Jenß, Johannes, Die „Volksgemeinschaft“ als Rechtsbegriff – Die Staatsrechtslehre Reinhard Höhns (1904-2000) im Nationalsozialismus (= Rechtshistorische Reihe 475). Lang, Frankfurt am Main 2017. 387 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Das Deutsche Reich war auch unter dem Reichskanzler Adolf Hitler ein Staat, in dem eine Vielzahl rechtlicher Regelungen galt, neu geschaffen oder auch aufgehoben wurde. Zu ihnen zählten auch Normen, die den Staat als solchen betrafen und von daher Staatsrecht waren. Mit ihnen beschäftigten sich auch zu dieser Zeit Wissenschaftler, die das damalige Staatsrecht darstellten und aus ihrer Sicht zu verstehen und nach Möglichkeit auch zu gestalten versuchten wie beispielsweise Reinhard Höhn.

 

Mit der Staatsrechtslehre Reinhard Höhns unter dem besonderen Aspekt der Volksgemeinschaft beschäftigt sich die vorliegende, von Rudolf Meyer-Pritzl betreute und stets unterstützte, von Helmut Borsch durch Überlassung zahlreicher Dokumente und Materialien geförderte, in dem Wintersemester 2013 angenommene und an dem 3. Februar 2017 durch mündliche Prüfung abgeschlossene Dissertation des in Kiel in der Rechtswissenschaft ausgebildeten und später in dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus als Leiter der Koordinierungsstelle tätigen Verfassers. Sie gliedert sich nach einer Einleitung in den Untersuchungsgegenstand, den Forschungsstand und die benutzten Quellen in zwei Sachteile. Sie betreffen das Leben und Wirken Reinhard Höhns einerseits und die Volksgemeinschaft als Rechtsbegriff andererseits.

 

Dabei zeigt der Verfasser detailliert, wie der in Gräfenthal in Thüringen an dem 29. Juli 1904 als Sohn eines Amtsanwalts geborene, 1922 in den Deutsch-völkischen Schutz- und Trutzbund eintretende, ab 1923 Rechtswissenschaft studierende, in Jena 1929 auf Grund einer Dissertation über die Stellung des Strafrichters in den Gesetzen der französischen Revolutionszeit promovierte, Artur Mahraun eng verbundene, in dem Juli 1933 in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei eintretende, als Hauptabteilungsleiter in dem Sicherheitshauptamt unter Reinhard Heydrich tätige, in dem Dezember 1933 der Schutzstaffel beitretende und in Heidelberg  mit der Schrift Der individualistische Staatsbegriff und die juristische Staatperson vor Oktober 1934 habilitierte Reinhard Höhn zwar rasch aufstieg und an der Entmachtung Carl Schmitts mitwirkte, aber seinerseits in einer Auseinandersetzung  mit Walter Frank unterlag und trotz Ernennung (rückwirkend zu dem 1. Oktober 1939) zu einem ordentlichen Professor der Universität Berlin an dem 27. Dezember 1939 und Beförderung zu einem SS-Standartenführer 1939 und zu einem SS-Oberführer 1944 an Bedeutung verlor. Nach dem zweiten Weltkrieg wirkte er zunächst als Heilpraktiker und gründete nach der Entnazifizierung (19. Januar 1951, entlastet) 1956 in Bad Harzburg die Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, deren Harzburger Modell wesentlich die Entwicklung der Unternehmensführung in der Bundesrepublik Deutschland bestimmte. Insgesamt sieht der Verfasser überzeugend Höhn als mitverantwortlich für die Erarbeitung einer nationalsozialistischen Staatsrechtslehre mit dem Ziel an, ein genuin nationalsozialistisches Staatsrecht zu schaffen oder zumindest aus der bestehenden Verfassung zu entwickeln, mit dem sich schlechthin alles rechtfertigen ließ, auch wenn er eine Mitwisserschaft Höhns von den Verbrechen des nationalsozialistischen Staates während des zweiten Weltkriegs aus den Quellen nicht sicher erweisen kann.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler