Pross, Harry,
Zeitungsreport. Deutsche Presse im 20. Jahrhundert. Hermann Böhlaus
Nachfolger, Weimar 2000. VIII, 334 S. 21 Abb.
Mit der
Begrüßung des Jahres 1900 durch die Presse fängt die Monographie von Harry Pross an. Dennoch wirkt der Band wie eine sentimental journey
in die siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Pross
ist einer der Altmeister der Medienkonzentrationsforschung und
Medienwirkungsforschung und war von 1968 bis 1983 Professor für Publizistik an
der Freien Universität Berlin. Er möchte in seinem „roundup
zum Jahrhundertwechsel“ (335) als „beobachtender Teilnehmer“ das Verhältnis der
Presse zu der jeweiligen Staatsform untersuchen und auch polemisch kommentieren
(VII). Dabei will er sich besonders der Frage nach der Funktionsweise der
Presse in der „doppelten“ Abhängigkeit von Pressegesetzen und wirtschaftlicher
Macht widmen.
Die
Exposition verrät es: Pross kann nur eine
Verfallsgeschichte erzählen. Und richtig, er beginnt seine Betrachtung mit der
Klage, wie die Zeitungen bereits im Kaiserreich „zunehmend abhängig vom
Inseratenaufkommen und den inserierenden Wirtschaftskräften“ wurden. Dies habe
„mit zunehmenden Auflagen und Vermehrung der Publikation zu immer einsehbareren
Meinungskartellen“ geführt (24). Auch nach dem Ersten Weltkrieg seien, so Pross, Chancen vertan worden, die Presse „vom
internen Druck des Kapitals zu befreien“ (51). Vom Annoncenteil abhängige
Zeitschriften hätten „die Oberhand“ behalten (52). Als nahezu zwangsläufig
erscheint das Aufkommen von Alfred Hugenbergs Pressekonzern. Durch ein
Reichspressegesetz von staatlicher Seite in die Zange genommen, habe der
„branchenübliche Opportunismus des antizipierenden Gewerbes (...) 1930/31 eine
braune Tönung“ angenommen (79), gipfelnd in der Katastrophe der Konzentration
von Macht und Medien im Dritten Reich (102). Pross‘
Idealbild ist demgegenüber die liberale Presse des 19. Jahrhunderts, die noch
nicht dem Druck der Anzeigenkunden ausgesetzt gewesen sei (26). Ob dieses Bild
des 19. Jahrhunderts sich auch aus den Quellen belegen läßt, ist allerdings
fraglich. Immerhin bestand schon um 1860 die „Vossische
Zeitung“ zu zwei Dritteln aus Anzeigen.[1]
Pross gewinnt seinen erzählerischen Elan
aus der moralischen Entrüstung über die Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Diese macht er (nicht immer ganz trennscharf) an zwei Aspekten fest: an der
äußeren Begrenzung durch (juristische) Staatsintervention und an der inneren
durch (wirtschaftliche) Medienkonzentration. Da er beide mit der gleichen
Empörung beschreibt, bleibt die versprochene Analyse des Wechselspiels von
Presse und Regierungsform im Verlaufe der Epochen (immerhin behandelt er das
Kaiserreich, die Weimarer Republik, NS-Deutschland, die beiden deutschen
Staaten nach 1945 und das wiedervereinigte Deutschland) auf halbem Wege stehen.
An Spannung
gewinnt die Darstellung bei Pross‘
Schilderung der Entwicklung der bundesdeutschen Presse ab 1945. Pross‘ Mißtrauen gegen die Vereinigten
Staaten einerseits (198) und die bundesdeutsche Justiz andererseits vermittelt
noch einmal einen authentischen Eindruck von den Debatten der siebziger Jahre.
Und so erschrickt man auch nicht beim Anblick des Wiedergängers der
„psychischen Gewalt“. Diese Rechtsfigur aus der Spiegel-Affäre (203ff.) scheint, obwohl sie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 10. Januar 1995 für
verfassungswidrig erklärt hat,[2]
für Pross nicht recht tot zu sein. Noch für
1999 wirft er der deutschen Rechtsprechung vor, „bei passivem Widerstand,
defensivem Verhalten, wie Nichtweitergehen, Sitzenbleiben, demonstrativem
Handhalten und ähnlichen Staatsaktionen (...) im magischen Bockshorn zu sitzen,
in das sie seinerzeit die für deutsche Verhältnisse exzessive Inanspruchnahme
der Meinungsfreiheit gejagt hat“ (206f.). Und weiter mutmaßt er: „Es fehlte
nicht viel, und man würde auch heute den Arbeitskampf wieder als verbotene
Gewalt interpretieren, wäre er nicht durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit
institutionalisiert“ (207). Diese Fundamentalkritik wird von Pross nicht weiter belegt, etwa durch eine
Auseinandersetzung mit der - durchaus bedenklichen – Konstruktion des
„körperlich wirkenden Zwangs“ durch den Bundesgerichtshofs.[3]
Einen
weiteren Verfall der Meinungsfreiheit macht Pross
in dem Auftauchen „einer elektronisch gesteuerten Spannungsindustrie im Jahr
2000“ aus (1). Die „sittliche(n) Forderung der Presse- und Medienfreiheit“
könne im Zeitalter der Globalisierung und dem Postulat der „Wirtschaftlichkeit
technischer Signale“ nur untergehen. An dieser Stelle wäre eine
Auseinandersetzung mit den aktuellen medientheoretischen Debatten, etwa über
Freiheit und Kontrolle im Cyberspace, wünschenswert gewesen. Die auf
Globalisierung der Kommunikation angelegten Neuen Medien[4]
sind nicht nur offen für Konzentrationsprozesse,[5]
sondern eröffnen mit ihren egalitären Zugangsmöglichkeiten gerade Chancen für
eine aktiv partizipierende politische Öffentlichkeit.[6]
Pross macht durch die hochmoralische
Polemik seiner zu einfachen Antworten viele seiner durchaus interessanten
Fragen zunichte. Das Verhältnis von Staat und Presse wäre in der Tat ein
reizvoller Gegenstand gewesen, insbesondere auch aus rechtshistorischer
Perspektive.[7] Hier
hätten die Kontinuitäten und Brüche staatlicher Zugriffsversuche auf die Presse
analysiert werden können; etwa die Traditionen des Denkens, die sich in den
staatlichen Versuchen äußerten, nach dem Zweiten Weltkrieg einen
regierungstreuen Sender zu installieren (182ff.).
Auch die von Pross verfolgte zweite Linie, die
das Verhältnis von journalistischer Meinungsäußerung zu wirtschaftlichen
Postulaten und die Geschichte der „inneren“ Pressefreiheit beschreibt, wäre ein
lohnendes Forschungsobjekt gewesen.
Frankfurt am Main Margrit Seckelmann
[1] ) Rudolf Stöber, Deutsche Pressegeschichte. Einführung, Systematik, Glossar, Konstanz 2000. Vgl. die Besprechung in diesem Band.
[2] ) BVerfGE
92, 1, - „Sitzblockaden II“.
[3] ) BGHSt 41, 182 –
„Kurdendemonstration“.
[4] ) Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl., Wiesbaden 2000; Marshall McLuhan / Bruce R. Powers / Claus-Peter Leonhardt, The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert; Norbert Bolz, Weltkommunikation, München 2001.
[5] ) Rudolf Maresch/Niels Werber (Hrsg.) Kommunikation. Medien. Macht, Frankfurt/Main 1999
[6] ) Patrick Donges/ Otfried Jarren, Politische Öffentlichkeit durch Netzkommunikation, in: Klaus Kamps (Hrsg.), Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation, Opladen 1999, 85-108; Meike Zwingenberger, Gemeinschaftsformen in der globalen Informationsgesellschaft; in: Winand Gellner/Fritz von Orff (Hrsg.), Demokratie und Internet, Baden Baden 1998, 227 - 239; Manfred Faßler/Wulf R. Halbach (Hrsg.), Cyberspace. Gemeinschaften, Virtuelle Kolonien. Öffentlichkeiten, München 1994.
[7] ) Vgl. etwa: Dirk Dunkhase, Das Pressegeheimnis. Wandel und Perspektiven gesetzlicher Sicherungen der Pressefreiheit gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen (= Schriften zu Kommunikationsfragen, Bd. 24), Berlin 1998.