OppitzGlossenzumsachsenspiegelLRpetrin20210924 Nr. 17564 ZIER 11 (2021) 33. IT

 

Glossen zum Sachsenspiegel – Landrecht: Petrinische Glosse, hg. v. Kaufmann, Frank–Michael. 3 Teilbände (= Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici antiqui, Nova series Band 11) Harrassowitz, Wiesbaden 2021. LXXXV, VIII, VIII, 1 – 376, 376 – 844, 845 - 1260 S., 16 Abb.

 

Seitdem 1882 der Glossenforscher Emil Steffenhagen eine seiner Untersuchungen der Petrinischen Glosse gewidmet hat, wurde erst jetzt durch Frank-Michael Kaufmann, den unermüdlich schaffenden Mitarbeiter der Arbeitsstelle „Sachsenspiegel – Glossen“ der Monumenta Germaniae Historica bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, eine Edition dieser Glosse vorgelegt. Diese Ausgabe reiht Kaufmann an die schon von ihm besorgten Editionen der Buch’schen Glosse zum Sachsenspiegel – Landrecht (2002) mit dem Glossar zu diesem Text (2015), der Kürzeren Glosse zum Sachsenspiegel – Lehnrecht (2006) und der Längeren Glosse zum Sachsenspiegel – Lehnrecht (2013). Angesichts dieser Produktivität ist die Entscheidung zur Einrichtung dieser Arbeitsstelle und die Auswahl des dafür verantwortlichen Herausgebers als ein Glücksfall für die Quellenerschließung zu betrachten. Mit der nun vorgelegten Edition wird der wissenschaftlichen Welt eine modernen Ansprüchen genügende historisch–kritische Ausgabe dieses Quellentextes zur Verfügung gestellt. Kaufmann konnte, nach den vergeblichen Bemühungen von Gelehrtengenerationen, mit seinen Glossenausgaben auf verlässlicher Textgrundlage die spätmittelalterliche Quellengattung „Sachsenspiegel – Glossen“ Historikern und Juristen für weitergehende Forschungen erschließen. Kaufmanns Arbeiten erfüllen die Ansprüche, die Steffenhagen 1877 in einer Darstellung zu einer kritischen Bearbeitung der Sachsenspiegel–Glosse stellte: „von entscheidender Bedeutung ist die Wichtigkeit der Glosse für die Receptionsgeschichte der fremden Rechte und ihr Einfluss auf die spätere Rechtsliteratur“. Manche wissenschaftliche Arbeiten nutzen bereits die durch Kaufmann bereitgestellten Quellen. Die Petrinische Glosse verdankt ihren Namen Petrus de Posena, den Kaufmann mit der Mehrheit der Fachgelehrten als Schöpfer der Glosse wertet. Ihre Entstehungszeit in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts liegt etwa ein Jahrhundert nach der Buch’schen Glosse. Der Edition zugrunde gelegt sind die beiden Handschriften, deren eine den Text des Sachsenspiegel Landrechts (ohne Glosse) und die andere den Text der dazugehörigen Glosse (ohne den Text) enthält. Die drei weiteren Träger der Überlieferung sind in der Edition herangezogen; eine Synopse im Anhang des III. Teilbandes (S. 1060 – 1153) zeigt den Vergleich des Textbestandes. In der Berliner Handschrift, die ehemals in der Ritterakademie zu Brandenburg war, fand Kaufmann erheblich mehr Entnahmen aus der Petrinischen Glosse, als sie Steffenhagen bei seiner Untersuchung gefunden hatte. Offen lässt der Bearbeiter die Frage, wieviele Handschriften der Petrinischen Glosse außer den jetzt vorhandenen möglicherweise noch existierten. Dies lässt ihn vernünftigerweise davon absehen, neben dem nachgedruckten Stemma Steffenhagens den Versuch eines eigenen Stemmas aufzustellen. Der Bearbeiter zeigt zwar, dass er nicht selten zu anderen Ergebnissen gelangt als Steffenhagen, jedoch macht er an vielen Stellen deutlich, wieviel er Steffenhagen verdankt und wie er dessen Schlüsse begründen kann. Diese Art des Umgangs mit den Arbeitsergebnissen eines Vorgängers ist leider heute nicht mehr oft anzutreffen, zeugt jedoch gerade in diesem Falle von einer souveränen Beherrschung des komplizierten Stoffes.

 

Jede Glossierung mittelalterlicher Rechtstexte enthält eine Vielzahl von sogenannten Allegationen, d. h. fremdrechtlichen Zitaten aus dem gelehrten Recht, und sogenannte Remissionen, d. h. Querverweise auf Stellen aus dem Sachsenspiegel oder anderen Quellen. Nach Kaufmanns Angaben beläuft sich die  Anzahl derartiger Zitate in der Glosse auf etwa 7400. Allein sie zu bestimmen und verlässlich darzustellen, ist eine nicht hoch genug zu würdigende Arbeit. Das Quellenregister (Teilband III, S. 1194 – 1260) belegt beeindruckend die Erfolge des Bearbeiters bei der Klärung dieser Zitate aus Bibel, Corpus iuris civilis (Digesten, Codex, Authentiken, Novellen), Glosse des Accursius, Corpus iuris canonici, Libri feudorum, Sachsenspiegel Landrecht und Lehnrecht und weiteren Rechtsquellen. Für die Arbeitsweise des Bearbeiters spricht, dass er am Schluss vier Textstellen „Unauflösbares“ aufführt. Ein weniger redlicher Bearbeiter hätte wohl diese Belege unerwähnt im Zettelkasten ruhen gelassen, sie sind für fachkundige Leser zu knackende Nüsse, der Bearbeiter wird sich über die Kerne sicher freuen.

 

Durch seine früheren Arbeiten an der Buch’schen Glosse kann der Bearbeiter das Ausmaß der textlichen Veränderungen beurteilen, welche der Glossator Petrus de Posena vorgenommen hat. Texteinschübe (S. XXX) bringen Erweiterungen und Aktualisierungen im Recht (S. XXXI), wie z. B. bei dem Verbot des gerichtlichen Zweikampfs, das unter dem Einfluss des kanonischen Rechts erging. Posena suchte Verweisungen Buchs auf seine persönlichen Verhältnisse zu tilgen, nicht überall gelang dies, und so führt der Bearbeiter sie in der Einleitung auf (S. XXXII - XXXIV). An anderen Stellen hat Posena die Buch’sche Glosse und dabei Überleitungen gekürzt (S. XXXV – XXXVII). Die ausführlichen Beschreibungen der Textzeugen (S. XXXVII – LXV) entsprechen guter Tradition der Ausgaben der Monumenta Germaniae Historica. Gerade bei Handschriften, die später vernichtet wurden oder verschollen sind, zeigen derartige Beschreibungen besondere Bedeutung. Da zukünftig alle Handschriften digital verfügbar sein sollen, werden sie nicht mehr nötig sein. Andererseits ist aber zu fragen, ob nicht überhaupt derartige Handschriftenbeschreibungen Aufgabe der verwahrenden Bibliotheken sind. Gerade bei den germanistischen Handschriften der Berliner Staatsbibliothek zeigt es sich, dass dort im Verhältnis zu der Größe des Bestandes wenig zu einer Beschreibung der Handschriften unternommen wird, was heutigen Ansprüchen gerecht wird.

 

Wie der Verfasser einer Abschrift wird wohl auch der Bearbeiter bei der Fertigstellung der hier besprochenen Bände gejubelt haben: „Et sic est finis, sit laus et gloria trinis“.

 

Da die Arbeitsstelle noch ein Jahr weiterarbeiten darf, hat sich der Bearbeiter der Lehnrechtsglosse des Nikolaus Wurm zugewandt. Nur schwer ist nachzuvollziehen, weshalb der die Unternehmung abschließende Band nicht mehr als Druck, wie die bisherigen 14 Bände, erscheinen soll, sondern für ihn nur noch eine Präsentation in digitaler Weise vorgesehen ist. Zu bedauern ist, dass für die praktische Arbeit mit dieser Quellengattung noch bei der letzten „Teillieferung“ ein Wechsel der Präsentation angestrebt wird.

 

Neu-Ulm                                                                                                       Ulrich-Dieter Oppitz