
aus dem Gesetz, dem man damals das Prädikat „besonders fortschrittlich“ hätte
verleihen können. Nunmehr wurde bei den allgemeinen Ehewirkungen nicht mehr
zwischen Rechten und Pflichten von Ehefrau und Ehemann differenziert, die
Gütertrennung gesetzlicher Güterstand, die verlassene Verlobte finanziell
abgesichert und das Scheidungsrecht verschuldensunabhängig. Schwedische
Verlöbniskinder erhielten einen besonderen Rechtsstatus in Namens- und
erbrechtlichen Angelegenheiten. Bei den nichtehelichen Kindern stellte der
schwedische Gesetzgeber Kindesinteressen über die „Mehrverkehrseinrede“ des
Erzeugers des Kindes, indem er der Mutter das Recht zubilligte, aus mehreren
möglichen Beischläfern einen als Vater und Unterhaltsschuldner herauszusuchen. Die
Nachbarstaaten Norwegen und Dänemark wiederum wichen hiervon nur insoweit ab, als
dort sämtliche potentiellen Beischläfer gesamtschuldnerisch verpflichtet
wurden.
In Deutschland
war demgegenüber zur Verwirklichung von mehr Gleichberechtigung, sieht man vom
Ehegesetz 1938 und der erleichterten Scheidung ab, erst das Inkrafttreten des
Grundgesetzes notwendig sowie im Eherecht eine nochmals fast zehnjährige „Anpassungsphase“.
Das an der Mehrverkehrseinrede festhaltende deutsche Recht des nichtehelichen
Kindes hinkte dann nochmals um zusätzliche zehn Jahre hinterher. Und dies,
obwohl die skandinavischen Ehe- und Kindschaftsgesetze von 1915/1920 in der breiten
deutschen Gesetzgebungsdiskussion rechtswissenschaftlicher und fach-juristischer
Kreise der Weimarer Zeit eine bedeutende Orientierungsfunktion eingenommen
hatten.
Nesemann
kommt zu dem Schluss, dass gleichwohl der intensive damalige „Blick gen Norden“
beachtlich ist. Inspirierend seien gerade die genannten skandinavischen
legislativen Errungenschaften gewesen, und nicht nur das bloße
Gleichstellungspostulat der Weimarer Reichsverfassung. Gerade weil damals bereits
eine einfachgesetzliche „Umsetzung“ in Schweden, Norwegen und Dänemark greifbar
gewesen sei, habe überhaupt eine detaillierte Diskussion für Deutschland stattgefunden.
Mangels aktueller Vorbildgesetze sei daher später im Nachkriegsdeutschland trotz
des verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsauftrages der Art. 3 Abs. 2, 117 und 6
Abs. 5 GG ein vergleichbarer Reformstoß ausgeblieben. Letztere These ist ein
„obiter dictum“ der Autorin, das ohne nähere Prüfung an den Schluss gestellt
wurde und freilich über das zu behandelnde Thema hinausreicht.
Der
familienrechtlichen Gesetzgebungsprojekte der Weimarer Republik hat sich Nesemann
gewissenhaft angenommen. Der frische Wind aus Schweden ist nach ihrer
Untersuchung nachweislich in vielen Diskussionen deutlich spürbar, auch wenn
die Brise damals letztlich zu schwach war, um den deutschen Traditionen
maßgeblich etwas anzuhaben. Wie bereits erwähnt: Heutzutage ist das anders.
München Ute
Walter