Schlinker, Steffen/Ludyga, Hannes/Bergmann, Andreas unter Mitarbeit v. Otto, Martin/Heintz, Veris-Pascal, Privatrechtsgeschichte. Ein Studienbuch. Beck, München 2019. XXIII, 323 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Die Privatrechtsgeschichte als die besondere Rechtsgeschichte des Privatrechts innerhalb der allgemeinen Rechtsgeschichte ist so alt wie das Privatrecht selbst, weil innerhalb der vorgegebenen Dimension Zeit alles von dem Zeitpunkt seiner Entstehung an notwendigerweise in der Zeit besteht und mit deren Lauf Geschichte hat. Allerdings ist das deutsche Wort Privatrecht selbst (nach Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010) anscheinend erst 1721 belegt und die dazu gehörige Zusammensetzung Privatrechtsgeschichte dementsprechend noch jünger. Das eigene Fach Privatrechtsgeschichte wird in Abkehr von dem älteren gemeinen deutschen Privatrecht erst 1935 in Zusammenhang mit nicht durchschlagend erfolgreichen Studienmodernisierungsbestrebungen als Privatrechtsgeschichte der Neuzeit eingerichtet, für die Franz Beyerle, Wolfgang Kunkel und Hans Thieme ab 1936 verdienstvollerweise Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands vorlegen, die allerdings die Texte nicht vollständig, sondern nur teilweise enthalten.
In Anschluss hieran veröffentlichte Franz Wieacker nach dem Ende des zweiten Weltkriegs 1952 eine vor allem wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtete, 1967 erneut aufgelegte Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Dem waren bereits 1947 Hans Thiemes Studie über das Naturrecht und die europäische Rechtsgeschichte (2. A. 1954) und 1949 von Erich Molitor begründete Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte vorausgegangen, die Hans Schlosser ab 1975 sehr erfolgreich bis in die zehnte Auflage des Jahres 2005 fortführte. Diesen beiden Werken folgte Gerhard Wesenberg 1954 mit einer neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, die von Gunter Wesener bis zu einer vierten Auflage des Jahres 1985 sehr sorgfältig und sachkundig betreut wurde.
Auf europäischer Ebene gab nach Hans Thiemes erstem Anstoß von 1947 ab 1973 Helmut Coing mit Hilfe des langjährig von ihm geleiteten Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main ein mehrbändiges, grundlegendes Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Rechtsgeschichte heraus, dem er ab 1985 ein ebenfalls mehrbändiges Werk über Europäisches Privatrecht hinzufügte. In Österreich löste seit 1983 Ursula Floßmanns besondere österreichische Privatrechtsgeschichte mit bisher insgesamt acht Auflagen die bisherige deutsche Privatrechtsgeschichte ab. Daneben erarbeitete Gernot Kocher einen Überblick über die Privatrechtsentwicklung, Arno Buschmann, der zusammen mit Hans Hattenhauer bereits 1967 ein Textbuch zur Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. A. 2002) geschaffen hatte, unter dem Titel Mit Brief und Siegel eine kleine Kulturgeschichte des Privatrechts (2013) und Wilhelm Brauneder 2013/2014 eine europäische Privatrechtsgeschichte, während Hans Schlosser 2012 eine etwas breitere neuere europäische Rechtsgeschichte – Privatrecht und Strafrecht vom Mittelalter bis zur Moderne verfasste (2. A. 2014, 3. A. 2017).
Auf diesen vielfältigen Grundlagen der bereits etwas älteren Forschung ist durchaus Raum für ein von einer neuen Forschergeneration erarbeitetes Studienbuch der Privatrechtsgeschichte, um den Studierenden die besondere Geschichte des geltenden Privatrechts nahezubringen. Dieser interessanten Aufgabe stellen sich in dem vorliegenden Band unter Federführung des 1965 geborenen, in Würzburg ausgebildeten, 1998 über Fürstenamt und Rezeption promovierten, 2007 über Litis contestatio habilitierten und derzeit in Würzburg und in Greifswald tätigen Steffen Schlinker auch der in München 2007/2007 mit einer Dissertation über die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918 promovierte, 2009 mit einer Schrift über obrigkeitliche Armenfürsorge im deutschen Reich von 1495 bis 1648 habilitierte und seit 2014 in Saarbrücken wirkende Hannes Ludyga und der in Saarbücken 1973 geborene, von Michael Martinek betreute und seit 2011 für bürgerliches Recht, Privatrechtsgeschichte sowie Handelsrecht und Gesellschaftsrecht an der Fernuniversität in Hagen tätige Andreas Bergmann. Von ihnen haben nach dem vorangestellten Verzeichnis Steffen Schlinker die Paragraphen 1-7 und 12-20, Martin Otto die Paragraphen 8-10 (Kaufrecht bis Dienstvertrag), Andreas Bergmann den Paragraphen 11 (Bürgschaft) und Hannes Ludyga zusammen mit Veris-Pascal Heintz die Paragraphen 21-22 (Familienrecht) bearbeitet.
Ziel ist nach dem Vorwort der Versuch, ein Lehrbuch zu konzipieren, das einen knappen Überblick über einige wesentliche Rechtsgebiete des Zivilrechts gibt. Dementsprechend widmet sich das Buch vornehmlich den privatrechtlichen Institutionen und verfolgt die Entwicklung einzelner Rechtsinstitute und Rechtsfiguren durch die Jahrhunderte. Auch wenn dabei bewusst die Wissenschaftsgeschichte nicht in dem Mittelpunkt steht, bleibt sie doch nicht ganz außer Betracht.
Demgemäß werden in dem ersten einleitenden Paragraphen zunächst Aufgaben und Ziele, Aufbau, Terminologie und Methode der Darstellung sowie die drei wesentlichen Wurzeln des geltenden Rechts (deutsches Recht, römisches Recht, kirchliches Recht) geschildert. Danach führt der chronologische Weg von dem Recht in dem Mittelalter mit den Rechtsquellen Leges, Kapitularien und kirchliche Rechtstexte, Rechtsbücher und Stadtrecht über die Verbindung der deutschrechtlichen, römischrechtlichen und kirchenrechtlichen Regeln während der Rezeption des römischen Rechts mit den gelehrten Juristen als Trägern, die Rechtsprechung in dem Übergang von dem späten Mittelalter in die frühe Neuzeit, die Rechtswissenschaft während des späten Mittelalters und zu Beginn der frühen Neuzeit, die Entfaltung der Gesetzgebung, die Verbindung von römischen und deutschen Rechtsquellen in dem so genannten usus modernus und die Wissenschaft von dem deutschen Privatrecht und die historische Rechtsschule des 19. Jahrhunderts durch die gesamte deutsche Rechtsgeschichte. Den Beschluss bildet die Gesetzgebung der Moderne mit dem Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794, dem Code civil Frankreichs von 1804, dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Österreichs von 1811/1812, dem Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Reiches von 1896/1900 und dem Obligationenrecht und dem Zivilgesetzbuch der Schweiz von 1881 und 1907/1912. Dem folgen fünf Sachkapitel mit 21 Paragraphen. Sie betreffen das Vertragsrecht und das allgemeine Obligationenrecht, besondere vertraglichen Schuldverhältnisse, gesetzliche Schuldverhältnisse, Sachenrecht und Familienrecht, während Person und Erbe ausgespart bleiben.
Dabei werden in dem Vertragsrecht und dem allgemeinen Obligationenrecht (Erstbeleg - nach Köbler U. - Puchta 1821) nacheinander behandelt der Vertragsschluss, der Willensmangel, die Stellvertretung (1799), der Inhalt von Schuldverhältnissen (1838), die Leistungsstörung und die Beteiligung Dritter an Schuldverhältnissen, bei den besonderen vertraglichen Schuldverhältnissen das Kaufrecht (Kaufvertrag 1574), der Werkvertrag (1863), der Dienstvertrag (1794) und die Bürgschaft (950) sowie bei den gesetzlichen Schuldverhältnissen das Bereicherungsrecht (Bereicherung 1785), Delikt (1559) und Schadensersatz (1788) einschließlich der Ausdehnung der Gefährdungshaftung (1896) und eines Rückblicks über das Deliktsrecht seit 1900. In dem Sachenrecht (1691) werden nach einer Einführung über Rechte an Sachen (Sache bereits für das Germanische erschließbar) Erwerb (1378) und Schutz von Sachen, Leiheverhältnisse (Leihe 1504) an Grund und Boden sowie das Erbbaurecht (1629), das Nachbarrecht, Dienstbarkeiten (Dienstbarkeit 1307) und Nießbrauch (1496), Reallast (1636) und Rentenschuld (1895) sowie Pfandrechte (Pfandrecht 1185) dargestellt. In dem Familienrecht (1775) werden Ehe (bereits für das Indogermanische erschließbar) und Eheschließung (1680) sowie Ehescheidungsgründe (Ehescheidungsgrund 1824, Ehescheidung 1489) von Rom bis zu der Bundesrepublik Deutschland untersucht.
Ein Sachverzeichnis von ABGB über Gregor von Tour(s) bis Zugang rundet das neue, Kontinuitäten einerseits wie Differenzierungen der Lösungen identischer Probleme anderseits klar aufzeigende Werk benutzerfreundlich ab. Möge es dem interessierten Leser die Zeitgebundenheit privatrechtlicher Lösungen ebenso wie Zusammenhänge des Privatrechts mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten bestmöglich vermitteln. Zusammen mit der von Steffen Schlinker mitverantworteten achten Auflage von Dietmar Willoweits erfolgreicher deutscher Verfassungsgeschichte wird damit eine aktuelle weitreichende und vielfältige Grundlegung über die wichtigsten Gebiete der deutscheuropäischen Rechtsgeschichte geboten, die jedem Nutzer eine vorzügliche Hilfe sein kann.
Innsbruck Gerhard Köbler