Cavallar, Georg, The Rights of Strangers. Theories
of international hospitality, the global community and political justice since
Vitoria. Ashgate,
Aldershot 2002. VIII, 421 S.
Das hier zu besprechende Buch ist ein
theoriegeschichtliches Buch, keine Darstellung des positiven Fremdenrechts oder
der Rechte der Fremden, wie der Haupttitel vermuten läßt. Es behandelt nach
einem einführenden Kapitel in fünf weiteren Kapiteln die Völkerrechtslehre von
Vitoria bis Kant am Leitfaden der im Untertitel genannten drei Begriffe.
Kapitel 1 „The Present and the Past:
Justitia, Cosmopolis and Hospitalitas“ (S. 13-74) stellt die allgemeine Frage
„Can we find normative principles that bind us all alike and together, even if
we do not agree on a substantive highest good?“ Das geht weit über die Frage
nach den „Rights of Strangers“ hinaus und betrifft das Fundament einer
allgemeinen Völkerrechtsordnung, zu der auch das Fremdenrecht gehört. Das zeigt
sich dann auch in den 12 von Cavallar vorgelegten Fragen, die mit der Frage
nach dem Recht zum Kriege beginnen und mit dem Schutz der Umwelt aufhören. (S.
14). Nur Frage 10 betrifft Immigranten und Flüchtlinge. Es ist allerdings nicht
zutreffend, daß diese Frage zu den more recent problems gehört (S. 16). Sie
spielte z. B. schon im Vertrag von 1270 v. Chr. zwischen Hattusilis III. und
Ramses II. eine wichtige Rolle. Das ius
gentium war in Rom zunächst das römische Recht für die Nicht-Römer.
Cavallar behandelt zwar im weiteren nun nicht alle 12 Fragen. Aber dieser
allgemeine Ansatz bleibt in der gesamten Untersuchung erhalten. So stellt
Cavallar auch in diesem ersten Kapitel die Völkerrechtslehren der Gegenwart
generell dar und setzt sich mit diesbezüglichen inhaltlichen wie methodischen
Problemen auseinander, die sich aus den allgemeinen politischen wie
gesellschaftlichen internationalen Verhältnissen der Gegenwart einerseits und
den intellektuellen Ansätzen ihrer Deutung andererseits ergeben. Cavallar
plädiert als Antwort auf seine Frage für „moral minimalism and political
justice“ (S. 46ff.). Dies sind: Universalisierbarkeit, Unparteilichkeit, die
Idee der freien und universellen Zustimmung und Gleichheit. Da sie
universalisierbar seien, seien sie auch von allen befolgbar (S. 56).
Darauf aufbauend folgen die
theoriegeschichtlichen Kapitel. Kapitel 2 ist Vitoria und anderen Autoren des
spanischen Spätscholastik gewidmet (S. 75-119). Gerade für diese standen wegen
der Indio-Frage die Erörterungen über die Hospitalität am Ausgang und im
Zentrum der völkerrechtstheoretischen Überlegungen. Cavallar geht insofern über
oft Dargestelltes nicht hinaus.
Die Darstellung der Epoche des Hugo
Grotius in Kapitel 3 „The Age of Hugo Grotius“ (S. 121-167) setzt sich u. a.
kritisch mit der Frage auseinander, ob der Ansatz des Niederländers, dem das
Kapitels vornehmlich gewidmet ist, wirklich universalistisch sei (S. 151).
Cavallar sieht die Ambiguitäten und Offenheiten in dessen Theorien, die für
europazentrisches Handeln Raum lassen. Da Grotius auch niederländischer
Politiker war, ist es nicht verwunderlich, daß er dies in seinen Schriften nicht
vergaß. Auch debattiert Cavallar die viel besprochene Frage der Bedeutung der
Schriften des Grotius für die Ausbildung oder Fortbildung des Völkerrechts (S.
162ff.).
Im 4. Kapitel „In the Shadow of Leviathan:
Hobbes to Wolff` (S. 169-228), in dem auch Samuel Pufendorf aufgenommen wird,
vertritt Cavallar die plausible These, daß die strenge, für das moderne
Völkerrecht zentrale Unterscheidung von Innen und Außen auf Hobbes zurückgehe
(S. 179). Sein Anliegen ist darzustellen, daß die „domestic analogy“ für die
internationale Ordnung „shortcomings“ habe (S. 169, 179ff.). Staaten seien
keine Personen im eigentlichen Wortsinn, sondern fiktive juristische Personen
und beruhten auf rechtlicher Vereinheitlichung durch Gesellschaftsvertrag
(Rousseau) oder Rechtsgesetze (Kant). Allerdings hat gerade dieser das Projekt
der „domestic analogy“ in seinem „Entwurf zum Ewigen Frieden“ vernunftgemäß zu
begründen versucht, wenn auch „praktisch“ zurückgenommen. Cavallar hebt die
Nähe Pufendorfs zu Hobbes hervor, ohne jedoch darauf einzugehen, daß ufendorf
gegen Hobbes nicht den Krieg, sondern den Frieden als Naturzustand zwischen Staaten
oder Völkern behauptet. Cavallar ordnet Pufendorf die bis zu Vattel wirksame
Unterscheidung zwischen vollkommenen, d. h. rechtliche Ansprüche erzeugenden
und durchsetzbaren, und unvollkommenen, d. h. keine Ansprüche erzeugenden und
daher nicht durchsetzbaren Pflichten und Rechten zu. Sie führt letzten Endes zu
der Unterscheidung von rechtlichen und moralischen, äußeren und inneren
Pflichten. Gastfreundschaftsrechte seien nur unvollkommene Rechte (S. 203). Ein
gewisses Gegenbild zu Hobbes und Pufendorf wird in der Erörterung der civitas maxima des Christian Wolff
deutlich (S. 208ff), im Wandel von einer christlichen Tradition zu einer eher
weltlichen Form. Bemerkenswert und zutreffend ist die Feststellung Cavallars,
daß Wolff und Kant in bezug auf das ius
gentium und Gastfreundschaftsrechte einander recht nahe waren. (S. 220).
Kapitel 5 „The Age of Enlightenment“
ist weit gespannt von den englischen und schottischen Theoretikern Adam Smith
und David Hume über Carles de Secondat et de Montesquieu, Jean-Jacques Rousseau
bis zu Emer de Vattel und Johann Jacob Moser (S. 229-319). Das Interesse an
diesem Kapitel liegt auf den erstgenanten vier Autoren; denn sie werden in der
Völkerrechtsgeschichte allenfalls am Rande behandelt. Cavallar macht einen
Wechsel der Ansätze deutlich, von einer abtrakt-theoretischen
Naturrechtskonzeption zu empirisch-historischen innerweltlichen Konzeptionen
einer „commercial society“ mit der „invisible hand“ (Smith, S. 230ff.), der
Einbeziehung von Klima, Geographie, Mentalitäten, Handel etc. (Montesquieu, S.
242ff.), der Ausrichtung an Interesse und Nutzen, Historizität und Zivilisation
(Hume, S. 245ff.). Für die internationale Ordnung und „hospitality“ bedeuten
diese Neuausrichtungen einerseits Kritik an-bloßen Eroberungen, andererseits
die Hervorhebung-des-Handels (S. 263ff.). Leider bleibt unerörtert, ob und wenn
ja welche Auswirkungen diese neuen Ansätze zum Verständnis und vor allem zur
Gestaltung der internationalen Zusammenhänge für die völkerrechtliche Theorie strictu sensu gehabt haben. Zwar geht
Cavallar am Ende des Kapitels auf Vattel und Moser und das Verhältnis von
Naturrecht und Staatspraxis bei diesen Autoren ein (S. 306ff.)., stellt diese
aber nur in den Strom der Völkerrechtslehre. Gab es- anders als bei Kant -
keine Verbindungen der Völkerrechtslehre zu Smith, Hume etc.? In Bezug auf
Rousseau (S. 284ff.) will Cavallar mit einer „wohlwollenden Interpretation“
ausdrücklich gegen andere Interpretationen (S. 299) nachweisen, daß dieser
keineswegs ein rein patriotisch bis nationalistisch denkender Autor gewesen
sei. Zwar habe er die gängigen Formen des Kosmopolitismus als mehrdeutig und
letztlich scheinheilig abgelehnt, aber seinerseits einen im patriotischen
Republikanismus verankerten Kosmopolitismus von unten, den nationalen
Gesellschaften, nach oben zur Weltgesellschaft betont.
In dem Abschlußkapitel 6 „Kant and
the Ius Cosmopoliticum“ (S. 321ff) erörtert Cavallar zunächst Kants Positionen,
wenn auch notwendiger Weise relativ knapp, von dessen Grundlagen her. Er weist
auf seine Verbindungen zu Hume und Smith hin, aber auch zu Rousseau. Er sieht
in Kants Rechtsphilosophie zwei Trends, der eine revolutionär der andere auf
Synthese gerichtet (S. 338). Speziell zum Völkerrecht nimmt Cavallar Kants
These von den „leidigen Tröstern“ Grotius , Pufendorf und Vattel unter die Lupe
(S. 339ff.) Zum einen müsse diese Aussage qualifiziert gelesen werden, zum
anderen falle auf, daß Wolff nicht genannt werde. Cavallar führt das darauf
zurück, daß Kant Sympathie für dessen Konzept des civitas maxima gehabt habe, wie er auch St. Pierres und Rousseaus
Idealismus bewundert habe (S. 341). In der Tat knüpft Kant zum einen für sein
Konzept an Rousseau an. Zum anderen kann der „Völkerbund“ Kants als Gebot der
Vernunft auf der Grundlage der kritischen Erkenntnistheorie als Neuformulierung
und Neubegründung der civitas maxima
Wolffs als Schluß der Vernunft auf der Grundlage der mathematischen Methode der
„Schule“ verstanden werden. Nach einem Abschnitt über die Sicht von
Montesquieu, Hume und Smith auf asiatische Positionen (S. 350ff.), kehrt Cavallar
noch einmal zu Kant und seinem kosmopolitischen Recht zurück (S. 395ff.). Kant
kombiniere empirische mit a priori Elementen. Den Abschluß des Kapitels bildet
ein Epilog „The rigths of strangers in the nineteenth century“, der aber
wiederum nicht das positive Recht darstellt, sondern die positivrechtliche
Völkerrechtslehre skizziert (S. 368ff.). Dabei wird jedenfalls knapp auf die
grundlegende Differenz der Lehre wie der Praxis zwischen zivilisierten Nationen
und nicht- und halbzivilisierten Gruppen hingewiesen. Darauf hätte aber wohl
grundlegender eingegangen werden müssen, weil darin gerade für die drei
Leitbegriffe der Untersuchung ein fundamentaler und vor allem unheilvoller
Bruch der Weltgemeinschaft liegt, dessen Folgen die Welt bis in die Gegenwart
belasten. Die fortdauernde naturrechtliche Völkerrechtsphilosophie des 19.
Jahrhunderst, die sich z. T. eingehend zu den Fragen eines Kosmopolitismus
äußert, wird nicht erörtert. Erst für das 20. Jahrhundert werden Autoren
genannt, die naturrechtliche Traditionen wieder aufnehmen (S. 387).
Cavallar schließt das Buch mit einer
„Conclusion“ ab (S. 391ff.), die einerseits noch einmal eine Zusammenfassung
der Ergebnisse gibt, andererseits die Verbindung zum ersten Kapitel und zu den
Gegenwartstheorien wieder herstellt. Cavallar setzt sich auch mit den
Skeptikern, wie u. a. Rorty auseinander. Er hält mit Rawls und Kant daran fest,
„that people do have an effective sense of justice" (S. 400), daß aber
immer zumindest Interpretationsprobleme bleiben werden (S. 402).
Die Darstellung hat Stärken und
Schwächen. Die zentrale Stärke ist gewiß, daß Cavallar zwar nicht die „Rights
of Strangers“, wohl aber deren theoretische Grundlegung in den Konzepten von
Gastfreundschaft, Weltgemeinschaft und politischer Gerechtigkeit in der frühen
Neuzeit darlegt: Damit-ist aber auch die zentrale Schwäche der-Darstellung
verbunden, die zwar ein Sachthema verfolgt, es aber nicht nach
Sachgesichtspunkten, sondern nach Zeitabschnitten und Autoren gliedert. Zwar
hat das den Vorteil, die allgemeineren Grundlagen der Theorien der Autoren
besser darstellen zu können. Aber es hat zugleich den größeren Nachteil, daß
die durchlaufenden Fäden immer neu aufgenommen und miteinander verknüpft werden
müssen. Eine andere Stärke ist, daß Cavallar klar macht, daß unsere
Beschäftigung mit der Vergangenheit und der Gegenwart in ihrem Verhältnis
zueinander auch von den Kontexten bestimmt wird, in denen Autor, Leser und auch
dieser Rezensent stehen (S. 27). Zwar vermißt dieser, daß die Kontexte der Theorien
von Vitoria bis in das 19. Jahrhundert, d. h. die Herausforderungen und
Fragestellungen, auf die hin diese Theorien entwickelt wurden, nicht mit
bedacht werden. Er hat aber insgesamt die Untersuchung mit Gewinn gelesen,
zumal der Autor sein Thema mit einem breiten Spektrum und umfangreichen
Reichtum der Literatur behandelt.
Giessen Heinhard Steiger