Backes, Uwe, Liberalismus und Demokratie – Antinomie und Synthese. Zum Wechselverhältnis zweier politischer Strömungen im Vormärz (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 120). Droste, Düsseldorf 2000. 571 S.

 

Die aufwendige Untersuchung widerlegt die verbreitete Annahme, daß sich im Vormärz die demokratische Partei vom Liberalismus abspaltete. Beide politische Richtungen standen bereits Anfang der 1840er Jahre nebeneinander, und nicht die Demokraten, sondern die Liberalen begründeten die Tradition des deutschen Verfassungsstaats.

 

Die politologische Habilitationsschrift, die 1996/97 der kulturwissenschaftlichen Fakultät in Bayreuth vorlag, beansprucht, nicht ideengeschichtlich, sondern begriffsgeschichtlich zu argumentieren. Sie konzentriert sich allerdings nicht allein auf den tatsächlichen Sprachgebrauch, sondern beschreibt auch die graduellen Unterschiede politischer Konzepte. Das läßt den methodischen Ansatz zweifelhaft erscheinen, entschädigt aber durch eine umfassende Aufarbeitung des begriffsgeschichtlichen Kontextes.

 

Der Verfasser stellt eine Gruppe liberaler einer Gruppe demokratischer Autoren gegenüber. Die sorgfältig abwägende, vom Verfasser jedoch selbst als problematisch empfundene Auswahl kann nicht vollständig sein; Teile und Ränder des Meinungsspektrums bleiben unberücksichtigt. Bedenklich ist, daß die zugrunde gelegten Begriffsinhalte nicht ausschließlich werkimmanent gewonnen werden, sondern aus vorweg bestimmten politisch-systematischen Positionen einzelner Publizisten. Dadurch steht immer schon die anfänglich festgelegte Zugehörigkeit des jeweiligen Autors zum liberalen oder demokratischen Lager im Vordergrund, und der Verfasser muß es als Erkenntnisgewinn verbuchen, wenn der von ihm erörterte Begriff zur ursprünglich angenommenen politischen Ausrichtung nicht paßt. Er kommt schließlich zu einer typologischen Neuunterteilung der von ihm eingangs gebildeten Gruppen der Liberalen und Demokraten und stellt einerseits Murhard, Rotteck und Welcker neben Pfizer, Jordan, Mohl und andererseits Dahlmann; Schulz, Blum, Jacoby neben Struve, Fröbel, Ruge und Wirth. Unklar bleibt zuletzt, welche realhistorische Relevanz diese Zuordnung besitzt. So schlüssig sie begründet scheint, erweckt sie doch den Verdacht, ausschließlich artifizielle Konstruktion zu sein.

 

Wertvoll ist die Arbeit durch ihre Dokumentation und verständige Diskussion der meistgebrauchten verfassungspolitischen Schlagworte des Vormärz. Acht Kapitel widmen sich jeweils einem staatsrechtlichen Terminus, seiner Geschichte, einer - soweit vorhanden - konservativen Gegenposition, dem Gebrauch bei den Liberalen, der Verwendung bei den Demokraten, und endet schließlich mit einem Vergleich der unterschiedlichen politischen Lager. Besonders ergiebig sind philosophisch vorgeprägte Begriffe wie Demokratie/Republik, Gleichheit, Volkssouveränität, Rechtsstaat, Reform/Revolution; daneben stehen die rechtstechnischen Bezeichnungen Konstitutionalismus, Repräsentation und Parteien/Verbände/Opposition. Stets sucht der Verfasser nach einer immanenten begrifflichen Polarisierung, um die verschiedenartigen politischen Auffassungen zu charakterisieren. So bildet er Gegensatzpaare, setzt dem Rechtsstaat die im Wohlfahrtsstaat vorhandene „Volksfreiheit“ entgegen oder der Volkssouveränität die „Volksregierung“ der Urversammlung. Ein einheitliches Bild liberaler oder demokratischer Begriffsbildung ergibt sich dabei bestenfalls approximativ. Im Einzelfall entfernten sich die Grundpositionen der Liberalen voneinander ebensoweit wie gegenüber den politischen Überzeugungen der Demokraten. Es herrschte ein weitgefächerter politischer Individualismus. ;Selbstdenken’ und Originalität genossen im Vormärz einen betont hohen Stellenwert.

Die politischen Konzepte der behandelten Autoren segmentiert der Verfasser, um sie auf vergleichbarer begrifflicher Ebene nebeneinander zu stellen. Beiläufig führt er dabei in Biographien ein, die bislang monographisch unerschlossen blieben. Dabei wird die Darstellung farbig und spannend. Zahlreiche Wiederholungen zeigen jedoch die Mühsal des Verfassers, das politisch Verbindende gruppenförmig herauszuarbeiten. Gleichwohl kommt er zu einer plastischen Gegenüberstellung: Während die Liberalen ein optimistisches Institutionenverständnis mit pessimistischem Menschenbild verknüpften, besaßen die Demokraten ein optimistisches Menschenbild mit geringem Sinn für Freiheitssicherung durch staatliche Einrichtungen. Mieden die Liberalen eine Machtzusammenballung auf seiten des Staates, waren für Demokraten Staat und Gesellschaft eins. Erblickten die Liberalen in der konstitutionellen Monarchie eine Möglichkeit eines Ausgleichs politischer Interessen und befürworteten das Zensuswahlrecht, setzten die Demokraten auf gerecht verteiltes Vermögen und Volkserziehung.

 

Die acht begriffsgeschichtlichen Momentaufnahmen sind auch isoliert lesenswert. Der Verfasser richtet sich darin nach einem Orientierungsgefüge aus (anti)demokratischen und (anti)konstitutionellen Tendenzen, doch bilden die disparaten politischen Positionen einen Querschnitt durch die gesamte oppositionelle Staatslehre des Vormärz. Besonders aufschlußreich ist die Darstellung der „Gleichheit“. Nicht antike, sondern urchristliche Vorbilder begleiteten die Entwicklung der modernen Vertragstheorien. Die Gleichheit vor Gott ließ z. B. für Welcker keine Unterschiede sittlicher Würde zu. Alle Liberalen waren sich darin einig, daß eine zwischen Freien und Gleichen vereinbarte Herrschaftsordnung Legitimität beanspruchen kann. Dagegen unterschieden die Demokraten zwischen natürlicher und rechtlicher Gleichheit. Weniger zurückhaltend als die Liberalen konnten sie deshalb ein allgemeines Wahlrecht fordern. Sie gingen aber nicht so weit, dieses auch Frauen zuzugestehen. Ebensowenig wollten sie ethnische Minderheiten rechtlich gleich behandeln. Das verhinderten überraschend häufig nationale wie biologistische Vorurteile.

 

Die Darstellung zeigt, daß Demokratisierungstendenzen nicht immer konstitutionelle Bestrebungen nach sich zogen. In einer Zeit ohne verfassungsrechtlich verbürgte Menschenrechte war die Verwendung eines Rechtsterminus wie „Gleichheit“ nicht allein uneinheitlich, sondern führte notwendigerweise zu Kontroversen. Der Verfasser spricht von einem „Laboratorium“, in dem sich erst allmählich gefestigte Begriffe herausbildeten. Überzeugend dokumentiert er diesen Weg als schleichende Entzweiung unterschiedlicher politischer Richtungen.

 

Vorsichtig und einfühlsam und nicht selten kritisch kommentiert der Verfasser seine Quellen. Daneben korrigiert er immer wieder den Forschungsstand. Galt bislang, daß die Demokraten im Vormärz Befürworter einer Revolution waren, widerspricht er dieser Auffassung. Er weist darauf hin, daß bereits die Verwendung des Wortes „Revolution“ tabuisiert war, ein Bekenntnis zur Anwendung von Gewalt allenfalls verschleiert abgegeben werden konnte. Solch verheimlichtes Einverständnis mit einem politischen Umsturz entdeckte er in Texten von Struve, Fröbel, Ruge und Wirth.

 

„Liberalismus und Demokratie“ von Uwe Backes bietet historische Grundlagenforschung. Die Untersuchung nimmt die Meinungsvielfalt, wie sie sich vor allem in dem von Rotteck und Welcker herausgegebenen „Staats-Lexikon“ in geradezu irritierender Weise findet, zum Anlaß, eine umfassende Bestandsaufnahme des die Paulskirchenverfassung vorbereitenden Denkens zu liefern. Das Werk ist keine Abendlektüre, dafür ist manches zu langatmig. Als Orientierungshilfe bei Forschungen über den Vormärz ist es aber auch Rechtshistorikern nützlich.

 

Frankfurt am Main                                                                                            Karl H. L. Welker