Eriksen, Trond Berg/Harket, Håkon/Lorenz, Einhart, Judenhass – Die Geschichte des Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019. 678 S., 20 Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Jude ist der Angehörige der Religionsgemeinschaft Judentum, ursprünglich der Bewohner des Reiches des nach dem vierten Sohn Jakobs benannten Stammes (Gebiet um Jerusalem, Hebron, Beer Sheva). Die Frühgeschichte der Juden ist nicht eindeutig feststellbar, doch werden im 8. Jahrhundert v. Chr. die Oberschichten der Reiche Israel und Juda deportiert und gerät 587 v. Chr. das Reich Juda unter die Herrschaft Babylons, bis 538 v. Chr. König Kyros II. von Persien den in diesem Zusammenhang verschleppten, überwiegend von Ackerbau und Viehzucht lebenden Juden die Rückkehr nach Jerusalem erlaubt. 63 v. Chr. erobern die Römer Jerusalem und schlagen Aufstände der Juden 70 n. Chr. unter Zerstörung Jerusalems, 115-117 und 132-136 n. Chr. blutig nieder, so dass sich Juden in die gesamte bekannte Welt zerstreuen.

 

Das vorliegende, von drei norwegischen Forschern in Oslo unter Mitarbeit Izabela A. Dahls geschaffene, und von Daniela Stilzebach in das Deutsche übertragene gewichtige Werk geht in seinem kurzen Vorwort, das auch darauf hinweist, dass der zu Beginn des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts von dem deutschen Journalisten Wilhelm Marr ohne genaue Definition geschaffene Begriff des Antisemitismus sich in Deutschland, Österreich, Frankreich und vielen anderen Ländern Europas wie ein Lauffeuer ausbreitete, davon aus, dass beinahe täglich in den Medien von Antisemitismus die Rede ist. Es gibt aber wohl keine genauere Statistik darüber, wer es wann, wo, wie und warum gebrauchte, obwohl dies durchaus aufschlussreich sein könnte. Demgegenüber verfolgt die Untersuchung in 32 Kapiteln die Geschichte der Juden und damit auch des Judenhasses von der Antike bis zu der Gegenwart.

 

Dabei werden nacheinander Juden, Griechen und Römer, der alte und der neue Bund, die Diaspora, die Kreuzzugsbegeisterung, die Juden in Spanien, der schwarze Tod, das erste Ghetto, Frankreich Deutschland, Luther und die anderen, Shylock und die Schablonen in England, die Ausbreitung gen Osten, die Schattenseiten von Aufklärung und Romantik, die französische Napoleonzeit, die Gewalt des Denkens in Deutschland, Dänemark-Norwegen, die Damaskusaffäre, der ewige und der auserwählte Jude, die Pogrome in Russland, der Antisemitismus im kaiserlichen Deutschland als Antwort auf die Identitätskrise des Kaiserreichs, der Antisemitismus im habsburgischen Österreich, die Selbstverteidigung der Wiener Juden, die Dreyfus-Affäre in Frankreich, die Protokolle der Weisen von Zion, der erste Weltkrieg und die Zwischenkriegszeit, Osteuropa in der Zwischenkriegszeit, der nationalsozialistische Antisemitismus als Regierungsprogramm, der Mord an sechs Millionen europäischen Juden, Kollaboration und Kooperation während des zweiten Weltkriegs, die katholische Kirche und die Juden, der Antisemitismus ohne Juden in der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und Österreich nach 1945, der Antisemitismus und Antizionismus in Osteuropa nach 1945 und schließlich der neue Antisemitismus betrachtet. Dabei wird man die Schlussfolgerung der Autoren aus der großen Antisemitismusuntersuchung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Dezember 2018 auch hier fortschreiben dürfen: Die traurige, menschenfeindliche Geschichte, die zwischen diesen Buchdeckeln erzählt wird, ist nicht abgeschlossen, sondern geht mit immer noch weiteren bedauerlichen Opfern auf vielen Seiten weiter, weil der Mensch eben Mensch ist und sich trotz vieler Mühen wohl nicht auf Dauer zu dem Guten ändern lässt.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler