EbelMeuten20000801 Nr. 10131 ZRG 118 (2001)

 

 

Meuten, Ludger, Die Erbfolgeordnung des Sachsenspiegels und des Magdeburger Rechts (= Rechtshistorische Reihe 218). Lang, Frankfurt am Main – Berlin – Bern – Brüssel – New York – Oxford – Wien 2000. 351 S.

Arbeiten zum Deutschen Privatrecht sind selten geworden, das Fach ist nicht mehr modern. Entstanden als Legitimationswissenschaft für politische Anliegen, ist seine Erforschung gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Weg zunehmender Differenzierung gegangen, hat mit dieser zeitgenössischen Modernität den Rang der deutschen Germanistik mitbegründet, durch die Aufnahme als Sonderfach in der nationalsozialistischen Studienreform einen negativen Akzent erhalten und ist seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts beinahe verstorben. Meuten greift in seiner Gießener Dissertation ein Thema auf, dem um die Wende zum 20. Jahrhundert wichtige, prägende Monographien gewidmet worden sind (Wasserschleben, von Amira, Sydow, Brunner u. a.), die das Spannungsfeld zwischen den immer stärker differenziert gesehenen Landschafts- (und Stammes-)rechten einerseits, die Bewegungen der dort vorhandenen Rechtskreise (Leiser sprach 1974 von „schichtenspezifischem“ Privatrecht) andererseits ins Bewußtsein rückten. Im nord- und ostdeutschen Raum waren es das Landrecht (des Sachsenspiegels) und das (Magdeburger) Stadtrecht, die den Gegenstand der Untersuchungen ausmachten. Hier begünstigte die Untersuchung des Sachsenspiegelrechts eine eher statische Sicht, denn Weiterentwicklungen waren kaum dokumentiert, aus inneren Gründen auch wenig wahrscheinlich und führten seit dem 15. Jahrhundert zwangsläufig zu einer stärkeren Berücksichtigung des ius commune, während das Stadtrecht per se schon Recht in Bewegung darstellte und seine Quellen reich und schon früh sehr differenziert erkennbar waren.

Während der Kreis der landrechtlichen Quellen sich seit den erwähnten älteren Arbeiten kaum erweitert hat, ist dies beim Magdeburger Stadtrecht anders. Es sind seit 1900 umfangreiche Editionen von Judikaten veröffentlicht worden (Friese/Liesegang, Kisch, Goerlitz, Weizsäcker, Grosch/Buchda, Friedrich Ebel, dazu viel Verstreutes in Urkundenbüchern) und schließlich ist das Magdeburger Recht, auch in seiner Entwicklung, fast nur aus Präjudizien zu erkennen, kaum aus Statuten und wenig aus mittelalterlicher theoretischer Rechtsliteratur. Meuten nimmt sich nun neben den seit jeher ausgewerteten Quellen auch diesem neuen Material an, und dies sehr erfolgreich.

Nach einem Problemaufriß leistet er eine Analyse der Erbfolgeordnung zunächst des Sachsenspiegels (S. 37-129). Der Bogen beginnt bei den grundlegenden loci des Rechtsbuchs, umgreift die Regeln der Kirche und setzt sich mit den Thesen der Literatur auseinander. Die „Gliederzählung“ von SspLdR I 3 § 3 hält der Verfasser für konsequent durchgeführt, was eine nachvollziehbare Deutung der Fälle der Halbgeburt zur Folge hat.

Umfangreicher sind die Untersuchungen zum Magdeburger Recht (S. 131-301), angesichts der Quellenlage verständlich. Freilich ist hier eine Unschärfe zu konstatieren. Es werden nicht nur die eigentlichen Magdeburger Quellen zu Grunde gelegt, sondern auch - ohne erkennbares Prinzip ausgewählte - Stadtrechte des Magdeburger Rechtskreises sogar solcher Stadtrechte, die mit Magdeburger Recht wenig mehr als eine allgemeine Nähe aufweisen. Die durchaus vorhandenen Besonderheiten dieser Stadtrechte werden dabei nicht erkennbar; die infizierende Wirkung des Magdeburger Rechts wird indessen nur in der Spruchtätigkeit der Magdeburger Schöffen und allenfalls der ein Eigengewicht gewinnenden einschlägigen Rechtsbücher wirksam. Das beginnt bereits bei der Genese vieler solcher Stadtrechte. So sind die thüringischen Städte Herde des ursprünglich fränkischen Rechts (das vielfach statutarisch fixiert weiterlebt), während eigentlich nur auf dem Land der Sachsenspiegel das Recht saxonisiert. Für Preußen, Schlesien und viele kleinere Gegenden auch Mitteldeutschlands (s. schon das Wort „Fläming“) ist flämisches Recht relevant, was im Bewußtsein des Mittelalters stets präsent blieb. Goslar, dessen Recht vor allem im Meißener Rechtsbuch erscheint, war zwar eine Königsstadt auf sächsischem Boden; ihr Recht aber ist stark fränkisch beeinflußt. Und auch die Tochterstädte Magdeburger Rechts, vor allem wenn sie selbst Oberhoffunktion wahrnahmen wie etwa Leipzig, Halle, Breslau, gaben den Entwicklungen eigene Akzente.

Doch liegt das Schwergewicht von Meutens Forschungen klar auf den Magdeburger Zeugnissen; vor allem die Spruchtätigkeit ist erschöpfend berücksichtigt. Die Passagen über die Halbgeburt sind schönes Zeugnis fleißigster exegetischer Arbeit an den disparaten Quellen; hier ist dem Verfasser wohl kein relevantes Judikat entgangen. Die Fülle der Konkurrenzen der Erbprätendenten zeigen zum einen die juristische Qualität der mittelalterlichen Stadtschöffen; von hier aus ist jedenfalls kein Argument für den Erfolg des ius commune zu gewinnen. Freilich war die Rezeption im sächsischen Stadtrechtsbereich später und schmaler erfolgreich als anderswo. Zugleich wird die Beeinflussung der Rechtsordnung durch die zunehmende soziale Differenzierung wie die Rechtserheblichkeit wirtschaftlich immer folgenschwererer Erbfälle sichtbar.

Im Ergebnis wird die grundsätzliche Übereinstimmung der Erbfolgeordnungen des Sachsenspiegels und des Magdeburger Rechts konstatiert, insbesondere auch für die Gliederzählung an Stelle der Parentelenordnung. Ein Ausblick auf die Entwicklung bis zum Ende des 16. Jahrhunderts mit zunehmendem Einfluß des gelehrten Rechts rundet die gelungene Arbeit ab, die einen schönen Beweis für die nach wie vor ertragreiche Befassung mit Themen des „Deutschen Privatrechts“ darstellt.

Berlin-Dahlem                                                                                    Friedrich Ebel