Bleckmann, Maja, Barrieren gegen den Unrechtsstaat? Kontinuitäten und Brüche in den rechtsphilosophischen Lehren Alfred Manigks, Gustav Radbruchs und Felix Holldacks angesichts des Nationalsozialismus (= Diss. jur. Hannover 2003 = Fundamenta juridica 47). Nomos, Baden-Baden 2004. 202 S.
Schröder, Imke, Zur Legitimationsfunktion der Rechtsphilosophie im Nationalsozialismus. Kontinuität und Diskontinuität rechtsphilosophischer Lehren zwischen Weimarer Republik und NS-Zeit (= Diss. jur. Hannover 2001 = Europäische Hochschulschriften 2, 3379). Lang, Frankfurt am Main 2002. 212 S.
Die beiden Hannoveraner Dissertationen
von Bleckmann und Schröder untersuchen das Verhältnis der Rechtswissenschaft
zum Nationalsozialismus. Sie haben einen gemeinsamen methodologischen Nenner
und stehen einem DFG-Projekt von Manfred Walther und Leonie Breunung
zur „Deutschen Rechtswissenschaft in der Emigration ab 1933 – eine Bio-Bibliographie.
2 Bände“ nahe, das noch der Edition harrt, aber als Typoskript (1997) zur
Verfügung stand. Breunung hat hierzu eine Analyse in der „Zeitschrift
für Soziologie“ 1996 (395-411) als erste allgemein zugängliche Orientierungsmöglichkeit
vorgelegt und Walthers Beitrag, der eine Äusserung Radbruchs in
rhetorischer Frageform mit dem Titel aufnahm: „Hat der juristische Positivismus
die deutschen Juristen wehrlos gemacht?“ ist allgemein bekannt und diskutiert
(„Kritische Justiz“ 1988, 263-280). Damit ist das Feld abgesteckt, innerhalb
dessen sich die beiden Arbeiten bewegen.
Im Zentrum steht die Kernfrage nach
der Widerstandskraft der Rechtsphilosophie gegenüber dem Nationalsozialismus
(Schröder, 11; Bleckmann, 24). Schröder untersucht das Werk von Ernst Jung,
Edmund Mezger, Julius Binder und Wilhelm Sauer, Bleckmann dasjenige
von Alfred Manigk, Gustav Radbruch und Felix Holldach. Die
Auswahl der Protagonisten erfolgte nach dem Kriterium der Zitationshäufigkeit ihrer
Werke im „Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie“ in den Jahren 1919 bis
1932. Damit soll, wie in heutigen Evaluationsverfahren gängig, die Objektivität
von Bedeutung – hier der maßgeblichen „Rechtsphilosophie in Deutschland“ – gemessen
werden. Doch wie wir alle wissen, folgen statistische Objektivierungen dem
heuristischen Willen. Man ist daher auch vorliegend nicht verwundert, dass
Zähl- und Auswahlverfahren beider Dissertationen weder ganz transparent noch im
Resultat komplett kongruent sind (Schröder, 14f.; Bleckmann, 17, 22f.), wie auch
die Ausblendung von Koryphäen wegen Emeritierung oder dgl. doch fraglich
erscheint. Doch entscheidend ist, dass das, was damals allgemein als Rechtsphilosophie
aufgefasst wurde, untersucht wird. Und unter diesem Gesichtspunkt ist die
Auswahl zwar noch nicht ausreichend breit genug, um allgemeine Aussagen gültig
zu etablieren, doch vermögen die Arbeiten ein Bild der Wirklichkeit in den
Grundzügen zu zeichnen, das einen provisorischen Befund schon zulässt.
Beide Dissertationen gelangen zur
schlüssigen Antwort, dass (vorausgesetzt es sei von einer Rechtsphilosophie im
Nationalsozialismus überhaupt zu sprechen, wie Schröder anmerkt) die erwartete
Resistenz nicht gegeben war, jedenfalls nicht durch die
Rechtsphilosophie als Disziplin selbst, sondern nur, so Bleckmann klipp und
klar, durch die Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten der Fachvertreter
(Schröder, 185ff.; Bleckmann, 186). Damit sind – je nach Standort des
Beobachters – die heutigen Parameter, die Wissenschafter hätten sich damals entweder
zwecks eigener Vorteilsrealisierung angepasst oder zum Zweck der Eindämmung der
Wirkungsmacht des Nationalsozialismus das Spiel mitgemacht, als allgemeingültige
Begründungsmuster einer strukturellen Wissenschaftsentwicklung der Rechtsphilosophie
wissenschaftlich zumindest fragwürdig, wenn nicht sogar unhaltbar geworden, wie
Schröder recht selbstbewusst ihre Erkenntnis gleich für alle Disziplinen reklamiert.
Der korrekte Ausweg heißt daher schlicht Differenzierung in jedem Fall, was die
beiden hier vorliegenden Untersuchungen für ihre Sujets und Subjekte auch beispielhaft
und insgesamt zuverlässig demonstrieren.
Jeder der untersuchten Protagonisten erscheint etwas menschlicher, aber keineswegs nach dem Klischee einer fremdbestimmten Sozialisation, sondern konkret als Person, die „ihren“ eigenen Weg gegangen ist, so verschieden und einsehbar oder gerade nicht die Gründe beim einen oder anderen waren. Ein vergleichbares Resultat erbrachten übrigens auch schon Arbeiten zu Biografien von Rechtshistorikern (vgl. meine Sammelbesprechung „Juristenschicksale und Schicksalsjuristen“ in: Rechtshistorisches Journal 11 (1992), S. 181-193). Dem freilich widersprechen die aktuell favorisierten Untersuchungen, wonach sich die akademische Elite regulär freiwillig gleichschalten ließ, um von den Machtverhältnissen zu profitieren (vgl. Rüdiger von Bruch/ Christoph Jahr (Hg.), Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Bd. I: Strukturen und Personen; Bd. II: Fachbereiche und Fakultäten, Wiesbaden 2005).
Damit ist ein Gegensatz in der wissenschaftlichen Analyse gegeben, der nicht weggewischt oder auch nur verwischt werden darf, sondern analytisch weiterverfolgt und kritisch diskutiert werden muss. Die Einsicht ist ja in den letzten Jahren gewachsen, dass Theoriekonstrukte die konkreten Ereignisgeschichten gleichsam nur inquisitorisch unterwerfen, aber nicht die komplexe und widersprüchliche Wirklichkeit historisch erschließen können, sondern zu bloß scheinbaren Allgemeinaussagen nämlich unter den methodologisch gegebenen Konditionierungen des Stoffes führen, die so kurz- oder langlebig sind, wie die wissenschaftlichen Gruppierungen ihre Ansichten im Verhältnis zu den gesellschaftlich geltenden Wertmaßstäben gerade (durch)halten können. Das ist freilich weniger Wissenschaft, die dauerhafte Erkenntnis bringt als vielmehr launische Powerpropaganda.
Beide Arbeiten zeigen einfache, aber einleuchtende Wege auf, wie man oder „frau“ eine Untersuchung historisch sinnvoll durchführen kann (Schröder, 16; Bleckmann, 20f.). Schröder geht innerhalb des Untersuchungszeitraumes eher thematisch vor, indem sie einerseits den kontinuierlich vertretenen Thesen eines Autors nachspürt, die sich entweder mit der NS-Ideologie vereinbaren ließen oder zu ihr in Widerspruch standen sowie umgekehrt die Diskontinuitäten aufzeigt, die das NS-Regime erzeugte und die zu Übereinstimmungen oder Widersprüchen mit den Lehren der Autoren führten, wogegen Bleckmann die Werke ihrer Protagonisten chronologisch nach den Entwicklungsständen vor 1933, insbesondere mit einem Vergleich der Ansichten der Autoren und (Bleckmann spricht auch hier von Rechtsphilosophie!) des Nationalsozialismus, sowie zwischen 1933 und 1945 und nach 1945 untersucht, um die Kontinuitäten und Diskontinuitäten festzustellen.
Für mich war vor
allem die Beobachtung Schröders zu Wilhelm Sauer interessant, wonach seine
Thesen weder anschließbar noch instrumentalisierbar gewesen seien, was ich in
meiner „Rechtsgeschichte – ein kulturhistorischer Grundriss“ seit 1997 (267f.;
dritte Auflage, 388f.) durch eine konkrete Textinterpretation aufzeige, in der Sauer
den offensichtlich hinkenden Vergleich zwischen der „Ethik“ des Nationalsozialismus
und derjenigen des Kantianismus zieht, um damit unmissverständlich ethische
Standards gegen den NS-Imperialismus in die Diskussion einzubringen. Womöglich
zeigt der Neu-Kantianismus eine gewisse Abwehrkraft, jedoch ohne dass er eine
Sperrwirkung gegen die NS-Ideologie zeitigte, wie dies Bleckmann mit Bezug auf Holldack
und Radbruch äußert, während Manigk, der dem Historismus Savignys
nahestand, zumindest vordergründig das Spiel mitmachte und dadurch die Thesen
des romanistischen Individualismus auch gegen die Zensur durchhalten konnte,
eine Beobachtung, die sich auch bei Georg Dahm ergab, der die
Privatautonomie argumentativ differenziert ins völkische Rechtssystem als
sittliche Notwendigkeit hinüberretten wollte. Persönlich war Dahm durchaus
allezeit angepasst: In der Weimarer Republik war er SPDler, dann wechselte er
zur NSDAP und nach dem Krieg reüssierte er zu einem angesehenen bundesrepublikanischen
Völkerrechtler (vgl.
Nun fragt sich abschließend, was die
Ergebnisse der Untersuchungen Bleckmanns und Schröders etwa für die juristische
Ausbildung von heute bedeuten könnten, wenn die Persönlichkeit des Einzelnen
letztlich dermaßen maßgebend sein soll? Ein traditionelles Konzept, das sich an
der Koppelung von individueller Freiheit und Verantwortung aus Achtung vor dem
Leben orientiert (so etwa Senn, 398), mag womöglich altbacken wirken, doch es
dürfte am Ehesten den individuellen Ansatz stärken trotz allen Erfahrungen
betreffend das menschliche Versagen in den konkreten Bewährungsphasen. Deshalb
müsste man selbstbewusste, sensible und rücksichtsvolle Individuen zum Ausgangs-
und Endpunkt der Rechtspädagogik nehmen und sie sich frei, aber darin
unterstützt, entwickeln lassen, intelligenten Widerspruch stets loben und vor
allem auch selber eingestehen, dass Wissenschaft einschließlich ihre Professoren
sehr viel auch nicht können oder wissen: Auch müsste man dieser geradezu
närrischen Ansicht eine Absage erteilen, dass die neueste Forschung, die selbstredend
stets auch zur Kenntnis zu nehmen ist, nicht auch schon, nur weil sie neu ist, deshalb
notwendig wahre Aussagen garantiere. Mit den großspurigen Theoriekonzepten der
achtziger und neunziger Jahre, die das Thema Individualität gekippt haben,
lässt sich diese Konzeption freilich nicht harmonisieren, und ob dies im Rahmen
der europäisch homogenisierten „juristischen Kreditpunktesammlungsausbildung“ noch
möglich sei, wird sich weisen müssen. Zweifel sind zulässig, wenn nicht nötig!
Dies eben lassen die beiden
Dissertationen von Schröder und Bleckmann als pädagogische Summe
ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungen auch am Horizont erkennen,
und so wäre nur zu hoffen, dass sie zur wissenschaftlichen und politischen Diskussion
anregen. Zeit wär’s – noch!
Zürich