Caroni, Pio, Privatrecht in dem 19. Jahrhundert. Eine Spurensuche (= Schweizerisches Privatrecht, hg. v. Chappuis, Christine u. a., Band 1 Geschichte und Geltungsbereich, hg. v. Hofer, Sybille, Teilband 1). Helbing Lichtenhahn, Basel 2015. XXXV, 255 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Wie das gesamte Universum, so hat auch das von dem Menschen entwickelte Privatrecht eine in die Zeit eingebettete Geschichte, in der das Wort Privatrecht 1721 erstmals als Wiedergabe des älteren lateinischen ius privatum belegt zu sein scheint. Aus dem gesamten Recht wird es als Teilmenge sichtbar, sobald das Strafrecht und das Prozessrecht als eigene Teilmengen erfasst und abgesondert werden, was gedanklich teilweise bereits in dem römischen Recht des Altertums und in eigenen Darstellungen in der wissenschaftlichen Literatur des späteren Mittelalters erfolgt. Spätestens an dem Beginn der Neuzeit erscheint mit der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 für das Heilige römische Reicht ein zwar grundsätzlich nur subsidiäres Strafgesetzbuch, das aber doch dauerhaft das Strafrecht als eine eigene Einheit versteht und letztlich in dem 18. und 19. Jahrhundert eine Trennung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht nach sich zieht, in deren Gefolge der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis Bayerns von 1756, der Code civil Frankreichs von 1804 und das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs von 1811/1812 sowie danach zwischen 1853 und 1855 ein Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich, zwischen 1863 und 1865 ein Bürgerliches Gesetzbuch in Sachsen und zu dem 1. Januar 1900 ein Bürgerliches Gesetzbuch des Deutschen Reiches in fünf Büchern geschaffen wurden und die Schweiz nach einem nicht verwirklichten Dresdener Entwurf eines Allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse des Deutschen Bundes von 1866 in dem Kulturkampf 1874 ein Personenstands- und Ehegesetz, 1881 ein Obligationenrecht und 1907 ein Zivilgesetzbuch in Kraft setzte.

 

Mit dem Schweizer Privatrecht in dem 19. Jahrhundert in der Form einer Spurensuche beschäftigt sich an herausragender Stelle als wohl bester Sachkenner der in Bellinzona 1938 geborene, in Bern 1967 bei Peter Liver habilitierte und dort seitdem wirkende Verfasser, der zahlreiche Schriften wie  etwa 1964 Le origini del dualismo comunale Svizzero, 1970 Einflüsse des deutschen Rechts Graubündens südlich der Alpen (Habilitationsschrift), 1986 Rechtseinheit, 1988 Privatrecht - Eine sozialhistorische Einführung 1988 (2. A. 1999), 1996 Lecciones catalanas sobre la historia de la codificación, 1998 Saggi sulla storia della codificazione, das entzauberte Gesetzbuch, die Einsamkeit des Rechtshistorikers, Gesetz und Gesetzbuch sowie anderes veröffentlicht hat. In Zusammenfassung zahlreicher früherer Arbeiten gelangt er nunmehr weitgehend gelöst von den Quellen zu einer eindrucksvollen Gesamtsicht. In deren Mittelpunkt steht der entfesselte Markt mit seiner totalisierenden Logik expansionshungriger Wirtschaftskreise, in dem die Ökonomie herrscht und die fraternité zurückbleibt.

 

Dabei trennt der Verfasser ziemlich entschieden die Rechtsgeschichte der Schweiz von der übrigen Rechtsgeschichte Europas. Außerdem interessiert ihn mehr die Sozialgeschichte als die Entstehungsgeschichte und die Wirkungsgeschichte der Rechtsnormen. In diesem Rahmen eigenständiger Sicht hält er die Schweiz für vor allem konsensorientiert und bietet jedem Leser vielfältige individuelle Einsichten, deren allgemeine Durchsetzungskraft sich in der Zukunft allerdings noch erweisen muss.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler