Dachauer, Maximilian, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und dessen Finanzierung nach dem Grundgesetz. Über Verfassungsgebote, Gestaltungsgrenzen und Spielräume. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2021. 390 S. (= Verfassungsrecht in Forschung und Praxis 148), zugleich Diss. jur. Augsburg 2020. Angezeigt von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist gegenwärtig ein höchst aktuelles Thema. Es ist ökonomisch wie rechtlich und rechtspolitisch umstritten und bei dem Bundesverfassungsgericht jüngst durch Klagen der Bundesländer wegen des leicht erhöhten Rundfunkbeitrags forensisch anhängig. Als Gegenstand der Augsburger Dissertation (Betreuer Gregor Kirchhof) sucht der Verfasser eine von ihm gesichtete Forschungslücke auszufüllen.

 

Angesichts eines umfänglichen Forschungsstandes und vor allem einer lang entwickelten Judikatur zur Rundfunkverfassung soll die Thematik mit einer davon „gelockerten Perspektive“ und auf eher abstrakter Ebene neu untersucht werden. Drei Schritte werden angeboten: Verfassungsgebote auf der Grundlage des Art. 5 I S 2 GG, Grenzen der Gestaltung mit den Schwerpunkten Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Spielräume von Verfassung und Gesetzgeber.

 

Der Verfasser begrenzt sich weitgehend aufs Fernsehen, blendet Föderalismusanforderungen in dem Grundgesetz, Landesverfassungsrecht, Mediengesetze und Rundfunkstaatsverträge eher aus und berücksichtigt Recht der Europäischen Union nur zu der Frage zukünftiger Gestaltungsmöglichkeiten.

 

Mit einer primär an dem Wortlaut orientierten Interpretation von Art. 5 GG wird die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts namentlich zur Bestandsgarantie in dem dualen System und zu der öffentlich-rechtlich organisierten Grundversorgung bis hin zum Rundfunkbeitragsurteil von 2018 durchgehend kritisch beleuchtet. Aus der Freiheit der Berichterstattung folge nach der Systematik keine zwangsläufige Einrichtung von Rundfunk in öffentlich-rechtlicher Form. Das Bundesverfassungsgericht verwandele, so vereinfacht eine der Thesen, ein einfaches Freiheitsrecht in eine Staatspflicht mit Bestandsgarantie und spezifischer „Grundversorgung“.

 

Die Überlegungen der historischen Gesetzgeber - „Herrenchiemsee“ - bedeuteten keine Festlegung. Die rundfunkrechtlichen Entwicklungen von 50 Jahren Verfassungsgerichtsbarkeit werden grundsätzlich infrage gestellt. Dabei wird freilich die historische Weichenstellung im Fernsehurteil von 1961 nicht Gegenstand der Studie. Ein erweiterter Blick in die exquisite neue historisch-politische Analyse von Thomas Darnstädt (Verschlusssache Karlsruhe. München 2018, S. 29ff.) hätte womöglich zu der Einsicht verholfen, dass neben einer theoretischen, wortlautfixierten Ableitung aus Art. 5 GG etwa auch Länderzuständigkeiten relevant sind.

 

Während Dachauer das Medium Internet als „Ort der Freiheit“ preist (S. 110ff.), beschwört Darnstädt dessen Gefahren für die Demokratie: „Der Zauber des Grundgesetzes wirkt nicht gegen die weltweite Flut des informationellen Trash“ (S. 285). An solchen Bruchstellen scheiden sich die Geister. Dachauers Plaidoyer wirkt wie ein grundsätzlicher Abgesang auf das duale Rundfunksystem.

 

Die mit seinem Ansatz verknüpften Thesen und Konsequenzen sollen an dieser Stelle nur in wenigen Punkten skizziert werden:

 

Die wesentlichen Finanzierungsvarianten sind nach seinen Voraussetzungen und Ableitungen allesamt verfassungsrechtlich zulässig: der damit gegebene Gestaltungsspielraum sei nicht auf Rundfunkabgabe plus Werbefinanzierung beschränkt. Politischer Einfluss auf und durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk soll innerhalb gewisser Grenzen zwingend möglich und auf ein „akzeptables Maß (S. 264)“ reduzierbar sein. Hier geht die Studie in Anlehnung an eine dissenting opinion zum ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG Urteil von dem 25. 03. 2014 – 1 BvF 1/11 – Paulus) über die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts hinaus und entwickelt, wie das bereits als länger existierende Mindermeinung bekannt ist, tiefere und weiterreichende Grenzziehungen politischer Einflüsse auf die öffentlich-rechtlichen Medien.

 

Mit der Entscheidung für die öffentlich-rechtliche Strukturen ergeben sich daraus Gestaltungsgrenzen wie Begrenzung der politischen Gremienvertreter auf ein Drittel, politikferne Auswahlverfahren für Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, demokratisch organisierte pluralistische Neutralität. Staatliche Finanzierung findet nach der Ansicht des Verfassers ihre Grenzen in der Wirtschaftlichkeit, in der Berichterstattungsfreiheit privater Anbieter, der Eigentumsfreiheit der Zahlungspflichtigen und in der Ungleichbehandlung von Nicht-Nutzern (Art. 3 GG). Das Europarecht schränke die so entwickelten Gestaltungsspielräume an keinem Punkt ein.

 

Die Betrachtung von drei Reformvorschlägen am Ende differenziert in moderate, weniger moderate und radikale. Der erste läuft auf eine funktionsnotwendige Beschränkung hinaus, auf eine sehr schlanke, subsidiäre Senderstruktur mit Haushaltsfinanzierung; der zweite stellt das Subsidiaritätsprinzip nebst kompletten Werbeverzicht in den Mittelpunkt und favorisiert eine Zusammenlegung von ARD und ZDF; die einzelnen Maßnahmen ergäben danach erhebliche Einsparungen, verbunden mit einer „Zuschauerfinanzierung“. Die weitestgehende Reformüberlegung – von Haucap u. a. 2015 vorgelegt – zielt auf vollständige Privatisierung verbunden mit starker Subventionierung bedeutsamer Programminhalte.

 

In Distanz zur bisherigen Forschung und herrschenden Verfassungslehren präferiert diese kritische Betrachtung gegenwärtiger Reformüberlegungen anscheinend deutlich privatwirtschaftlich akzentuierte Strukturen. Im vielfältigen Parallelogramm der politischen Kräfte, der historisch gewachsenen und grundgesetzlich abgesicherten föderalen Strukturen, wie sie sich im nicht näher betrachteten Rundfunkstaatsvertrag abbilden, wird solcher auch appellative Aufriss mit seinen radikalen, in Teilen voluntaristischen Thesen und Reformvorschlägen womöglich auf vielen Seiten eher anecken als produktiven Widerspruch provozieren. In der impliziten und expliziten Aufwertung privatwirtschaftlicher Medienkräfte wird er in einschlägigen Kreisen jedenfalls Beifall ernten. Der denkbare Blick auf Ländervergleiche begrenzt sich auf wenige Anmerkungen.

 

Die technischen Entwicklungen nach der früheren Frequenzknappheit, eine Grundlage der neueren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, werden in der auf abstrakten Gebirgshöhen operierenden Studie neben neueren Entwicklungen von Massenmedien, namentlich des Internet, welche die Vorherrschaft der öffentlich-rechtlichen Sender und ihrer Nutzerstrukturen tangieren, eingangs angedeutet und tendenziell gegen das Rundfunkbeitrags-Urteil von 2018 gewendet.

 

Dagegen könnte sich in Ansehung von Informationsfreiheiten und komplementären Pflichten sowie aus einer Verknüpfung qualitativer mit quantitativen Ansprüchen am veränderbaren Erhalt oder eingreifender Reform von opulent ausgeformten Strukturen mit dem Akzent auf Medieninformationsnotwendigkeiten auch eine Basis für verfassungsrechtlich begründbare rechtspolitische Veränderungen bei dem Untersuchungsfeld ergeben.

 

Düsseldorf                                                      Albrecht Götz von Olenhusen