Oberkofler, Gerhard, Heiligenverehrung in der Welt von Juristinnen und Juristen - Marginalien zu Olechowski, Thomas, Hans Kelsen. Biographie eines Rechtswissenschaftlers, unter Mitarbeit von Jürgen Busch, Jürgen/Ehs, Tamara/Gassner, Miriam und Wedrac, Stefan. Mohr Siebeck, Tübingen 2020. XXIII, 1027 S.
Der aus der Bretagne stammende Ivo (Yves) Hélory (1253-1303) de Kermartin hat sich nach dem Studium des römischen und kanonischen Rechts, der Philosophie und der Theologie als römisch-katholischer Priester für arme und unterdrückte Menschen vor Gericht eingesetzt. Er konnte als „advocatus, sed non latro“ für Juristen Vorbildwirkung haben und wurde deshalb von der römisch-katholischen Kirche durch Papst Clemens VI. am 26. Juni 1347 „heilig“ gesprochen.[i] Von der Bretagne und Frankreich aus breitete sich die Verehrung des Hl. Ivo an vielen europäischen Juristenfakultäten bis nach Wien aus. In Frankreich, Belgien, Italien und Brasilien bestehen Standesorganisationen für den Rechtsschutz der Armen und tragen seinen Namen. In Wien wurden an der alten Juristenschule (1385) zu seinen Ehren zwei, beim einem Stadtbrand 1627 zerstörte Ivokapellen eingerichtet (I. Bezirk Schulerstraße Nr. 14), die eine für kanonische, die andere für legale Juristen. Der Hl. Ivo wurde von der Juristenfakultät der 1622 gegründeten Benediktineruniversität Salzburg (bis 1810) ebenso verehrt wie von jener an der 1669 gegründeten Universität Innsbruck. Dort fand die erste Ivo-Messe am 19. Mai 1676 statt und wurde 1784 im Zuge der durch die europäische Aufklärung bedingten Reformen unter Joseph II. (1741-1790) eingestellt. Die Juristenfakultät der 1585 gegründeten Universität Graz ist erst 1778, also in der Zeit der Aufklärung gegründet worden und hat auf einen Schutzpatron verzichtet. So wie aber die Aufklärung Geschichte geworden ist, kehrte die Idolatrie zurück und ist Gegenwart. Als in Innsbruck mit Rechtswirksamkeit vom 1. Jänner 1993 die frühere Johanneskirche am Innrain zur "Neuen Universitätskirche" erhoben wurde, lag es wegen einer dort lebensgroßen, vom Bildhauer Stefan Föger (1702-1750) um 1730 geschaffenen Statue des Hl. Ivo für katholische Juristenprofessoren nahe, nach 210-jähriger Unterbrechung die Tradition der H. Ivo-Messe wieder aufzunehmen. Am 19. Mai 1994 fand die erste Hl. Ivo-Messe in der "Neuen Universitätskirche“ von Innsbruck statt.[ii]
Der Hl. Ivo, der kein Karrierist war, hat mit Hans Kelsen (11. Oktober 1881, Prag - 19. April 1973, Orinda bei Berkeley) Konkurrenz erhalten. Österreichs Bundesregierung hat für Hans Kelsen noch zu dessen Lebzeit am 14. September 1971 mit dem „Hans Kelsen-Institut“ eine eigene Kultstätte in Wien Döbling (Gymnasiumstraße 79) eingerichtet. Dort sind Handschriften von Kelsen aus dessen Nachlass aufbewahrt. Eine umfassende Bibliothek mit den Werken von Kelsen und aus seiner wissenschaftlichen Welt soll das „geistige Vermächtnis“ von Kelsen pflegen und fortführen. Für das Kelsen-Institut ist ein Kuratorium als „Glaubenskongregation“ verantwortlich, zu deren Mitglied nur Personen bestellt werden, die eine „Professio fidei“ zur „Schule der Reinen Rechtslehre“ abgelegt haben.[iii] Wer diese abnimmt und wie dieses formuliert ist, bleibt Außenstehenden offen. Präsident des Kelsen-Instituts und Vorsitzender des Kuratoriums ist der jeweilige österreichische Bundeskanzler. Seit Gründung des Kelsen-Instituts war bis zu seinem Tode der Wiener Professor für Staats- und Verwaltungsrecht Robert Walter (1931-2010) Geschäftsführer. Walters Nachfolger ist der Wiener Professor für Österreichische und Europäische Rechtsgeschichte Thomas Olechowski (*1973), der diese seit vielen Jahren vorbereitete Biographie von Hans Kelsen verfasst hat.
Seit einigen Jahren haben auch deutsche Juristen im wieder Aggressionskriege führenden Deutschland seine Nutzbarmachung entdeckt und stellen ihre Vorlesungen und Publikationen über Freiheit, Demokratie und Zivilcourage unter seinen Baldachin. In Innsbruck wurde 2020 von einem deutschen Zeithistoriker ein deutscher Rechtsprofessor eingeladen, mit dem Werterelativisten Kelsen die erste Innsbrucker Gedächtnisvorlesung an den deutschen Medizinstudenten Christoph Probst (1919-1943) zu halten. Probst hat sich als Angehöriger einer Studentenkompagnie der auf den „Führer des Deutschen Reiches und Volkes“ Adolf Hitler (1889-1945) vereidigten Deutschen Wehrmacht nicht an die militärische Disziplin gehalten, ist seinem humanistischen Gewissen gefolgt und wurde wegen seines tapferen Widerstandes in München hingerichtet (22. Februar 1943).[iv] Es ist Kelsen, der den US-Offizieren am Naval War College vor ihren Einsätzen für die illegalen US-Kriege gelehrt hat, „Befehlsempfänger hätten im Interesse der militärischen Disziplin nicht das Recht, selbständig zu entscheiden, ob sie diesen Befehl befolgen oder zurückweisen“ (Olechowski, S. 839). Über die illegalen Kriege des US-Imperialismus hat zuletzt der Schweizer Daniele Ganser (*1972) gearbeitet und seinem Buch das Gewaltverbot der UNO-Charta (1945) mit dem Artikel (Kapitel 1, 2, Absatz 4) vorangestellt: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“.[v]
Über die Ausprägung der personalen Realität von Hans Kelsen
Olechowski bringt viele, mit Geduld und großem Aufwand recherchierte Details über Herkunft, Kindheit und Jugend von Hans Kelsen. Seine ersten Karriereambitionen waren verknüpft mit dem Austritt des 24jährigen Kelsen aus der Israelitischen Kultusgemeinde (25. Mai 1905) und mit seiner für erwachsene Juden mit der Formel „Horresce Iudaicam Perfidiam“ verknüpfte römisch-katholische Taufe in der Dominikanerkirche im I. Wiener Bezirk durch einen Jesuiten (10. Juni 1905). Das kann heißen, dass Kelsen nicht zum Christentum, sondern zum Jesuitentum konvertiert ist, weil, wie das Antonio Gramsci (1891-1937) gesehen hat, das Jesuitentum zu dieser Zeit „mit seinem Kult des Papstes und der Organisierung eines absoluten geistigen Reiches die jüngste Phase des katholischen Christentums“ war.[vi] Kelsens Übertritt zur evangelischen Kirche erfolgte sieben Jahre später (20. Mai 1912). Olechowski „versteht“ den Wechsel der Glaubensbekenntnisse von Kelsen, zuerst sei dieser zur Absicherung der angestrebten Laufbahn an der Wiener Universität notwendig gewesen, dann für die Herstellung eines Einvernehmens mit der jüdischen Verwandtschaft seiner Frau Grete aus der Familie Bondi (Eheschließung am 25. Mai 1912). Kelsens römisch-katholische Taufe zu „verstehen“ setzt voraus, dass die Erwachsenentaufe nur als kultisch rituelle Waschung wahrgenommen wird, obschon diese vor allem der grundlegende Eid ist, sich in die katholische Kirche einzugliedern. Kelsens Übertritt zur evangelischen Kirche gibt der aus dem ungarischen Judentum kommende Wiener Mathematiker und Energiewissenschaftler Wilhelm Frank (1916-1999) eine rational nachvollziehbare Erklärung (Brief an Gerhard Oberkofler vom 19. September 1988): „Ich möchte nur folgendes bemerken: es fällt mir auf, dass in Ihrem Buch nirgends (vielleicht aber habe ich nicht genau genug hineingeschaut?) bemerkt wird, dass Kelsen Freimaurer war. Er gehörte vermutlich der gleichen Loge an wie der Dramaturg des deutschen Volkstheaters in Wien, Heinrich Glücksmann [(1863-1943)]. Die weitere Konversion von Kelsen vom Katholiken zum Protestanten dürfte wohl mit seiner Mitgliedschaft bei den Freimaurern zu tun haben. Ich bin weit von Verschwörertheorien über das Freimaurerwesen entfernt, ich halte sie nur für eine ebensolche Clique wie den C[artell]V[erband], die Burschenschaften und heute den B[und]S[ozialistischer]A[kademiker]. Vielleicht ist für die >allgemeine Kelsenforschung< die Entwicklung der persönlichen Karriere diese Bindung von Bedeutung. Gewiss nicht so sehr für die militärische Produktion“.[vii] Eine Befreiung vom religiösen Glauben bzw. von der religiösen Entfremdung wird in Kelsens Leben nie offenkundig.
Olechowski rekonstruiert Motivation und Laufbahn von Kelsen im Wehrdienst der Habsburgermonarchie, zu dem er sich nach der Reifeprüfung am Akademischen Gymnasium in Wien als Einjährig-Freiwilliger gemeldet hat (27. September 1900). Eingetreten ist er in ein Train-Regiment. Nach Kriegsausbruch wurde der 1902 zum Leutnant der Reserve ernannte Kelsen am 1. August 1914 aktiviert und trat bei der k. u. k. Traindivision Nr. 14 in Innsbruck seinen Dienst an. Den Fronteinsatz konnte er geschickt umschiffen. Der Tiroler Historiker Franz Huter (1899-1997), der als 17jähriger an der Dolomitenfront gekämpft hat, hat für Juden wie Kelsen den Terminus „Train-Jude“ verwendet.[viii] Was für ein Unterschied zu den vielen, von den Nazis vertriebenen, wegen Tapferkeit vielfach ausgezeichneten jüdischen Frontkämpfern aus Wien wie die beiden Spitzenwissenschaftler Fritz Feigl (1891-1971) oder Hermann Franz Mark (1895-1992)![ix] Der selbstbezogene und selbstsichere Kelsen, am 1. August 1915 zum „Oberleutnant-Auditor“ ernannt, gelangte nach Train-Umwegen am 3. Oktober 1917 in das Büro des k. u. k. Kriegsministers. Das ist für Olechowski der entscheidende Karriere-Schritt von Kelsen: „Kelsen kam auf diese Weise in direkten Kontakt mit den Schaltstellen der Macht und wusste diese Position für sich auch derart zu nutzen, dass seine akademische Karriere wieder neuen Schwung erhielt und er letztlich zum Professor an der Universität Wien ernannt wurde“ (Olechowski, S. 195). An eine Beratung durch den am 27. Oktober 1918 ernannten letzten Ministerpräsidenten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie Heinrich Lammasch (1853-1920), für dessen Denken als Völkerrechtler und Menschenfreund die Republik Österreich bis zur Gegenwart keine Verwendung findet, hat das Spitzenmilitär im Kriegsministerium nicht gedacht. Lammasch hatte nur wenige Wochen nach Eröffnung des Massenmordens internationale Erhebungen über die bis dahin nie dagewesene Dimension der Verletzung des Kriegsrechts gefordert, er hat im Herrenhaus am 28. Juni 1917, am 27. Oktober 1917 und am 28. Februar 1918 drei Reden gehalten, die zu einer Friedensinitiative durch Österreich aufgerufen haben und nach einem Programm verlangt, das Frieden ohne Annexionen, Rüstungseinschränkungen, Gleichberechtigung der Nationen und friedliche Schlichtung künftiger internationaler Streitigkeiten sichern sollte. Lammasch sprach sich gegen den kriegstreibenden „Geist von Potsdam“ aus. Nicht der sich in dieser Wendezeit alle Optionen mit Ausnahme einer Parteinahme für den Kommunismus offenlassende Hans Kelsen, sondern Karl Kraus (1874-1936) ist für Lammasch öffentlich eingetreten: „So niedrig die Zeit, in der er lebt – er lebe hoch!“.[x] Lammasch hat sich als Ministerpräsident für die friedliche Auflösung der Monarchie eingesetzt, was ihm aufgrund des ihm von den Völkern entgegengebrachten Vertrauen weitgehend gelungen ist. Kelsen ist Lammasch in dieser Wendezeit persönlich begegnet, randständig und ohne jede Solidarität für dessen Friedensaktivitäten (Olechowski, S. 219-226).
Hermann Klenner (*1926), von Olechowskis mit damnatio memoriae geehrt, hat 1972 in seiner Studie über die „Rechtsleere“ gemeint, dass sich der mit 1. November 1917 zum Hauptmann-Auditor ernannte Hans Kelsen „als letzter Berater des letzten Kriegsministers des letzten Kaisers von Österreich sein Militärverdienstkreuz wohl verdient“ hat.[xi] Im selben Jahr hat Klenner mit dem Wiener Widerstandskämpfer und Juristen der Arbeiterklasse Eduard Rabofsky (1911-1994)[xii] über das Wirken von Kelsen in marxistischer Sicht eine Studie verfasst.[xiii] Gerhard Oberkofler (*1941) hat nach mehreren gemeinsamen Arbeiten mit Rabofsky 1985 begonnen, die bis dahin nicht benützten Archivmaterialien zu Kelsen im damals noch in der Stiftkaserne (7. Bezirk) untergebrachten Kriegsarchiv anzuschauen, zu sammeln und zu analysieren. Robert Walter wurde über die Recherchen zu Kelsens bis dahin ziemlich im Dunklen liegende Tätigkeit im Kriegsministerium von Anfang an informiert und hat sich an den Ergebnissen außerordentlich interessiert gezeigt. Ich erinnere mich an meinen auf Wunsch von Rabofsky erfolgten Besuch im „Kelsen-Institut“ und an die sehr freundliche Aufnahme durch Walter, der ihm am 24. September 1987 noch schreibt: „Mit Interesse habe ich Ihre Mitteilung über Ihre Forschungen betreffend die Tätigkeit Hans Kelsens im Kriegsministerium zur Kenntnis genommen. Das Ergebnis Ihrer Forschungen interessiert mich sehr, sodass ich bitte, Ihre Arbeit an das Institut zu übersenden. Über die Möglichkeit einer Publikation in der Schriftenreihe werde ich Ihnen nach Befassung unserer Organe sofort Mitteilung machen“. Rabofsky und Oberkofler haben ihren druckfertigen Entwurf Walter übermittelt, worauf dieser am 6. Juli 1988 Oberkofler antwortet: „Das Kuratorium des Hans Kelsen-Instituts hat in seiner Sitzung vom 28. Juni d. J. beschlossen, Ihre gemeinsam mit Herrn Dr. Rabofsky verfasste Arbeit >Hans Kelsen im Kriegseinsatz der k. u. k. Wehrmacht. Eine kritische Würdigung seiner militärtheoretischen Angebote< nicht in die Schriftenreihe des Hans Kelsen- Instituts aufzunehmen“.
Es ist anzunehmen, dass Walter von der Tätigkeit Kelsens im Kriegsministerium ebenso überrascht war wie die Autoren selbst. Auch Christian Broda (1916-1987) hat die Kopien der Militärakten von Kelsen in der Wohnung seines Freundes aus dem Widerstand Rabofsky gesehen und war über seinen „Taufpaten“ Kelsen sehr irritiert. Die Familie Broda gehörte zum Netzwerk von Kelsen. Der Chemiker Engelbert Broda (1910-1983) ist in der Kommunistischen Partei Österreichs geblieben, was viele Jahre eine erhebliche Differenz zu seinem Bruder Christian, der 1945 aus dieser ausgetreten ist, nach sich gezogen hat.[xiv]
Der Wiener Rechtshistoriker Wilhelm Brauneder (*1943), der 1984 „Studien zur Geschichte der österreichischen Rechtswissenschaft“ von Oberkofler herausgegeben hat,[xv] öffnete gerne und ohne irgendwelche redaktionelle Auflagen seine Rechtshistorische Reihe der Arbeit von Oberkofler / Rabofsky mit dem Titel „Hans Kelsen im Kriegseinsatz der k. u. k. Wehrmacht“.[xvi] In einem von Olechowski in sein Literaturverzeichnis aufgenommenen Artikel in der Wiener Zeitung vom 13. Jänner 1989 hat Alfred J. Noll (*1960) dazu festgestellt: „Heiligenschein um Hans Kelsen? Eine Publikation enthüllt die Rolle des Rechtsgelehrten in den letzten Tagen des ersten Weltkrieges. […] Jede Wissenschaft hat in ihr Denken miteinzubeziehen, was die an gesellschaftlichen Konsequenzen produziert – tut sie dies nicht, wird sie den Anforderungen ihrer Zeit nicht gerecht“. Ein paar Tage später (10. Februar 1989) berichtet die Wiener Zeitung: „Am 13. Jänner dieses Jahres stand auf dieser Seite ein Artikel zu lesen, der unter dem Titel >Heiligenschein um Hans Kelsen?< ein Buch zweier Rechtsgelehrter – Rabofsky und Oberkofler – vorstellte, das sich kritisch mit der Rolle Hans Kelsens im ersten Weltkrieg beschäftigt. Rezensent Alfred J. Noll hatte das wohlwollend besprochene Buch mit der Frage nach der generellen sozialen Verantwortung von Wissenschaftlern verknüpft. Der Artikel löste eine wahre Flut von Leserbriefen aus, wobei das Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien gleich mehrfach als Absender aufschien. Auf dieser Seite bringen wir einige der uns zugegangenen Briefe (in gekürzter Fassung) und eine weitere Stellungnahme Alfred Nolls [„Devoter Hofknicks der Experten“], in der er sich mit den Hauptvorwürfen seiner Kritiker auseinandersetzt“.
Olechowski notiert die Arbeit von Rabofsky und Oberkofler in seiner Biographie mit dem argumentum ad personam: „Die (wie immer) gehässigen und gegen Kelsen gerichteten Kommentierungen der beiden Autoren entbehren erneut jeder sachlichen Grundlage“ (Olechowski, S. 202, Anm. 867). Das ist für Kelsenianer nicht ungewöhnlich. Als Oberkofler 1990 mit Unterstützung des Prager Rechtshistorikers Karel Litsch (1929-2009) einige archivalische Notizen über Kelsens Aufnahme an der Deutschen Universität Prag publizieren konnte, hat Robert Walter gemeint, das sei „ein weithin geschmackloses Ausbreiten wissenschaftlich irrelevanten Materials“.[xvii] Rabofsky und Oberkofler haben einige Briefe zu ihrer Kelsen-Publikation erhalten. Der österreichische Literaturwissenschaftler aus Vorarlberg Eugen Thurnher (1920-2007), der in München im Umfeld des studentischen NS-Widerstandes war, hat Oberkofler eine politische Einschätzung gegeben (23. September 1988): „Ich bin durch Ihre Schrift über manche biographische Einzelheiten in Bezug auf Kelsen belehrt worden, wundere mich aber über sein Verhalten nicht, da ich nie sehr viel von ihm gehalten habe. Vor allem ist für mich die >reine Rechtslehre< ein völlig blutleeres Konstrukt. Reines Recht gibt es nirgends. Recht gibt es immer nur im Zusammenhang mit einer bestimmten historischen Gesellschaftssituation. Sie würden vielleicht sagen als Ausdruck der materiellen Entwicklung der Gesellschaft. Einig sind wir darin, dass das Recht nie in reiner Form existiert, sondern immer von gewissen Voraussetzungen bedingt ist. So halte ich auch unsere Verfassung von 1920, die im Wesen auf Kelsen zurückgeht, für außerordentlich mangelhaft. Zwar wird schon im Eingang ausgesagt, dass Österreich ein Bundesstaat sei, doch die Verfassungswirklichkeit geht an dieser Tatsache völlig vorbei, da der Bundesrat zur gänzlichen Machtlosigkeit verurteilt ist“. Der in Berkeley tätige Richard M. Buxbaum (*1930) in Berkeley schreibt (Brief an Oberkofler vom 9. Dezember 1988): „Thank you very much for your kindness in sending me the fascinating book by Prof. Rabofsky and yourself on the Kelsen matter. I read it in one sitting and was, as I am sure is a common experience, simply astounded. It is an episode that leads to a good deal of creative uncertainty about the role and context of “large” doctrines, though in its own context I guess I do not put it on the level of [Martin] Heidegger [(1889-1976)] or [Carl] Schmitt [1888-1985)] debates. (I had the privilege of knowing Hans Kelsen reasonably well during the last decade and more of his life, and retain a vivid image of that lively, even feisty, old gentleman!)“.
„Für uns Deutsche“ ist Österreich „ein willkürlicher Fetzen Landes“
Jeder Jurist in Österreich, der nach 1945 etwas für sein Renommee tun wollte, wollte mit Kelsen zu tun gehabt haben. Der Wiener Rechtsanwalt, Korrespondent der Londoner „Daily Herald“ in Wien von 1929 bis 1938, Journalist in London von 1938 bis 1954 und dann Leiter der außenpolitischen Redaktion der „Arbeiter-Zeitung“ Friedrich Scheu (1905-1985) erinnert sich, dass seine Mutter ihm erzählt hat, wie sie mit dem Studenten Hans Kelsen in Gesellschaft getanzt habe. Auf ihre Frage, was er vom Leben erwarte, habe Kelsen ohne Zögern geantwortet: „Ich möchte einmal die österreichische Verfassung schreiben“.[xviii] Scheu hat als Student Vorlesungen von Kelsen besucht und gemeint, auch die Brillanz habe ihre Gefahren. Er erinnerte sich „der leisen Ironie, mit der der elegante Gelehrte jene Artikel seiner eigenen Verfassung behandelte, die keine Rechtsnorm enthielten, sondern als wohlklingende Deklarationen aufgefasst werden konnten“.[xix]
Unmittelbar nach Ende der Habsburgermonarchie konnte Kelsen, der Karl Renner (1870-1950) mehr oder weniger zufällig begegnet ist, endlich „Verfassung“ schreiben: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“. Ein Grundrechtskatalog[xx] war damit nicht verknüpft und die Frage, wer denn konkret das „Volk“ ist, vornehm bei Seite geschoben. In der von Eigentümern und Nichteigentümer an den Produktionsmitteln gespaltenen Gesellschaft beuten die ökonomisch herrschenden Klassen mit und ohne Verfassung das „Volk“ materiell aus und treiben es mit ihren Lügen in die geistige Verelendung. Olechowski hält es für erwähnenswert, dass im Jahre 1881 so wie Hans Kelsen mehrere bedeutende Persönlichkeiten geboren worden sind. Die Millionen Kriegsopfer des ersten Weltkrieges aus dem Jahrgang 1881 bleiben wie die in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern umgekommenen Juden des Jahrganges 1881 oder wie die Millionen verhungernden Kinder, die 1881 gerade auf die Welt gekommen sind, außerhalb der Sichtweite. Um Kelsen zu ehren wird aus dem Jahrgang 1881 auch Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) genannt, doch das Denken dieses französischen Jesuiten hat Kelsen nicht zur Kenntnis genommen. Er hätte in dessen Schriften lesen können, dass die bürgerliche Demokratie „Individualismus und Personalismus, Menge und Totalität verwechselt – durch Zersplitterung und Nivellierung der menschlichen Masse“, dass sie droht, „die mit ihr geborenen Hoffnungen auf eine menschliche Zukunft zu gefährden“.[xxi] Wichtig war Kelsen vielmehr, dass die Bourgeoisie ihr Recht „rein“ erhält und gab der „demokratischen Republik“ den der Klassenherrschaft angepassten ideologischen Staatstalar. Als dessen Schneidermeister konnte Kelsen nach Fertigstellung und Abgabe des Verfassungsentwurfes Anfang Juli 1919 „einige Tage ausspannen; er verbrachte seinen wohlverdienten Urlaub nach diesem ereignisreichen akademischen Jahr 1918/19 mit seiner Familie in Alt-Aussee“ (Olechowski, S. 272). Die Kelsenfamilie führte nach Meinung von Olechowski durchaus ein seinem „Stand“ angemessenes Leben, „was insbesondere bedeutete, dass sie bis zu ihrer Emigration in die Vereinigten Staaten 1940 stets Dienstpersonal hatte“ (Olechowski, S. 376). Das Dienstpersonal Kelsens bleibt namenlos, ob es irgendwelche Rechte hatte, sei dahingestellt.
Die Verfassung für Österreich zu schreiben war Kelsen zu wenig, er wollte ihr eine großdeutsche Geltung verschaffen. Anfang 1926 publizierte Kelsen für die in München herausgegebene „Republikanische Hochschul-Zeitung“ (II. Jg., 1926, Heft 1-2, S. 1 f.) den Artikel „Zur Anschlussfrage“ und qualifizierte dabei das Österreich seiner Verfassung so: „Weder historische noch nationale, noch religiöse, noch kulturelle Gründe sind es, die das heutige Oesterreich rechtfertigen können, das nichts anderes ist als ein willkürlicher Fetzen Landes …“. Kelsen malte als Reiner Rechtslehrer oder als Völkerrechtler oder in welcher Eigenschaft immer, jedenfalls als „Deutscher“ mit dem Anschluss von Österreich an das schon den nächsten Krieg denkende und vorbereitende Deutschland ein glückliches Europa an die Wand. Kelsen ergriff „für uns Deutsche“ das Wort, wobei ihm gerade seine „Deutschen“ das Judentum vorwarfen.
„Was ist Gerechtigkeit?“
Über Köln (1930), Genf (1933) und Prag (1936) ist Kelsen 1940 in den USA angelangt. Olechowski erzählt, wie Kelsen gleich seinen altmodischen Schnurrbart abrasiert habe und seine Ehefrau erstmals gezwungen war, „ohne Hauspersonal auszukommen, dafür aber nun einen Kühlschrank, einen Geschirrspüler und andere elektrische Haushaltsgeräte zur Verfügung hatte“ (Olechowski, S. 675 f.). Mit Freunde, so Olechowski, identifizierte sich Kelsen, seit 1945 Full Professor in Berkeley, mit dem „the American way of life“ (Olechowski, S. 765). Er gab sich schon längst nicht mehr als Rechtsdenker des deutschen Herrenvolkes aus, jetzt inspirierte er als US-Amerikaner mit jüdischer Herkunft das Rechtssystem der „amerikanischen Idee“, die als brutalste Form des Imperialismus über die Welt einher ziehen sollte. Olechowski illustriert seinen Text mit vielen privaten Fotos von Hans Kelsen, vom „Kindlein“ (1881/1882) über den Reiter auf einem Pferd des Trains (ca. 1915) und den Schnauzbart freien Ehrendoktor von Berkeley (1952) bis hin zum stilisierten „Rabbi“ mit langem Bart (1971). 1952 beendet Kelsen seine 10jährige Lehrtätigkeit in Berkeley und ließ sich von der Rockefeller Foundation ein Ehrenjahr in Genf gut bezahlen (Olechowski, S. 829-831). Von Genf aus unternahm er viele Vortragsreisen. In Alpbach, dem Tiroler Pilgerort für „Die Herren Call-Girls“, wie Arthur Koestler (1905-1983) die dorthin eingeladenen Koryphäen nannte,[xxii] hielt Kelsen am 6. September 1952 einen Vortrag „Was ist Gerechtigkeit?“, welches Thema er seiner Abschiedsvorlesung in Berkeley zugrunde gelegt hat. In Wien, wo Kelsen im „Sacher“ residierte (Olechowski, S. 831), sprach er nochmals zu dieser ihn nach langem Juristenleben offenkundig beschäftigenden und von seinem Klientel angemessen applaudierten rechtsphilosophischen Frage, über die er 1953 eine kleine, wiederholt aufgelegte Monographie publizierte (Verlag Franz Deuticke). 2016 ist in Reclams Universal-Bibliothek (Nr. 19366) mit einem von Klaus Zeleney redigierten Nachwort von Robert Walter der Text wieder publiziert worden.
Im Ergebnis resümiert Kelsen: „… auch die Gerechtigkeit des Friedens ist nur eine relative, keine absolute Gerechtigkeit“ (Olechowski, S. 824, reclam Text S. 45) und „… ich weiß nicht und kann nicht sagen, was Gerechtigkeit ist, die absolute Gerechtigkeit, dieser schöne Traum der Menschheit. Ich muss mich mit einer relativen Gerechtigkeit begnügen und kann nur sagen, was Gerechtigkeit für mich ist. Da Wissenschaft mein Beruf ist und sohin das Wichtigste in meinem Leben, ist es jene Gerechtigkeit, unter deren Schutz Wissenschaft, und mit Wissenschaft Wahrheit und Aufrichtigkeit gedeihen kann. Es ist die Gerechtigkeit der Freiheit, die Gerechtigkeit des Friedens, die Gerechtigkeit der Demokratie, die Gerechtigkeit der Toleranz“ (Olechowski, S. 824; reclam Text, S. 48). Mitten im Kalten Krieg beharrt der Spitzenintellektuelle Kelsen auf seinem Wertrelativismus, der seit seiner Habilitationsschrift (1911) ein Fundament seiner Rechtstheorie war. Kelsen wollte mit den Schriften des vielleicht bedeutendsten Marxisten seiner Zeit Bertolt Brecht (1898-1956) nichts zu tun haben. Der sagte: „Wichtiger, als zu betonen, wie unrichtig es ist, Unrecht zu tun, ist es, zu betonen, wie unrichtig es ist, Unrecht zu dulden“.[xxiii] Weiterführende Anregungen zum Nachdenken hätte Kelsen in der Schweiz allerdings von Friedrich Dürrenmatt (1921-1990) erhalten können, der in seinem Kurs für Zeitgenossen (1952) den Henker auf die Frage über Gerechtigkeit des von ihm unauffällig beiseite zu schaffenden Verurteilten antworten lässt: „Die Gerechtigkeit ist eine Sache von euch da draußen, denke ich. Wer soll auch klug werden daraus. Ihr habt ja immer wieder eine andere“.[xxiv]
Kelsen leitet seinen Gerechtigkeitstext mit einer Passage zum Prozess des römischen Statthalters Pilatus gegen Jesus von Nazareth ein, wobei er den überlieferten Wortwechsel zynisch, arrogant und mit Absicht in die falsche Richtung führend wiedergibt. Jesus habe zu Pilatus gesagt: „Ich bin geboren und in diese Welt gekommen, um Zeugnis zu geben für die Wahrheit“. Pilatus habe gefragt: „Was ist Wahrheit?“. Kelsen: „Der skeptische Römer erwartete offenbar keine Antwort auf diese Frage, und der Heilige gab auch keine. Denn Zeugnis zu geben für die Wahrheit war nicht das Wesentliche seiner Sendung als Messianischer König. Er war geboren, Zeugnis zu geben für die Gerechtigkeit, jene Gerechtigkeit, die er in dem Königreich Gottes verwirklichen wollte. Und für diese Gerechtigkeit ist er auf dem Kreuze gestorben“. „So erhebt sich“, argumentiert Kelsen weiter, „hinter der Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit?, aus dem Blute des Gekreuzigten eine andere, eine noch viel gewaltigere Frage, die ewige Frage der Menschheit: Was ist Gerechtigkeit?“ (reclam Text, S. 9). Der österreichische Jurist Theo Mayer-Maly (1931-2007) hat betont, dass Jesus nicht wegen eines Messiasanspruches verurteilt worden ist. Ein solches Verbrechen war für die Römer nicht nachvollziehbar. Das crimen laesae maiestatis wurde mit der Verehrung der Kaiserstatuen erst ab dem 2. Jahrhundert n. u. Z. für Christen zur tödlichen Gefahr.[xxv] Kelsen will im Grunde, dass aus dem Leben des historischen Jesu, das ein Leben in befreiender Wahrheit für die Unterdrückten war, keine konkreten Folgerungen gezogen werden sollen. Jesus hat mit Pilatus keinen rechtsphilosophischen Disput geführt, er hat eindeutig für die gekreuzigten Völker das Kreuz auf sich genommen, er hat die Entmachteten zum Widerstand ermächtigt und für ihren Kampf um Befreiung ihnen die Vision einer neuen Ordnung der Gleichheit der Menschen gegeben. Befreiungstheologen in Lateinamerika wie Jon Sobrino SJ (*1938) und seine am 19. März 1989 im Auftrag der USA ermordeten Mitbrüder in El Salvador konnten sich bei ihrer Option für die Armen darauf berufen.[xxvi]
Kelsen ist einer von den vielen Intellektuellen, die in der Tragödie der Welt mit ihren Abermillionen von Opfern von Unterdrückung und Krieg die Wahrheit „rechtswissenschaftlich“ verschleiern. So war es ihm keine Entwertung seines Juristendenkens, sich 1953/1954 in den Dienst des U. S. Naval War College zu stellen. Es wird ihm ein schöner Relaunch seiner militaristischen Ambitionen in der k. u. k. Wehrmacht gewesen sein. Olechowski schreibt über das kleine vom Hans und Grete Kelsen bewohnte Häuschen in Newport, ist aber nicht willens, die zeitgleichen, von Kelsen juristisch begleiteten kriegsverbrecherischen Handlungen der USA gegen die Koreanische Demokratische Volksrepublik auch nur zu erwähnen. Es ist müßig zu überlegen, ob die US-Offiziere im War College über den Einsatz der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki am Ende des Weltkrieges mit ihrem Rechtslehrer Kelsen gesprochen haben. Kelsens Relativierung von Nürnberg, deren Urteile das Aggressionsverbot und das Verbot des Angriffskrieges, unabhängig von dem damit verfolgten Zweck beinhalten, ist ebenso menschenverachtend fatal wie die seiner Rechtstheorie geschuldeten Haltung, dass „es keine moralischen Grenzen für den Rechtsinhalt gebe“ (Olechowski, S. 876).
Nirgends lässt sich in diesem Buch eine von den Menschenrechten ausgehende juristische Reflexion von Kelsen zu dem seit 1951 vom skrupellosen US-Imperialismus gehandhabten Instrument der Militärhilfe für die Despoten des Reichtums in Lateinamerika finden, nirgends eine den Frieden einfordernde Wortmeldung von Kelsen zu dem 1965 mit Napalm, Giftgas, Kugelbomben und anderen Massenvernichtungswaffen beginnenden Krieg gegen die friedliche Bevölkerung von Vietnam. Kelsen ragt unter den vielen Rechtswissenschaftlern heraus, welche die Kulisse für das von Noam Chomsky (*1928) noch zu Lebzeiten von Kelsen treffend charakterisierte Rechtssystem solcher Schurkenstaaten wie die USA erstellen. Immer noch wollte Kelsen, anknüpfend an seine politischen Streitschriften gegen den Marxismus-Leninismus aus den 1920er Jahren, die Menschen vom Marxismus befreien und dafür nahm er die Millionen Opfer des Imperialismus in Kauf. Kelsen lieferte keine Rechtsschriften, die zum Widerstand gegen die Kriegsstifter und Unterdrücker hilfreich sind, er war Anwalt der „Zivilisation des Reichtums“, die sich in der Schweiz des Kelsen zum Beispiel durch die Rohstoffgeschäfte der Firma Glencore mit ihren von Kindersklaven bearbeiteten Kupfer- und Kobaltminen manifestiert.
Der US-amerikanische Befreiungstheologe Daniel Berrigan SJ (1921-2016) wurde wegen seines Protestes gegen den US-Völkermord in Vietnam und sein Engagement gegen Kriegsrüstung und Krieg, gegen Unterdrückung, Versklavung und Elend von Abermillionen Menschen als kommunistisches Gespenst inhaftiert (1968). Berrigan SJ spricht von der Erfahrung, dass das herrschende Rechtssystem das sittliche Verantwortungsgefühl des anständigen Menschen, welches eine Quelle der gesellschaftlichen Erneuerung sein sollte, unterdrückt. Berrigan SJ hat in seiner Wahrheitsliebe nichts beschönigt und für die Unterdrückten Partei genommen. Er schreibt, dass die führenden amerikanischen Rechtsschulen, jedes Jahr eine große Zahl von Juristen hervorbringen, „die sich beruflich in ein Versteck vor jedem sozialen Wandel, jedem menschlichen Interesse zurückziehen“.[xxvii]
Das Buch von Olechowski stellt Hans Kelsen im Handlungsverlauf seines Lebens strikt personal mit den kleinsten Einzelheiten dar. Nur so bleibt Kelsen ein „großer“ Mann. Von Beginn an als Hagiographie konzipiert verdeutlicht Olechowski, dass die Kelsenianer sich nicht an einer gemeinsamen menschlichen Zukunft orientieren. Kelsen wird von den Pharisäern der westlichen, von Gier und Konsumismus, von Gleichgültigkeit gegenüber den Armen, Migranten, Flüchtlingen und Vertriebenen geprägten Demokratien zurecht auf ihr Podest gehoben. Die Juristenreligion von Kelsen ist ohne menschlichen Horizont, vermittelt Hoffnungslosigkeit anstatt Hoffnung und ist nur für das vom Hl. Augustinus (354-430) benannte „magnum latrocinium“ nützlich.[xxviii] Das Buch von Olechowski ist deshalb wertvoll, weil es gerade diese Merkmale Juristinnen und Juristen der Gegenwart deutlich machen kann.
[i] Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon II (1990), Sp. 1393-1394 (Michael Tilly).
[ii] Vgl. Franz Gall: Die Sankt Ivo-Kapelle in Wien. Jb. f. Landeskunde von Niederösterreich 36 (1964), S. 491-508; Heinz Burmeister: Der hl. Ivo und seine Verehrung an den deutschen Rechtsfakultäten. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. GA 92 (1975), S. 60-88; Rainer Sprung: Die Verehrung des Hl. Ivo an der Universität Innsbruck. In: Ex aequo et bono. Willibald Plöchl zum 70. Geburtstag. Hg. von Peter Leisching, Franz Pototschnig und Richard Potz. Wagner Innsbruck 1977, S. 129-173; frl. Mitteilung Universitätspfarrer i. R. Bernhard Hippler; Leopold Kretzenbacher: St. Ivo, der bretonische Armenanwalt und Juristenpatron. Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark 86 (1995), S. 187-208; Herbert Schempf: Der Hl. Ivo und seine Verehrung an der alten Universität Salzburg. Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. Mitteilungen 154/155 (2014/2015), S. 301-317;
[iii] https://www.univie.ac.at/staatsrecht-kelsen/organe.php [4. August 2020]
[iv] https://www.uibk.ac.at/events/2020/03/04/christoph-probst-lecture-2020-hans-kelsen [4. August 2020]; dazu. Gerhard Oberkofler: Verstörende Verfremdung. Heuchlerische Denkmalinszenierung an der Innsbrucker Universität. https://apps.derstandard.at/privacywall/story/2000110011275/verstoerende-verfremdung [4. August 2020]
[v] Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien. orell füssli Verlag 5. A. 2017.
[vi] Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe. Band 9. Argument Hamburg 1999, S. 2147
[vii] Gerhard Oberkofler: Wilhelm Frank zum Gedenken. Stationen eines Lebens für sozialen und technischen Fortschritt. Alfred Klahr Gesellschaft. Mitteilungen 2001, Nr. 1 (März) 2000: http://www.klahrgesellschaft.at/Mitteilungen/Oberkofler_1_2_00.html [4. August 2020]
[viii] Gerhard Oberkofler: Franz Huter. Soldat und Historiker Tirols. StudienVerlag Innsbruck 1999. Mündl. Bemerkung von Huter an Oberkofler während der Arbeiten zu Hans Kelsen!
[ix] Vgl. Gerhard Oberkofler / Peter Goller: Fritz Feigl (1891-1971). Notizen und Dokumente zu einer wissenschaftlichen Biographie. Hg. von der Zentralbibliothek für Physik. Wien 1994.
[x] Vgl. Oberkofler und Rabofsky: Heinrich Lammasch (1853-1920). Notizen zur akademischen Laufbahn des großen österreichischen Völker- und Strafrechtsgelehrten. Innsbruck 1993. Dazu Alfred J. Noll in der Wiener Zeitung: „Für Frieden und Völkerrecht“ (13. August 1993); Gerhard Oberkofler: Die weißgewaschenen und die vergessenen Juristen. Hans Kelsen genießt unter Rechtsgelehrten heute noch höchste Anerkennung, während Heinrich Lammasch ignoriert wird. Die Presse vom 3. August 2017.
[xi] Hermann Klenner: Rechtsleere. Verurteilung der Reinen Rechtslehre. Akademie-Verlag Berlin 1972 (= Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie. 17. Hg. von Manfred Buhr), S. 59.
[xii] Gerhard Oberkofler: Eduard Rabofsky. Jurist der Arbeiterklasse. Eine politische Biographie. StudienVerlag Innsbruck 1997.
[xiii] Hermann Klenner / Eduard Rabofsky: Das Wirken von H. Kelsen in marxistischer Sicht. Weg und Ziel 29 (1972), S. 329-332.
[xiv] Vgl. Paul Broda, Gitta Deutsch, Peter Markl, Thomas Schönfeld und Helmuth Springer-Lederer: Wissenschaft. Verantwortung. Frieden. Deuticke, Wien 1985; Gerhard Oberkofler / Peter Goller: Engelbert Broda. Konturen aus seinem Leben (mit Dokumentenanhang und Faksimiles). Hg. von der Zentralbibliothek für Physik in Wien. Wien 1993.
[xv] Rechtshistorische Reihe Band 33, Verlag Peter Lang Frankfurt a. M. 1984
[xvi] Rechtshistorische Reihe 58. Frankfurt a. M. / Bern / New York / Paris.
[xvii] Gerhard Oberkofler: Archivalische Notizen zum theoretischen Umfeld des österreichischen Verfassungsrechts an der Universität Wien um 1930. In: Nikolaus Dimmel und Alfred J. Noll, Verfassung. Juristisch-politische und sozialwissenschaftliche Beiträge anläßlich des 70-Jahr-Jubiläums des Bundes-Verfassungsgesetzes (Juristische Schriftenreihe Band 22). Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei Wien 1990, S. 79-89; Robert Walter, in: ÖJZ 113 (1991), 675.
[xviii] Friedrich Scheu: Der Weg ins Ungewisse. Österreichs Schicksalskurve 1929-1938. Wien / München / Zürich 1972, S. 109.
[xix] Scheu, S. 109.
[xx] Peter Goller / Gerhard Oberkofler: Österreichische Grundrechtsreform (= Rechts- und SozialWissenschaftliche Reihe. Hg. von Wilhelm Brauneder 30). Peter Lang Verlag Frankfurt a. M. 2003; Peter Goller / Gerhard Oberkofler: Grundrechtskatalog für Österreich. Historisch-politische Anmerkungen zur österreichischen Grundrechtsreform (1962-1965). Peter Lang Verlag Frankfurt a. M. 2004.
[xxi] Zitiert nach Pierre Teilhard de Chardin: Das Tor in die Zukunft. Ausgewählte Texte zu Fragen der Zeit. dtv München 1987, S. 89.
[xxii] Bern / München 1973.
[xxiii] Werke. Große kommentierte Ausgabe. Band 18 (1995). Berlin / Weimar / Frankfurt a. M. 1995, S. 144.
[xxiv] Das Dürrenmatt Lesebuch. Hg. von Daniel Keel. Mit einem Nachwort von Heinz Ludwig Arnold. Diogenes Zürich 1991, S. 300-320, hier S. 307.
[xxv] Theo Mayer-Maly: Rechtsgeschichtliche Bibelkunde. Böhlau Verlag Wien / Köln / Weimar 2003, S. 59 f.
[xxvi] Vgl. Jon Sobrino: Christologie der Befreiung. Grünewald-Verlag 2.A. 2008.
[xxvii] Daniel Berrigan: Wir streuen dem Mars keinen Weihrauch. Union Verlag Berlin 1970; Gerhard Oberkofler: Friedensbewegung und Befreiungstheologie. Marxistische Fragmente zum Gedenken an den Friedenskämpfer Daniel Berrigan SJ (1921-2016). trafo Verlag Berlin 2016.
[xxviii] Vgl. Augustinus. Der Gottesstaat. De civitate dei (= Christliche Meister Band 16). Systematischer Durchblick in Texten hg. und eingeleitet von Hans Urs von Balthasar. Johannes Verlag Einsiedeln 5. A. 2012, S. 116.