Stein, Anke, Advokaten und Prokuratoren am Reichskammergericht in
Wetzlar (1693-1806) als Rechtslehrer und Schriftsteller (= Juristische Reihe
2). Tenea-Verlag, Berlin 2002. XXIV, 242 S.
Die Autorin streift mit ihrer bei
Jürgen Weitzel/Würzburg gefertigten Dissertation zwei Problembereiche, die bei
der Erforschung der Geschichte des Reichskammergerichts bisher unbehandelt
geblieben sind: Zum einen nimmt sie sich des Wirkens der Prokuratoren an, aber
zum zweiten nur im Hinblick auf deren Lehr- und Publikationstätigkeit. Damit
werden, was den Wert der Arbeit keineswegs mindert, beide Bereiche nur partiell
erhellt. Zur Haupttätigkeit der Prokuratoren, ihre Prozeßarbeit, gilt es ebenso
weiter zu forschen wie zur Lehr- und Publikationstätigkeit der Assessoren. Doch
ist die zu besprechende Arbeit ein verdienstlicher erster Schritt.
Von den
mehr als 200 in Wetzlar arbeitenden Prokuratoren (S. 1, Liste S. 233-242)
begaben sich nur wenige auf die Felder der Lehre für Praktikanten und der
Schriftstellerei. Nach kurzen Bemerkungen zur Situation der Wetzlarer
Anwaltschaft (S. 1-5), die Appetit auf mehr Informationen zu dieser Thematik
machen, stellt die Verfasserin die Tätigkeit der Prokuratoren als Rechtslehrer (S.
10-98) sowie als Autoren (S. 99-227) dar, um in einem knappen Fazit die
Ergebnisse zusammenzufassen (S. 228-232). Der Abschnitt über die Lehrtätigkeit
ist nicht zufällig wesentlich kleiner als der über die Schriftstellerei, weil
zu diesem Teil der Tätigkeit von Prokuratoren nur zufällig Nachrichten
überliefert sind. Am besten ist die Quellenlage in dieser Hinsicht bei Herrn
von Bostell (S. 21-31), weil dieser Lehrmaterial publiziert hat, so daß die
Autorin ausführlich darlegen kann, was er in seinen Kursen vorgetragen hat. Das
ebenfalls etwas umfangreichere Kapitel über Damian Ferdinand Haas (S. 14-21)
bringt dagegen nur die knappen Angaben Bergsträssers darüber, daß dieser
regelmäßig über Kameralprozeß gelesen habe, während es im übrigen
um das bewegte Leben dieses Prokurators geht. Haas nahm von seinen Hörern 22
fl. Honorar (S. 14). Das mit 33 fl. (S. 22) weit höhere Honorar des Herrn von
Bostell erklärt sich wohl daraus, daß damit auch die Korrektur der
schriftlichen Arbeiten der Hörer abgegolten wurde. Die Verfasserin setzt diese
Einnahmen verdienstlicherweise mit Ausgaben für den Lebensunterhalt der
Praktikanten in Relation (S. 14, 22) - zur Zimmermiete von 2,5 bis 6
fl./monatlich und den 2,5 bis 4 fl./wöchentlich für das Mittagessen ohne Wein.
Diese Angaben sind nützlich, um die Aufwendungen der Praktikanten für diese
Veranstaltungen einordnen zu können. Welchen finanziellen Nutzen die
Prokuratoren aus ihrer Lehrtätigkeit ziehen konnten, wäre dagegen nur dann
abzuschätzen gewesen, wenn die Verfasserin sich auch noch der Abnehmerseite
zugewandt hätte. Sicherlich kann man nicht alle in der Praktikantenliste
aufgeführten Praktikanten als präsumptive Hörer werten, da nicht alle dieses
Angebot genutzt haben werden. Nicht zuletzt mußten aber auch die Prokuratoren
um die Gunst der Hörer mit Assessoren wetteifern, die sich ebenfalls als
Rechtslehrer betätigten. Da diese wegen ihres höheren Ansehens erfolgreicher
bei der Vermittlung von beruflichen Positionen gewesen sein dürften, war diese
Konkurrenz gewiß sehr ernst zu nehmen. Trotz dieser Unsicherheitsfaktoren
hätten Angaben über die Zahl der offiziell inskribierten Praktikanten doch
wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon vermitteln sollen, mit welchen
Hörerzahlen bestenfalls gerechnet werden konnte. Wichtige Informationen über
die Lehrtätigkeit der Prokuratoren sind aus der Publikation von Lehrschriften
zu gewinnen, die für von Bostell, Loskant d. J., Obrist, Sipmann und Ludolff
nachgewiesen werden (S. 32-98). Damit gleitet die Untersuchung über zu dem weit
umfangreicheren Abschnitt über die Publikationen von Prokuratoren (S. 99ff.).
Die Verfasserin teilt sie ein in Schriften zum Gericht und den Kameralprozeß
(S. 104-176), Schriften zu den beiden höchsten Reichsgerichten (S. 177-186) und
Schriften zu anderen Themen. Sie stellt die Publikationen inhaltlich vor, ohne
eine weitere Analyse vorzunehmen wie z. B., ob die Prokuratoren im Vergleich zu
der von Fahnenberg vorgestellten Kameralliteratur
gängige Problembereiche behandelten oder eher weniger bearbeitete. Überhaupt
läßt sie im Unklaren, weshalb sie gerade diese Autoren vorstellt. Dabei
leuchtet durchaus ein, daß sie aus arbeitsökonomischen Gründen nicht alle
Publikationen von Prokuratoren vorstellen kann (S. 103), zumal sie wegen der
Inhaltsreferate nur solche Publikationen berücksichtigen konnte, die heute noch
greifbar sind. Doch wüßte man gern präziser, wie sie ausgesucht hat. Hat sie
die einschlägigen Bibliographien zur Kameraljurisprudenz nach allen
Prokuratorennamen ihrer Liste systematisch durchforstet? Dann wäre es zumindest
für weitergehende Forschungen wichtig gewesen, die gefundenen Titel wenigstens
in einer Liste festzuhalten. So muß der Leser sich mit ihrer pauschalen Angabe
begnügen, daß sicherlich noch einmal die gleiche Zahl von Schriften verfügbar gewesen
sei wie die der von ihr untersuchten (S. 103). Mangels Kenntnis wenigsten der
Titel der nicht verwerteten Literatur sind daher auch die Angaben der Zahlen
einzelner behandelter Themenbereiche wenig aussagekräftig. Ob sich der Eindruck
geradezu aufdrängt, daß die Reichskammergerichtsanwälte die wahren Spezialisten
der Kameraljurisprudenz waren auch vor dem richterlichen Personal (S. 229) wäre
doch nur dann zu sagen, wenn die Verfasserin die übrige Literatur
vergleichsweise herangezogen hätte. So erscheint dies Wertung reichlich gewagt.
Einige ärgerliche Fehler wären vermeidbar gewesen: Natürlich hatte von Bostell
1786 und nicht 1886 seinen Lehrbetrieb aufgenommen (S. 21). In Bamberg saß damals ein Bischof und kein Erzbischof (S. 16). Der
Vorname des bekannten Hallenser Rechtshistorikers Lieberwirth ist weder ,Ralf‘ (S. XX) noch ,Ralph‘ (S 6, Anm 21), sondern
,Rolf‘. Die Arbeit verschafft erste Einblicke in bislang unbearbeitete
Problembereiche. Weitere Schritte müssen folgen.
Kronberg Bernhard
Dieselkamp