Hofman, Johan Tjerk, Das Ältere Schulzenrecht in neuem Licht – Prozessrechtliche Entwicklungen in einer mittelalterlichen friesischen Rechtsaufzeichnung (= Rechtshistorische Reihe 498). Lang, Berlin 2022. 365 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Die Friesen sind zwar wie die meisten Deutschen und Niederländer aus den Germanen erwachsen, sind aber doch zu einem an der (südlichen) Nordsee siedelnden, in dem ersten nachchristlichen Jahrhundert durch Plinius erwähnten, innerhalb des Westgermanischen eine eigene Sprache entwickelnden Volk geworden, das bis 785 von den Franken unterworfen wird. Um 802 wird in der lateinischen Lex Frisionum erstmals ihr Recht aufgezeichnet, an das sich seit dem Hochmittelalter zahlreiche in der Volkssprache gehaltene Quellen friesischen Rechtes anschließen. In dem ausgehenden 20. Jahrhundert sprechen noch rund 300000 Menschen in Deutschland und in den Niederlanden die friesische Sprache.
Mit dem besonderen Älteren Schulzenrecht beschäftigt sich die von Peter Oestmann betreute, in dem Sommersemester 2022 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster angenommene Dissertation des in Groningen und Münster in Germanistik, Niederlandistik, Altgermanistik und Rechtswissenschaft ausgebildeten, früher als Gymnasiallehrer in den Niederlanden tätigen und trotz großer geographischer Distanzen von seinen Kindern immer mental unterstützten Verfassers. Sie gliedert sich nach kurzem Vorwort, Abkürzungsverzeichnis, Einleitung (Zielsetzung und Fragestellung, Methode der Analyse, Charakterisierung des friesischen Rechts im Mittelalter, Forschungsstand) und einem Kurzüberblick über die friesische Geschichte sowie über die Datierung der untersuchten Quelle in sechs inhaltliche Abschnitte. Sie betreffen die an dem Verfahren beteiligten Personen, die Struktur der Gerichte, das Gerichtsverfahren, das Beweisverfahren, die Ordalien (Zweikampf, Kesselfang) und Spuren des kanonischen Rechts im Älteren Schulzenrecht.
In den Ergebnissen seiner das Ältere Schulzenrecht als mittelalterliche Rechtsaufzeichnung über das gerichtliche Verfahren in dem westerlauwersschen Friesland beschreibenden Untersuchung verwendet der Verfasser von den vier überlieferten Fassungen seines 81 Artikel aufweisenden, keine Hinweise auf Namen des Kompilators oder die Provenienz der Quellen bietenden, thematisch in willkürlicher Ordnung konzipierten und vermutlich über eine längere Zeitspanne entstandenen Textes als Hauptquelle die Fassung aus dem Jus municipale Frisonum und geht davon aus, dass grundlegende Studien über das friesische Prozessrecht nicht vorhanden sind. Nach seiner ansprechenden Ansicht, kann Friesisch als Schreibsprache kaum früher als in der Zeit kurz nach dem 13. Jahrhundert angewandt worden sein. Angeblich neue, von außen aufgenommene Rechtsvorstellungen könnten nach seinen Erkenntnissen durchaus bereits in den indigenen Rechtsstrukturen in eigener Form bestanden haben, wofür zukünftige Untersuchungen einen Beitrag zu einer Klärung liefern könnten.
Innsbruck Gerhard Köbler