Die Ämter und ihre Vergangenheit. Ministerien und Behörden im geteilten Deutschland 1949-1972, hg. v. Creuzberger, Stefan/Geppert, Dominik. Schöningh, Paderborn 2018. 213 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
In einem auch von der Dimension Zeit geprägten Gegebenheit hat wohl alles angesichts der relativen Vorgegebenheit der Zeit von einem nicht genau bekannten Ausgangspunkt wie etwa dem Urknall bis zu einem nicht genau bekannten Endpunkt wie der Verschmelzung des Planeten Erde mit der Sonne eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft. In diesem Rahmen leben Menschen von ihren Anfängen zusammen mit ihren Mitmenschen. Auf Grund des ihnen vorgegebenen Selbsterhaltungstriebs bekämpft dabei der eine den anderen aus ihm möglicherweise bewussten Überlegungen, während der eine wie der andere gleichzeitig den einen oder anderen fördert und begünstigt, weshalb es zu Herrschaft, Kampf und Tod auf der einen Seite und Kooperation, Kollusion und Korruption auf der anderen Seite kommen kann.
Vor allem für die Vergangenheit lässt sich dies, soweit Quellen verfügbar sind, wissenschaftlich durchaus erforschen. Für Deutschlands Geschichte wirkt dabei der braune Fleck der Jahre zwischen 1933 und 1945 samt seinen Grundlagen wie Folgeerscheinungen vor allem nach dem Tode der jeweiligen Akteure reizvoll und interessant, auch wenn nicht wirklich gesichert ist, dass der Mensch aus der Geschichte immer die optimalen Schlüsse zieht. Der vorliegende, aus dem in dem März 2016 veranstalteten 28. Rhöndorfer Gesprächen unter Förderung durch die Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus hervorgegangen ist, widmet sich diesem vielleicht menschlichsten aller Gegenstände in insgesamt zehn Beiträgen.
Dabei bieten die beiden in Rostock und Bonn wirkenden Herausgeber unter dem Titel „das Erbe des NS-Staats als deutsch-deutsches Problem zunächst eine Einführung in den Gegenstand. Auf dieser weitgespannten Grundlage werden danach Konrad Adenauers Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, die heile Welt des Bundesministeriums der Justiz, die Personalpolitik in dem Übergang von der sowjetischen Besatzungszone zu der Deutschen Demokratischen Republik zwischen 1945 und 1953, Personalkontinuitäten und Vergangenheitsbewältigung in dem Bundeswirtschaftsministerium, die Personalrekrutierung und die Karriereverläufe in der zentralen Wirtschaftsverwaltung der sowjetischen Besatzungszone/Deutschen Demokratischen Republik, die Brüche und Kontinuitäten in dem Bundesamt für Verfassungsschutz in dem Schatten der geheimen Staatspolizei, die Mitglieder der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei in dem Ministerium für Staatssicherheit und die erfahrenen Männer in dem Personal der Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin untersucht. An dem Ende ziehen die Herausgeber in dem durch ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren von Frank Bosch bis Andreas Wirsching, ein Abkürzungsverzeichnis und ein Personenregister von Adenauer über Globke, Hitler, Schiffer und Ulbricht bis Ziesel abgerundeten Sammelband eine vielfältige Zwischenbilanz über die Ämter und ihre Vergangenheit, in der sie Adenauers rheinischen Pragmatismus, das Fehlen einer regelrechten „Renazifizierung“ in der Bundesrepublik, das Fehlen eines vollständigen Bruches mit dem alten Personal in der Deutschen Demokratischen Republik, tradierte Expertisen und inhaltliche Verbindunglinien zu dem nationalsozialistischen Regime, deutsch-deutsche Vergleichsperspektiven, verflechtungsgeschichtliche Einsichten und hinsichtlich der Motive der Anpassung der Belasteten besonders beleuchten und dabei etwa hinzüglich der Motive feststellen, dass die Beiträge des Bandes grundsätzlich die ältere Forschung bestätigen und die einleuchtende Stellungnahme vertreten, dass ein institutionengeschichtlicher Forschungsansatz erklären kann, warum die freiere Bundesrepublik trotz vergleichbarer nationalsozialistischer Belastung ihrer Eliten sich letztlich kritischer und erfolgreicher mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandergesetzt hat als die Deutsche Demokratische Republik, in der wegen der Parteidiktatur der Sozialistischen Einheitspartei unter dem Deckmantel eines offiziell kundgetanen Antifaschismus derartige Lernprozesse unerwünscht und unmöglich waren.
Innsbruck Gerhard Köbler