Antisemitismus heute. Michael Wolffsohn im Gespräch. Ergänzt mit Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise – Ideendrama in fünf Akten. 1779 erstmals veröffentlicht, 1783 in Berlin uraufgeführt. kurz & bündig verlag, Frankfurt am Main 2020. 192 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Seit es den Menschen gibt, steht er in einem Spannungsverhältnis zwischen Zusammenarbeit und Wettbewerb mit oder zwischen Freundschaft und Feindschaft zu Mitmenschen. Hieraus haben sich nicht nur viele günstige Folgen, sondern auch zahlreiche schädliche Konsequenzen für die gesamte Menschheitsgeschichte entwickelt. Straftaten Einzelner stellen dies ebenso unter Beweis wie Kriege unter Völkern oder Staaten.
Eine der bekanntesten Erscheinungen in diesem Zusammenhang ist der Antisemitismus, der vermutlich bereits in dem Altertum mit dem Werden von Semiten in dem Gebiet zwischen Europa, Afrika und Asien entstand und bis die Gegenwart in weltweiter Ausdehnung fortbesteht. Trotz vieler Einzeluntersuchungen ist seine Gesamtgeschichte noch nicht geschrieben und kann vermutlich auch niemals vollständig erfasst werden. Das vorliegende schlanke Werk, das auf einem Gespräch zwischen dem in Tel Aviv an dem 17. Mai 1947 als Enkel des aus Berlin 1939 nach Palästina geflohenen Verlegers und Kinobetreibers Karl Wolffsohn geborenen, in Israel 1953 eingeschulten, 1954 mit seinen Eltern nach West-Berlin übersiedelten, ab 1966 in Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin, Tel Aviv und New York ausgebildeten, 1975 bei Wolfram Fischer in Berlin in Geschichte promovierten, nach dem Wehrdienst in Israel nach Berlin zurückgekehrten, 1980 bei Jürgen Domes in Saarbrücken für Politikwissenschaft und Zeitgeschichte habilitierten und von September 1981 unter späterer Aufgabe der Staatsbürgerschaft Israels bis zu der Emeritierung 2012 an der Universität der Bundeswehr in München neuere Geschichte lehrenden, mit einer Protestantin verheirateten und dadurch Toleranz praktizierenden Michael Wolffsohn mit Susanne Schmugge an dem 11. November 2019 in dem Rahmen der Sendung Kontext bei Radio SRF 2 Kultur beruht, fragt vor allem nach der Herkunft der archaischen Vorurteile gegenüber einer Minderheit, deren Anteil an der Weltbevölkerung gerade einmal 0,2 Prozent beträgt.
Dabei geht es Michael Wolffsohn vor allem auch um den von muslimischen Einwanderern mitgebrachten neuen Judenhass. In diesem Rahmen unterscheidet er den liquidatorischen Antisemitismus, der die Liquidierung der Juden will, weil sie Juden sind, und den diskriminierenden Antisemitismus, der die Juden zwar benachteiligt, aber auf jeden Fall leben lässt. Insgesamt lehnt er Zerrbilder wie beispielsweise Judensau ebenso ab wie Idealbilder und plädiert für Realität, Offenheit, Unbefangenheit und Unverkrampftheit, um an dem Ende doch sein vielfältiges, persönliches Erleben an vielen Stellen einbeziehenden Gedanken durch den Abdruck von Gotthold Ephraim Lessings Ideendrama Nathan der Weise zu ergänzen - möge dadurch der weltweite, vielleicht auch durch die Erfolge von Juden mitverursachte Antisemitismus insgesamt an Gewicht verlieren.
Innsbruck Gerhard Köbler