WadleKünastAugsburgerBuchdruck20010902 Nr. 1172 Nr. 1009 ZRG 119 (2002) 40

 

 

I. Künast, Hans-Jörg, „Getruckt zu Augspurg“. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555 (= Studia Augustana. Augsburger Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte 8). Niemeyer, Tübingen 1997. 373 S., Karte.
II. Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. Gier, Helmut/Janota, Johannes. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. 1413 S.

 

Daß Augsburg in der Geschichte des deutschen Buchwesens einen besonderen Platz einnimmt, ist seit langem bekannt. Die beiden hier anzuzeigenden Publikationen werden dem Rang der alten Bücherstadt voll gerecht, so unterschiedlich ihr Konzept auch sein mag.

zu I:

Künasts Monographie bietet eine wohlfundierte Bestandsaufnahme für die Zeit vom Beginn des Buchdrucks in Augsburg bis zum Reichstag von 1555, dem eine längere Phase der Stagnation des Buchmarktes vorangegangen ist. Die umfängliche Einleitung (1. Kapitel) zeichnet nicht nur den Stand der Erforschung der Buchgeschichte in der Wende zur Neuzeit im allgemeinen und der Augsburger Verhältnisse im besonderen nach; sie entfaltet auch eindringlich Ziele und Methoden der Arbeit. Dabei wird deutlich, daß der Verfasser zum ersten Mal den Versuch unternimmt, die Augsburger Buchproduktion quantitativ und qualitativ zu erfassen; mehr als 5900 Drucke hat der Autor mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung aufgenommen und klassifiziert. Die Ergebnisse werden in zahlreichen Tabellen und 121 Graphiken präsentiert. Neben den üblichen Daten, die die Buchgeschichtsforschung schon immer interessiert haben (unter den S. 20f. Anm. 78 aufgeführten 13 Merkmalen sind natürlich Buchtitel, Autoren, Name, Drucker/Verleger, Druckjahr, Papierverbrauch und vieles andere genannt; ob auch mitgeteilte Privilegierungen erfaßt worden sind, bleibt leider unklar; wohl aber ist anzunehmen, daß die Originalaufnahme des Titelblatts wenigstens die üblichen Privilegienvermerke enthält), stellt der Verfasser die Werke nach Sachgruppen zusammen; dazu erweitert er das von Miriam Usher Chrisman für Straßburg entwickelte Schema um zwei weitere Sachgruppen, nämlich eine für das jüdische und hebräische Schrifttum und eine für den „Musiknotendruck (ohne geistliche Musik und populäres Liedgut)“ (S. 27). Neben diesen Daten stützt sich der Verfasser auch auf die Bestände des Stadtarchivs Augsburg und anderer Archive. Da in Augsburg weder Buchdrucker noch Buchführer zünftig verfaßt waren, mußten die einschlägigen Informationen aus den allgemeinen Quellenserien des 15. und 16. Jahrhunderts gesammelt werden, eine mühsame und langwierige Arbeit, die eine profunde Kenntnis der Archivalien voraussetzt. Daß sich die Mühe gelohnt hat, zeigen die in vier weiteren Kapiteln mustergültig vorgestellten Ergebnisse.

Das zweite mit 86 Seiten umfangreichste Kapitel behandelt „das Augsburger Druckgewerbe“ selbst, insbesondere seine aus Steuerlisten und Gerichtsbüchern erschlossenen Finanzierung durch Eigenkapital der Drucker einerseits und Fremdkapital unterschiedlicher Provenienz andererseits. Sodann werden der Bildungsstand der Drucker und das sie tragende örtliche und überregionale Personengeflecht, sowie Personal und Zulieferer dargestellt. In entsprechend präziser Weise geht der Verfasser im dritten Kapitel (34 S.) auf Buchhandel, Buchführer und Verleger, ihr Personal und ihre Aktivitäten ein. Das vierte Kapitel (19 S.) ist der Zensur gewidmet, bevor die Buchproduktion nach Gesamtumfang wie Sachgebieten im fünften Kapitel (33 S.) dargestellt werden.

Aus der Fülle der Beobachtungen, die hier nicht annähernd wiedergegeben werden kann, sei lediglich hervorgehoben, daß Augsburg insoweit eine „Ausnahmestellung im Europa des 15. Jahrhunderts“ (S. 222) einnahm, als Dreiviertel der Produktion für den lesefähigen Laien zugänglich waren, nämlich die volkssprachliche Naturwissenschaft und Literatur, deutsche Bibelausgaben und deutschsprachige Werke der Theologie. Die abschließende Zusammenfassung macht dementsprechend noch einmal deutlich, daß die Augsburger Drucker in der deutschen Literatur eine „lukrative Marktnische“ entdeckt und damit eine „führende Stellung auf dem Buchmarkt für deutschsprachige Literatur“ (S. 253) errungen hatten.

Wer sich künftig mit der Frühgeschichte des deutschen Buchwesens befassen will, wird an Künasts ebenso klar geschriebenem wie reichhaltigem Werk nicht vorbeigehen können.

 

zu II:

Das zweite hier vorzustellende Buch ist ein wahres Kompendium: das großformatige Riesenwerk (1413 S.), dessen Redaktion in den Händen von Hans-Jörg Künast lag, will die „Bedeutung Augsburgs in der Geschichte des deutschen, ja des europäischen Buchdrucks und Verlagswesens“ herausstreichen und „die teilweise recht verstreuten Detailarbeiten ... nicht nur zu einer handbuchartigen Gesamtübersicht bündeln, sondern durch eigene Forschungsergebnisse eine Grundlage schaffen, auf der nunmehr gezielt weitergearbeitet werden kann ...“ – so das Vorwort der Herausgeber. Diesem Doppelzweck wird das Werk – trotz seines benutzerunfreundlichen Gewichtes (rd. 4,5 Kg) – voll gerecht. Das riesige Themenfeld ist in drei zeitlich bemessene Abschnitte (15. bis Mitte 17. Jahrhundert/Mitte 17. bis Ende 18. Jahrhundert/19. bis 20. Jahrhundert) unterteilt; einzelne Beiträge ragen freilich weit über den jeweiligen Zeitrahmen hinaus, in den sie schwerpunktmäßig eingeordnet worden sind. Jeder Teil wird durch „Entwicklungslinien“ (Künast) und Übersichten (Gier, Schmid, Hillesheim) eingeleitet und präsentiert in insgesamt 52 Aufsätzen (aufgeteilt nach Abschnitten: 21, 17, 14) vermutlich jedes für die Geschichte des Augsburger Buch- und Druckwesens wichtige Thema. Stichworte wie „Papierherstellung“, „Drucktechnik“ und „Druckmaschinenbau“; wie „Schriftentwicklung“, „Buchillustration“ und „Titelblatt“; wie „Musik-, Einblatt- und Landkartendruck“; wie „Buchführer“, „Buchdruckergesellen“ und „-gewerkschaften“ können hier nur einen ersten Eindruck der Vielfalt technik-, kunst- und sozialgeschichtlicher Fragestellung vermitteln. Für inhaltsbezogene Aspekte mögen die Schlagworte „liturgischer Buchdruck“, „Predigtliteratur“, „Mirakelbücher“, „volkssprachlich-medizinischer Buchdruck“, „Architekturpublikation“, „Zeitungen und Zeitschriften“ stehen. Für den Rechtshistoriker seien die Beiträge über „kaiserliche Privilegien“ (Hans-Joachim Koppitz) und „Censur und Censurkollegien (Wolfgang Wüst) eigens genannt.

Alles in allem ein nahezu unerschöpflicher Vorrat an einschlägigen Informationen, die durch eine Dokumentation „Augsburger Buchdrucker und Verleger“ (Hans-Jörg Künast) und mehrere Register gut erschließbar sind. Die Hoffnung der Herausgeber wird nicht trügen: auch an diesem Werk wird künftig niemand vorbeikommen, der sich mit deutschem Buch- und Verlagswesen befaßt.

 

Saarbrücken                                                                                                              Elmar Wadle