Engels, Jens Ivo, Alles nur gekauft? Korruption in Deutschland seit 1949. Wissenschaftliche Buchgesellschaft/Theiss, Darmstadt 2019. 399 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Gemeinsam lassen sich auch von dem durch das Selbsterhaltungsbedürfnis geprägten Menschen manche Ziele leichter erreichen als allein. Aus diesem Grunde verbinden sich Menschen zu vielfältigen Zwecken in unterschiedlicher Art und Weise. Eine Möglichkeit ist dabei der Einsatz eines öffentlichen Amtes zwecks Erreichung eines privaten Vorteils, indem beispielsweise ein Bürgermeister sich von einer Wohnbaugesellschaft, die an seinem Wohlwollen für die Verwirklichung eines Bauprojekts interessiert und davon abhängig ist, einen Vorzugspreis für den Erwerb von Wohnungen einräumen lässt, an dem er interessiert ist und den er ohne Entgegenkommen der Baugesellschaft nicht erlangen kann, ohne dass eine der beiden Interessenlagen und Verhaltensweisen leicht ersichtlich für jedermann dokumentiert wird.
Mit der Korruption in Deutschland seit 1949 allgemein und losgelöst von diesem Beispielsfall beschäftigt sich das vorliegende Werk des in Köln 1971 geborenen, in Freiburg im Breisgau ab 1991 in neuerer Geschichte, neuester Geschichte, osteuropäischer Geschichte und öffentlichem Recht sowie auch in Bordeaux Montaigne ausgebildeten, 1998 mit der von Erich Pelzer betreuten Dissertation über Königsbilder zwischen Hoffnung, Spott und Alltagsbewältigung promovierten, danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter und wissenschaftlicher Assistent Franz-Josef Brüggemeiers tätigen, 2004 mit einer Schrift über Naturpolitik in der Bundesrepublik 1950-1980 für neuere Geschichte und neueste Geschichte habilitierten und 2008 für neuere Geschichte und neueste Geschichte an das Institut für Geschichte der Technischen Universität Darmstadt berufenen Verfassers, der bereits 2009 an dem Gemeinschaftswerk Geld - Geschenke - Politik. Korruption im neuzeitlichen Europa, hg. v. Engels, Jens Ivo/Fahrmeir, Andreas/Nützenadel, Alexander mitwirkte und 2014 die Geschichte der Korruption von der frühen Neuzeit bis in das 20. Jahrhundert vorlegte. Sein gut lesbares, sehr interessantes Werk gliedert sich nach einer Einleitung über das Wesen der Korruption und über eine sehr kurze Geschichte der Korruption in drei vor allem chronologisch geordnete Teile. Sie betreffen die Korruption in der Bonner Republik von 1949 bis 1990, die große Wende der Welt in dem Korruptionsfieber ab 1990 und die Korruption in der Berliner Republik von 1990 bis 2012.
Angesprochen werden dabei Kilb, Koblenz, Klett, FIBAG, Starfighter und Franz Josef Strauß, Gerstenmaier, Geldner, Steiner, Wienand, der Bundesligaskandal 1971, die Flick-Affäre, die Versprechen der Transparenz, die Treuhand, Norbert Gansel und die Erfindung des gläsernen Abgeordneten, Freunde, Dienstwagenaffären und Flugaffären, Helmut Kohls finale Affäre, Bonusmeilen, Volkswagen und Siemens 2005-2007 und die Affäre Wulff 2011-21012. In dem Ergebnis gelangt der Verfasser zu der Ansicht, dass korruptionsfreie Politik in einem sehr strengen Sinn unmöglich ist und dass die Sensibilität für negative Folgen grenzenloser Korruptionsskandalisierung gestiegen ist. Dementsprechend liefert nach seiner eigenen Einschätzung seine Untersuchung wenig Argumente für die an den Beginn gestellte Behauptung, der deutsche Staat sei eine Bananenrepublik, obwohl gut mit allen möglichen Mitteln geschmiert vieles für viele besser läuft als bei Einhaltung eigentlich selbverständlicher Verhaltensweisen, doch ist der Mensch als solcher seit seinem Beginn überall eben auf der egoistischen Suche nach möglichst günstigen Lebensbedingungen und damit auch nach vielen eigenen Vorteilen zu Lasten anderer, wo immer er eine Möglichkeit hierfür sieht, und kann man dem einfachen Menschen nicht wirklich ein Verhalten vorwerfen, das ihm Entscheidungsträger auf allen Ebenen heimlich in einem weitgehend unter Wasser oder in dem Dunkel befindlichen Eisberg, von dem stets nur die Spitze allgemein sichtbar wird, vorleben, so dass zwar sicher nicht alles nur gekauft ist, aber doch wohl viel mehr, als allgemein bekannt wird, da auch die Handelnden durch jede bekannt werdende Korruption zu gesicherterem, geschickterem und unverdächtigerem Tun sensibilisiert werden.
Innsbruck Gerhard Köbler