Grenzüberschreitende institutionalisierte Zusammenarbeit von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Henrich-Franke, Christian/Hiepel, Claudia/Thiemeyer, Guido u. a. (= Historische Dimensionen europäischer Integration 30). Nomos, Baden-Baden 2019. 448 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Bei der Entstehung des Menschen gab es zwar bereits die Begrenztheit des Universums, der Erde, des Wassers und damit auch des Landes, aber keine sonstigen Grenzen, wenn auch räumlich-örtlichen Gegebenheiten des Menschen und seines Körpers von selbst zu tatsächlichen Eingrenzungen führten. Aus ihnen erwuchsen wohl allmählich beanspruchte und gegenüber anderen behauptete und verteidigte Räume und Gebiete, die Grenzen bewirkten. Sobald diese von den Menschen ausgebildet und bestimmt worden waren, dürfte der Mensch aber auch erkannt haben, dass die Grenze wie vieles andere zwei Seiten hat, so dass die Begrenzung auch eine Einschränkung von Möglichkeiten nach sich zog.

 

Mit einem besonderen Teilaspekt dieses Gegenstandsbereichs beschäftigt sich der vorliegende Sammelband, in den die Herausgeber sachkundig einleiten, wobei sie insgesamt dafür plädieren, internationale Geschichte stärker als grenzüberschreitende institutionalisierte Geschichte zu positionieren, weil sie sich nach ihrer Ansicht  so auf sinnvolle Weise von einem methodologischen  Nationalismus und der engen Fixierung auf den Nationalstaat als natürliche oder eher naheliegende Untersuchungseinheit lösen kann. Dabei werden fünf Kapitel unterschieden. Diese behandeln nacheinander den Aufbau und Rückbau von Grenzen, Infrastrukturen als Motoren grenzüberschreitender Zusammenarbeit, Institutionalisierung als Konfliktregulierung, Institutionalisierung grenzüberschreitender ökonomischer Beziehungen sowie schließlich transnationale Expertenkooperationen.

 

Dementsprechend beginnt der Band mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Schmugglern, Aufständischen und Händlern in dem (russländisch- bzw.) russischen-polnisch-preußischen Grenzgebiet bei Thorn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Danach werden beispielsweise die Übernahme staatlicher Funktionen durch ein finnisches Bauunternehmen in der Sowjetunion, die deutsch-niederländische Euregio, der Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen, die deutsch-niederländische Telegraphengesellschaft, die Abwasserprobleme Sao Paulos, die zufällige Anwesenheit griechischer Gesandter in fremden Poleis der klassischen Zeit, die Friedensliga des Königs Georg von Podiebrad, die hansischen Außenbeziehungen in dem Spätmittelalter, die Finanzkontrolle in Griechenland, der schweizerisch-liechtensteinische Zollanschlussvertrag von 1923, die Zusammenarbeit der westlichen Industrieländer mit den multinationalen Ölunternehmen nach dem zweiten Weltkrieg, die institututionalisierte intellektuelle Zusammenarbeit in dem Rahmen des Völkerbunds, die transnationale Bekämpfung des Mädchenhandels und das Europäische Parlament zwischen 1952 und 1979 näher betrachtet. In dem Ergebnis zeigt das vielfältige Mosaik der Studien anschaulich die erweiterten Möglichkeiten von Grenzüberschreitungen, auch wenn dadurch voraussichtlich die Grenzen nicht dauerhaft aufgehoben werden werden, weil der Mensch als Egoist auch ihre Vorteile erkennt.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler