Erhardt, Elmar, Deutsche Kriminalgeschichte – Verbrechen und Strafe als Spiegel der Gesellschaft. Kohlhammer, Stuttgart 2019. 229 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Jeder einzelne Mensch ist ein Individuum und gehört zugleich der Gesamtheit aller Menschen an. Dementsprechend lebt er ein einzelnes unverwechselbares Leben und verhält sich dabei dennoch ungefähr so wie viele seiner Mitmenschen. In diesem allgemeinen Rahmen hat die Menschheit nach der Erfindung der Sprache das Recht zwecks Steuerung des Zusammenlebens entwickelt und dabei vielleicht schon früh die Strafe als ein von der Allgemeinheit verhängtes Übel für ein anderen schädliches Verhalten ohne Vorteil für das Opfer geschaffen.

 

Unter dem weit ausgreifenden Titel einer deutschen Kriminalgeschichte bietet der in Göttingen 1988 auf Grund einer Dissertation über Kunstfreiheit und Strafrecht – zur Problematik satirischer Ehrverletzungen - promovierte, danach bei dem Bundeskriminalamt und an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg Strafrecht, Strafverfahrensrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht lehrende und dabei seit 2005 ein mehrfach aufgelegtes Strafrecht für Polizeibeamte veröffentlichende Verfasser an Hand vierzehner Einzelfälle eine historische Zeitreise von 1800 bis 2005. Sein besonderes Anliegen ist es, den Blick über die Einzelfälle hinaus auf die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge zu lenken. Darüber hinaus widmet er sich auch allgemeineren Fragen über die Geschichte der Strafen und der Strafzwecke, wobei viele Themen auf seine langjährige berufliche Tätigkeit zurückgehen.

 

Behandelt werden nach einer kurzen Einleitung die Fälle Johannes Bückler (Schinderhannes, um 1800), Kaspar Hauser (1828), Ernst August Wagner (Amokläufer 1913), Fritz Haarmann (Serienmörder ab 1918), Marinus van der Lubbe (Reichstagsbrand 1933), Heinz Pohlmann (Rosemarie Nitribitt 1957), Vera Brühne und Johann Ferbach (1960), Jürgen Bartsch (Kindermörder ab 1962), Erwin Hagedorn (1969), der Kreuzworträtselmord (1981), der Hammermörder (1984-1985), Arno Funke (Onkel Dagobert grüßt seine Neffen 1988 und 1992-1994), der Kannibalenmord (2001) und Herisch Ali Abdullah (Rudolph Moshammer 2005). Jedes Kapitel verfolgt das Geschehen von seinem ersten erkennbaren Beginn bis zu der Rezeption durch die Allgemeinheit, wobei der Verfasser an dem Ende auch eine grundsätzlichere Bilanz über Verbrechen und Gesellschaft zieht. Insgesamt wird sein Werk voraussichtlich wohl eher wegen der anschaulichen und gut verständlichen Darstellung der vielfach bereits allgemein vergessenen Einzelfälle die Aufmerksamkeit von Lesern finden als wegen seiner daraus gezogenen allgemeinen Folgerungen über die Gesellschaft und ihren Spiegel.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler