Grandazzi, Alexandre, Urbs – Roms Weg zur Weltmetropole, aus dem Französischen übersetzt v. Lemmens, Nathalie/Schmidt, Regine/Schubert, Maria u. a. Wissenschaftliche Buchgesellschaft/Philipp von Zabern, Darmstadt 2019. 718 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Wer die eigene Gegenwart mit unvoreingenommenen Sinnen betrachtet, weiß, dass derzeit Städte an mehreren Stellen der Erde entstanden sind, deren Größe Rom als Haupt der Welt nie erreichen wird, weil Voraussetzungen wie in Japan, Indonesien, Indien, den Philippinen, Südkorea, China, den Vereinigten Staaten von Amerika oder Brasilien in Europa nirgends und damit auch nicht an dem Tiber in Latium bestehen. Dennoch nimmt Rom auch bei einem Vergleich mit den heute viel größeren Städten der Welt eine besondere Stellung ein. Die Geschichte der Stadt Rom ist nämlich, wie es schon der Klappentext zu einem klaren Ausdruck bringt, die Geschichte der Eroberung des Mittelmeerraums und der Errichtung eines Weltreichs von der Mitte Afrikas bis weit in den hohen Norden Europas und von dem vorderen Asien des Zweistromlands bis an den Atlantik.
Mit ihr hat sich der 1957 geborene, seit 1976 in alter Geschichte und Archäologie an der Ècole normale supérieure ausgebildete, in Paris lehrende Gelehrte lebenslang besonders intensiv und erfolgreich beschäftigt. Dementsprechend hat er 1991 eine Geschichte der Gründung Roms vorgelegt, 2003 die Anfänge Roms beschrieben und sich 2008 mit der Geschichte der Legende Alba Longa befasst. Nunmehr fügt er in Erinnerung an seinen Vater seine gesamten bisherigen Erkenntnisse über den Aufstieg Roms zu der Herrschaft über den riesigen Mittelmeerraum zu einer neuen beeindruckenden Einheit zusammen., die in dem französischen Original bereits 2017 unter dem Titel erschien Urbs – Histoire de la ville de Rome, des origins à la mort d’Auguste und dementsprechend etwa bis zu der christlichen Zeitenwende oder dem Übergang von der älteren Republik zu dem neuen Prinzipat reicht.
Gegliedert ist diese umfassende Sicht nach einer Einleitung und einem Prolog in drei große Abschnitte, die mit der Königsstadt und dem saturnischen Berg beginnen und über den Bund der sieben Hügel zu dem forum und der ersten Bücke führen. Auf dieser Grundlage beginnt mit der Ablösung der tarquinischen Könige die freie Stadt der Republik, von der aus vor allem die Karthager, für die Hannibal ante portas erscheint, letztlich erfolgreich niedergerungen werden. Danach ist eine völlig neue Stadtentwicklung möglich, die durch den Wandel von dem früheren Ziegelstein zu dem edlen Marmor als Baumaterial führt.
In seiner Zusammenfassung kann der Verfasser, der seine begeisterte Ode an Rom durch dreizehn Karten von dem Kapitol als dem saturnischen Berg bis zu der augusteischen Zeit veranschaulicht, durch eine Chronologie von dem Abklingen der Vulkanausbrüche in den Albaner Berge um etwa 36000 bis zu dem 19. August 14 n. Chr. strukturiert und durch viele Anmerkungen und eine Auswahlbibliographie absichert sowie durch Register von Acca Larentia bis Zwölftafelgesetz aufschließt, überzeugend feststellen, dass durch den Begründer des größten jemals bestehenden menschlichen Reiches die in dem Herzen liegende urbs sich in fünfzig Jahren mehr verändert hat als durch alle seine Vorgänger in den Jahrhunderten zuvor. Dementsprechend lässt er den Leser an einem gemeinsamen Blick über die damalige römische Stadtlandschaft teilhaben, wie sie schließlich Rom zu der Stadt als einem überall nachgeahmten, aber niemals mehr erreichten Modell schlechthin machte. In diesem Sinne ist ihm Rom ein Kreis, in dem Vergangenheit und Zukunft aufeinandertreffen, und ein einzigartiger Ort, in dem Raum und Zeit ihre Bestimmung in vollendeter Einheit finden.
Innsbruck Gerhard Köbler