RanieriCentralismo20000324 Nr. 1011 ZRG 118 (2001)
Centralismo e federalismo tra Otto e Novecento. Italia e
Germania a confronto, a cura di Janz, Oliver/Schiera, Pierangelo/Siegrist,
Hannes (= Annali dell’Istituto storico italo-germanico 46). Società editrice
il Mulino, Bologna 1997. 388 S.
Im hier anzuzeigenden Band werden die Akten einer Tagung zum Thema
„Centralismo e federalismo nell’Ottocento e nel Novecento. Italia e Germania a
confronto/Zentralismus und Föderalismus im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland
und Italien im Vergleich“ veröffentlicht, welche zusammen von der Arbeitsstelle
für Vergleichende Gesellschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin und vom
Deutsch-italienischen historischen Institut in Trient in Berlin im Dezember
1995 veranstaltet wurde. Die damaligen Organisatoren Oliver Janz, Pierangelo
Schiera und Hannes Siegrist fungieren auch als Herausgeber der
Akten. Zunächst sei Einiges zum Inhalt der Veröffentlichung wiedergegeben.
Diese wird mit einer „Introduzione“ eröffnet, und zwar durch einen Beitrag von Oliver
Janz und Hannes Siegrist einerseits und einen zweiten Beitrag aus
italienischer Sicht von Pierangelo Schiera. Die Autoren fassen hier
Aufgabenstellung und Ergebnisse der Tagung zusammen. Es geht im Kern um die
vergleichende verfassungsgeschichtliche Analyse der Staatswerdung in Italien
und in Deutschland im vergangenen und in diesem Jahrhundert, vor allem um die
Frage, inwieweit ein Zentralstaat einerseits und Regionalkräfte andererseits in
der Staatsgeschichte beider Länder gewirkt haben. Ein erster Abschnitt des
Bandes ist den historischen Voraussetzungen gewidmet, welche sowohl in
Deutschland als auch in Italien die Entstehung eines Zentralstaates
charakterisieren. So
schreibt Marco Meriggi über „Centralismo e federalismo in Italia. Le aspettative preunitarie“ (S. 49ff.), wo vor allem von der Rolle der
präunitarischen Staaten in der italienischen Verfassungsgeschichte die Rede
ist. Parallel dazu
behandelt Otto Dann „Il cammino della Germania verso l’unità nazionale
alle luce della problematica federalista“ (S. 65ff.). Über die Bedeutung des Föderalismus in der italienischen
Verfassungsgeschichte schreibt Carlo Ghisalberti (S. 93ff.) „Stato unitario e federalismo
in Italia“. Parallel dazu der Beitrag von
Will man den Ertrag des Bandes würdigen und insgesamt zusammenfassen, so
kann man ohne weiteres feststellen, daß die Summe der einzelnen Beiträge einen
wertvollen Einblick in eine vergleichende Verfassungsgeschichte zwischen
Italien und Deutschland bietet. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts findet in beiden
Ländern im Anschluß an die Napoleonische Ära eine politische Modernisierung
statt. Diese hat sich vor allem in Deutschland zum Vorteil der einzelnen
Staaten ausgewirkt und damit langfristig die polyzentrische Struktur der
deutschen Föderalverfassung strukturell vorbereitet. Dies gilt viel mehr als in
Italien, wo solche Modernisierungstendenzen eher unter dem Gesichtspunkt einer
ausländischen Herrschaftsausübung gesehen wurden. Sowohl in Deutschland als
auch in Italien, obwohl aus unterschiedlichen historischen Gründen, war
keinesfalls ein unitarischer Zentralstaat das Modell, das in der
nationalliberalen Perspektive den Vorrang hatte. Was in Deutschland als
Identifikation auch der liberalen Kräfte mit den einzelnen Staaten des
deutschen Bundes zu sehen ist (so die Beiträge Danns und von
Falkenhausens), ist in Italien eher Konsequenz der rückständigen
traditionalistischen Kräfte in den Einzelterritorien und keinesfalls Ausdruck
des aufkommenden Liberalismus (so der Beitrag Meriggis). Mit der
Begründung der Nationalstaaten in beiden Ländern verstärken sich diese
Unterschiede. In Italien fehlten die Voraussetzungen für eine föderale Lösung
auf der Grundlage der einzelnen nationalen Dynastien. Diese waren nicht bereit,
auf ihre souveränen Rechte zu verzichten. Die Präsenz des Kirchenstaates und
der österreichischen Provinzen in Norditalien haben den Werdegang einer
derartigen föderalen Struktur in Italien zusätzlich erschwert. Die
süditalienischen Territorien kannten übrigens eine derartige regionale
Tradition in ihrer Geschichte nicht. Dieses sind die wesentlichen Gründe, warum
in Italien der italienische Einheitsstaat sich relativ rasch als Zentralstaat
konsolidieren konnte (so die Beiträge Meriggis und Ghisalbertis).
Anders dagegen der deutsche Nationalstaat von 1871. Dieser war von vornherein
eine Summe von föderalen und unitarischen Strukturen. Die Stärke der
Regionalkräfte und der Ländertraditionen hat also in der deutschen
Staatswerdung die föderale Struktur von vornherein geprägt (Langewiesche).
Die unterschiedlichen Rollen von Zentralkräften und Föderalkräften in beiden
Ländern sind ferner auch auf die unterschiedlichen Formen der nationalen
Selbstidentifikation der Bevölkerung in Deutschland und in Italien
zurückzuführen. Der deutliche Zentralismus des Ersten Italienischen Königreichs
von 1861 - vielleicht auch verbunden mit einer eher paternalistischen Haltung
der liberalen Führungselite und einer patriotischen Rhetorik - wirkte zunächst
keinesfalls förderlich auf die soziale, politische und vor allem ideologische
Integration der Bevölkerung. Der Zentralstaat begegnete in Italien einer sehr
fragmentierten Gesellschaft, welche vor allem lokalen und familiären
Loyalitäten verpflichtet war. Es fehlten Zwischenebenen der politischen und der
Verwaltungsstruktur. Die Folge war eine Ambivalenz zwischen nationaler und
lokaler Ebene. Anders in Deutschland, wo bereits zum Zeitpunkt der
Reichsgründung fest etablierte staatliche Ländertraditionen existierten und
etabliert waren. Gerade die föderale Struktur des Deutschen Reiches war eine
Voraussetzung für eine langfristige Akzeptanz des nationalen Elements und der
nationalen Vereinigung (Langewiesche). Erst der Erste Weltkrieg mit
seiner totalen Mobilisierung der nationalen Ressourcen und der Bevölkerung
beschleunigte die Tendenzen zur Bürokratisierung, zur Staatsintervention und
damit zu einer stärkeren zentralstaatlichen Wirkungsmöglichkeit. Dies gilt vor
allem für Italien, wo erst im Weltkrieg Staat und Nation zu einer konkreten
Wirklichkeit für die breiten Bevölkerungsschichten wurden. Weder der
italienische Zentralstaat noch der deutsche Föderalstaat waren allerdings in
der Lage, den diktatorischen Tendenzen des Faschismus und des
Nationalsozialismus zu widerstehen. Gerade die Erfahrung des
Nationalsozialismus führte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Verstärkung und
verfassungsrechtlichen Verankerung der Föderalverfassung in der Bundesrepublik
Deutschland im Gegensatz etwa zu der staatsrechtlichen Entwicklung der
ehemaligen DDR, wo 1952 die Länderverfassung endgültig aufgehoben wurde. Es ist
aber nicht überraschend, daß gerade während des Prozesses der Wiedervereinigung
die alten staatlichen und regionalen Traditionen in Ostdeutschland
wiederauflebten, so daß die Wiederentstehung der alten Länder problemlos an die
alten territorialen und föderalen Strukturen anknüpfen durften. Anders in Italien,
wo die in den letzten Jahren aufgekommene Diskussion um regionale Autonomien
nicht an eine historische Wurzel anknüpfen kann, zumal die städtischen und
nicht regionalen Traditionen in der italienischen Geschichte weit stärker
waren.
Alles in allem bieten die Beiträge des Bandes einen vorzüglichen Einblick
in die staatliche und verfassungsrechtliche Entwicklung Deutschlands und
Italiens im 19. und im 20. Jahrhundert. Für den Leser, der an der
Verfassungsgeschichte der beiden Länder - vor allem in einer vergleichenden
Perspektive - interessiert ist, dürfte dieser Band eine Standardlektüre werden.
Saarbrücken
Filippo Ranieri