Knaudt, Sandra, Das Strafrecht des Großherzogtums Hessen im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (= Juristische Zeitgeschichte 3/46). De Gruyter, Berlin 2017. XII, 188 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Das Strafrecht greift als Teil des öffentlichen Rechtes besonders tief in die grundlegenden Rechte des Staatsbürgers ein, weshalb in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft gegenüber dem Staat sichern und schützen wollte, nicht nur der Ruf nach einer Verfassung laut wurde, sondern der Bürger auch die Eingriffsrechte des Staates in seine Freiheit genau festgelegt sehen wollte. Dementsprechend kann es kaum überraschen, dass in dem 1806 zu einem Großherzogtum aufgestiegenen, nach dem Ende des heiligen römischen Reiches souveränen Hessen-Darmstadt 1820 eine Verfassung erreicht und in dieser das Ziel der Schaffung eines Strafgesetzbuchs für das Land festgelegt wurde. In ihm konnte besonders genau bestimmt werden, wann und wie der Staat in die Freiheit, den Körper, das Leben und gegebenenfalls das Eigentum des Einzelnen eingreifen durfte.
Mit dieser Thematik beschäftigt sich die von der Fernuniversität Hagen 2017 angenommene Dissertation der Verfasserin. Sie bietet primär eine Gesetzgebungsgeschichte des Strafgesetzbuchs, an deren Beginn die Entstehungsgeschichte des Staates und seiner territorialen Entwicklung geschildert wird. Besonders bedeutsam ist daneben der Einfluss des in Frankreich 1810 geschaffenen Code pénal, der in der linksrheinischen Provinz Rheinhessen des neuen Großherzogtums galt und in seinen prozessrechtlichen Grundsätzen die modernen Forderungen nach Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens verwirklicht hatte.
Die konkrete Gesetzgebung beginnt mit einem an dem Code pénal ausgerichteten Entwurf des Oberappellationsrats Johann Friedrich Knapp in dem Jahre 1824, dem allerdings bereits 1803 ein Entwurf des den Strafzweck grundsätzlich betrachtenden Karl Ludwig Wilhelm Grolman in Gießen vorausgeht. Danach verfolgt die Verfasserin auf der Grundlage aller zugänglichen Materialien sehr sorgfältig den Gang der von vielen Politikern und Beamten begleiteten Gesetzgebung bis zu der Inkraftsetzung 1842. Die Verfasserin, die dem Ergebnis in Vergleich zu dem Code pénal ein mildes Strafensystem zuspricht, behandelt auf dieser Grundlage die einzelnen Straftatbestände und vergleicht sie mit anderen Strafgesetzbüchern, so dass ihre umsichtige Darlegung einen vorteilhaften Ausgangspunkt für weitere ähnliche Arbeiten vor der Vereinheitlichung des deutschen Strafrechts in dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 und seinen Vorstufen bilden kann.
Innsbruck Gerhard Köbler