Gimm, Tillmann M., Die Entwicklung der zivilrechtlichen Unterbringung volljähriger psychisch Kranker – Vom Allgemeinen Landrecht bis zum Betreuungsgesetz (1992) (= Rechtshistorische Reihe 480). Lang, Frankfurt am Main 2019. 315 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Die psychische Erkrankung Volljähriger dürfte in den Anfängen der Menschheit keine besondere Bedeutung gehabt haben, da seinerzeit psychische Erkrankungen selten gewesen sein und ihre Opfer vermutlich den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen gewesen sein dürften. In der Folge dürften sich zunächst die Familie und die weitere umgebende menschliche Gruppe mit diesen Erscheinungen auseinandergesetzt haben. Bedeutsamer dürften sie erst in den Hochkulturen und ihren Rechtsordnungen geworden sein.
Mit den letzten beiden Jahrhunderten des deutschsprachigen Raumes beschäftigt sich die von Andreas Roth während einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter zwischen 2013 und 2018 hervorragend und unter Gewährung hilfreicher Freiräume betreute Dissertation des in Tübingen 1986 geborenen und zunächst in Englisch und Geschichte in Siegen und danach in der Rechtswissenschaft in Mainz ausgebildeten, zuletzt als Rechtsreferendar tätigen Verfassers. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über den Untersuchungsgegenstand und die Methode und den Gang der Untersuchung in drei zeitlich gereihte Abschnitte. Diese betreffen die Unterbringung in dem langen 19. Jahrhundert, die Unterbringung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Unterbringung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, woran sich noch ein kurzer Blick auf die weitere Entwicklung anschließt.
Dabei konzentriert der Verfasser seine überzeugende Betrachtung zunächst auf Preußen und dessen allgemeines Landrecht und Vormundschaftsordnung, greift aber mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896/1900 auch auf die übrigen Länder des 1871 geschaffenen Deutschen Reiches aus. In dem Kern betrachtet er die freiheitsentziehende Maßnahme des gesetzlichen Vertreters zwecks primärer Abwehr einer Selbstgefährdung, die sich gegenüber der polizeilichen Unterbringung abgrenzen lässt, wofür das jeweils herrschende Fürsorgeverständnis erhebliche Bedeutung hat. Nach dem grundsätzlichen Rückschritt während der Zeit des Nationalsozialismus kann der Verfasser ansprechend erweisen, dass die zivilrechtliche Unterbringung mit der Betreuungsrechtsreform des Jahres 1992 zu einer gleichberechtigten und abgrenzbaren Maßnahme gegenüber der öffentlichrechtlichen Unterbringung gewachsen ist, wenn auch Fragen wie die Zulässigkeit ambulanter Zwangsbehandlungen oder der Vereinbarkeit mit der Behindertenrechtskonvention in dem Zeitalter fortschreitender aufgeklärter Anerkennung von Grundrechten erkennen lassen, dass das Ende der Entwicklung noch nicht erreicht ist.
Innsbruck Gerhard Köbler