Rättslig integration
och pluralism. Nordisk Rättskultur i omvandling. Rättshistoriskt seminarium för
yngre nordiska forskare med anledning av professor Kjell Åke Modéers
sextioårsdag 11.-13. Februari 2001, red. v. Önnerfors, Elsa Trolle/Reslow,
Patrick (= Institutet för
Rättshistorisk Forskning, Serien III Rättshistoriska Skrifter, Tredje Bandet).
Rönnells Antikvariat i Distribution, Stockholm 2001. 217 S.
Dieser dritte Band der Rechtshistorischen
Schriften der Olinschen Stiftung gibt die Vorträge wieder, die auf dem
Festseminar zum 60. Geburtstag des schwedischen Rechtshistorikers Kjell Åke
Modéer im Februar 2001 in Lund gehalten worden sind. Die Referenten kamen
aus Florenz, Kopenhagen, Lund, Stockholm, Uppsala und Helsinki. Es sind zehn
junge Doktoren oder Doktoranden der Rechtsgeschichte, die ihre Forschungen
vorgestellt haben. Die Herausgeber sind Schüler des Geehrten und Doktoranden
der Rechtsgeschichte in Lund. Die Beiträge widmen sich – entsprechend der
heutigen Tendenz – fast ausschließlich der neueren und neuesten skandinavischen
Rechtsgeschichte. Eine Ausnahme bildet Mia Koppiola, deren Vortrag
„Fördelningen av domsmakten mellan kyrkan ach staten avseende äktenskapsrätt
och sexualbrott i Sverige cirka 1200–1620“ (Die Verteilung der Gerichtsgewalt
zwischen Kirche und Staat im schwedischen Eherecht und bei Sexualstraftaten ca
1200–1620) nicht nur die mittelalterlichen Verhältnisse, sondern auch den
Übergang der kirchlichen Gerichtsbarkeit auf den Staat nach der Reformation
schildert. Allerdings handelt es sich lediglich um einen groben Überblick, da
die Literatur bei weitem nicht ausgeschöpft wird und selbst so bekannte
einschlägige Werke wie Arthur Thomson, Barnkvävningen, Lund 1960; derselbe,
Otidigt sängelag (Rättshistoriskt Bibliotek 9), Stockholm 1966; Jan Arvid
Hellström, Biskop och landskapssamhälle i tidig svensk medeltid (Rättshistoriskt
Bibliotek 16), 1971 nicht zitiert sind. Obwohl die Verfasserin um 1200 einsetzen
will, sind z. B. auch die Ergebnisse des Provinzialkonzils von Skänninge 1248[1] nicht erwähnt. Immerhin hat sie das
weitere Schicksal der kirchlichen Gerichtsbarkeit nach der Reformation kritisch
beleuchtet.
Henrik Forshamn
untersucht mit seinem
Beitrag ‚Law‘ as historian’s construct. Or ‚history‘ as lawyer’s construct. Or,
a study of legal theory in legal history‘ die Methode dreier europäischer
Rechtshistoriker in ihren rechtshistorischen Lehrbüchern, nämlich J. H.
Bakers, An Introduction to English legal history3, 1990, Adolf
Laufs‘, Rechtsentwicklungen
in Deutschland5, 1996 und Jean-Louis Gazzanigas, Introduction
historique au droit des obligations, 1992. Auch wenn Geschichtsschreibung
jeweils zeitgeprägt ist, braucht man sie nicht notwendig als ‚construction‘ zu
verstehen, wie der Verfasser meint. Wenn er Gustav Radbruch und Adolf Laufs als ‚naturalists‘ ansieht, dürften
damit – mißverständlich – Naturrechtler gemeint sein, obwohl das Wort eigentlich
Naturforscher meint. Laufs wendet sich auf S. 372 seines Werkes eindeutig gegen
Hitlers Sondervollmacht zur Gesetzgebung von 1942. Deshalb ist es absurd und
widerspricht dem Textbefund, Laufs zu verdächtigen, diese Vollmacht und ihre
Folgen gebilligt zu haben. Daß der Verfasser schließlich das Widerstandsrecht
gegen positive Satzung ausspielt (S. 27) und hier einen Widerspruch sieht,
entlarvt seine Darstellung als linguistische Spielerei, die mit der über
zweitausendjährigen Lehre vom überpositiven Recht nichts anzufangen weiß.
Anscheinend versteht er sich als Dekonstruktivist und scheint einem extremen
Gesetzespositivismus zu huldigen. Jedenfalls spricht er dem Recht jeden Eigenwert
ab.
Görel Gränström
beleuchtet in ihrem
Beitrag ‚Det är Guds vilja, att man ska leva i fred med sin nästa och älska
varandra‘ (Es ist Gottes Wille, mit seinem Nächsten in Frieden zu leben und
einander zu lieben) die Rechtslage, in die schwedische Wehrdienstverweigerer
zwischen 1898 und 1904 gerieten. Es waren meist Baptisten, Pazifisten oder
Jungsozialisten, die den Waffendienst verweigerten. Sie verstießen nicht nur
gegen das geltende Wehrstrafrecht, auch die damals herrschende Meinung hielt
sie für übergewissenhaft und nannte sie ‚Weicheier‘. Man warf ihnen vor,
unmännlich zu sein und das Vaterland zu verraten. Sie wurden – ohne Verteidiger
– vor ein Kriegsgericht gestellt und zu Gefängnis oder zu Zwangsarbeit
verurteilt, und zwar mehrfach, wenn sie nach verbüßter Strafe den Wehrdienst
weiter verweigerten. Als sich die Wehrdienstverweigerungen häuften, setzte man
zur Untersuchung der Lage ein Wehrpflichtkomitee ein und diskutierte über die
Frage im Reichstag. Der Generalstab fand, daß die Verweigerer zwar ehrenhafte
Motive hätten, daß der Wehrdienst aber geeignet sei, aus Muttersöhnchen Männer
zu machen und berief sich dazu auf eine Reichstagsrede Bismarcks.
Pernille Ulla Knudsen
referierte über
‚Byfogedembedets udvikling i 1700-tallets Danmark‘ (Die Entwicklung des Stadtvogtamtes
im Dänemark des 18. Jahrhunderts). Diese Vögte waren in Dänemark königliche
Amtmänner und zugleich Stadtgerichtsvorsitzende in Kaufstädten, (nicht auf dem
Lande). Anders als in Schweden gab es nämlich in Dänemark nur wenige Städte,
deren Ratsstubengericht, besetzt von Bürgermeister und Rat, der König den Rang
eines Landgerichts zubilligte und dem obersten Gericht direkt unterstellte. Im
18. Jahrhundert begann man nicht nur, mehrere Rechtskreise zu vereinigen,
sondern auch Magistratsämter mit dem Amt des Stadtvogtes und das Amt des
Gerichtsschreibers mit dem des Richters zusammenzulegen. Die Entwicklung
brachte es mit sich, daß der Stadtvogt bald auch in den übrigen Untergerichten,
dem Herredsting und dem Birketing (Bezirksgericht und
Gutsgericht) zum alleinigen Richter wurde, mit der Folge, daß die Bürgernähe
der Gerichte litt, das Verfahren professionalisiert wurde und die Kosten
stiegen, so daß der gemeine Mann seine kleinen Streitigkeiten kaum mehr vor
Gericht bringen konnte.
Toomas Kotkas
berichtet über
‚Benådningsinstitutionen och den moderna rätten‘ (die Begnadigung und das
moderne Recht) und stellt fest, daß das Mittelalter zwar Geleits- und
Friedebriefe, aber keine eigentliche Begnadigung kannte. Dieser Teil der Darstellung
ist recht oberflächlich und weist keine Quellenstellen nach. Sie fehlen auch
für den Beginn der eigentlichen Begnadigung im Patent über Hochverrat von 1563
und die Prozeßordnungen von 1614 und 1615. Hier diente die Begnadigung dazu,
das überstrenge Strafrecht zu mildern. Im 18. Jahrhundert übernahmen allerdings
die Hofgerichte durch ihre Korrekturrechtsprechung diese Aufgabe. Daneben gab
es das königliche Begnadigungsrecht, das allerdings die Verfassung von 1809 an
die Anhörung des Staatsrates und des Obersten Gerichtshofes band. In Finnland
ordnete Zar Nikolaus I. 1826 an, daß alle Todesurteile in lebenslängliche
Zwangsarbeit umgewandelt werden konnten. Auch die finnische Verfassung von 1917
gab dem Staatspräsidenten das Begnadigungsrecht. Die moderne finnische
Rechtstheorie hat diesem Recht neue Begründungen zu geben versucht, der
Verfasser plädiert dafür, es seiner rechtlichen und politischen Züge zu
entkleiden und fortan als Ausnahmetatbestand zu behandeln.
Max Lyles beschäftigt sich mit ‚Uppsalaskolans
kritik av den ologiska, overkliga och metafysiska rättsvetenskapen‘ (der Kritik
der Uppsalaschule an der unlogischen, unwirklichen und metaphysischen
Rechtswissenschaft). Es geht dabei im wesentlichen um Axel Hägerströms Kritik an der Rechtswissenschaft seiner
Zeit, vor allem der Begriffsjurisprudenz. Der Verfasser will die Methodenlehre
der Uppsalaschule historisch beschreiben und ihre Entstehung klären.
Per Nilsén untersucht ‚Jacob Wilde, Aristoteles, det
besvärliga konungsliga enväldet, oförstående utlänningar och frihetstidens
statsrättsdoktrin‘ (Jacob Wilde, Aristoteles, die beschwerliche königliche
Alleinherrschaft, verständnislose Ausländer und die Staatsrechtsdoktrin der
Freiheitszeit). Jakob Wilde (*1679 in Kurland) war seit 1719 schwedischer
Reichshistoriograph. Seine ‚Historia
Pragmatica‘, in der er die Legitimität des gerade vergangenen karolinischen
Absolutismus rechtfertigte, fußte im wesentlichen auf Aristoteles. Doch das
Kanzleikollegium, die damalige Zensurbehörde, beanstandete das Werk, weil es
der Staatslehre der Freiheitszeit, die 1718 mit dem Tode Karls XII. begonnen hatte,
widersprach. Gleichwohl war Wildes Werk für die Staatslehre der Zeit
grundlegend und beabsichtigte, das Ansehen Schwedens in Deutschland heben.
Ann-Christine Petersson Hjelm
untersuchte
‚Kriminalvetenskapsliga inslag i svensk straffverkställigheit‘ (den kriminalwissenschaftlichen
Einschlag in der schwedischen Strafvollstreckung). 1945 führte Schweden eine
große Gefängnisreform durch, die vor allem die Individualprävention
reformierte, die Persönlichkeit des Gefangenen berücksichtigte und dessen
Resozialisierung betrieb. Die Verfasserin hat das zentrale Gefangenenregister
ausgewertet, das 1938 eingerichtet worden war. Ihr Ergebnis ist allerdings
ernüchternd: Die hohen Erwartungen, welche die herrschende Straftheorie an die
reformierte Individualprävention knüpfte, hatten sich nicht erfüllt, weil es
keine übergreifenden Behandlungspläne gab, die Personalausstattung zu schwach
war oder Räume und Geld fehlten.
Patrick Reslow
äußerte sich über
‚Rättspolitik och judiciell kontroll‘ (Rechtspolitik
und richterliche Kontrolle). Schweden hatte im Frieden von Osnabrück 1648 Vorpommern,
Bremen-Verden, die Stadt Wismar, die Reichsstandschaft und ein umfassendes privilegium de non appellando erworben,
mußte aber für seine neuen Provinzen ein Oberappellationsgericht (in Wismar)
errichten[2], wenn der Rechtszug nicht zum Reichskammergericht
führen sollte. Der Beitrag behandelt die Visitation dieses schwedischen
Gerichtshofes in Wismar von 1688. Sie gründete auf Meinungsverschiedenheiten
über die Zuständigkeiten dieses Gerichts. Der Verfasser arbeitet außerdem die
rechtliche Einordnung dieser Visitation heraus: Sie war eine politische Maßnahme,
um das Gericht daran zu hindern, ein selbständiges Staatsorgan zu werden.
Elsa Trolle Önnerfors
berichtet über ‚Svenska
domstolsbyggnader 1680-2000‘ (Schwedische
Gerichtsgebäude 1680-2000). Dahinter steht ein von der Olinschen Stiftung gefördertes
Forschungsprojekt, das in eine mehrbändige Dokumentation dieser Gebäude münden
soll. Die Verfasserin zeigt, daß der schwedische Ständestaat, der Absolutismus,
der reformierte Ständestaat und schließlich die Demokratie ihre jeweiligen
Stilvorstellungen in den Gerichtsgebäuden verwirklichte. Leider bringt sie
keine Bildbeispiele, was bei diesem Thema unausweichlich notwendig gewesen
wäre.
Der Band
zeigt, daß in den nordischen Ländern viele junge Forscher und Forscherinnen an
der Weiterführung ihrer heimatlichen Rechtshistorie arbeiten, ein
Hoffnungsschimmer für die Rechtsgeschichte insgesamt.
Köln
am Rhein Dieter
Strauch
[1]
Diplomatarium
Svecanum Bd. 1, Nr. 359 v. 1. März 1248, vgl. meinen Beitrag „Weltliche und
geistliche Gewalt im schwedischen Mittelalter“, in: Karl v. Amira zum Gedächtnis,
hrsg. v. Peter Landau/Hermann Nehlsen/Mathias Schmoeckel, Frankfurt am
Main 1999, S. 143–177.
[2]
Darüber hat Kjell Åke Modéer seine
Habilitationsschrift ‚Gerichtsbarkeiten der schwedischen Krone im deutschen
Reichsterritorium‘ (Rättshistoriskt Bibliotek 24), Stockholm 1975
veröffentlicht.