Bauer, Kurt, Der Februaraufstand 1934 – Fakten und Mythen. Böhlau, Wien 2019. 217 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

In dem Rahmen seines natürlichen Selbsterhaltungstriebs neigt der Mensch wohl von Anfang an auch zu der Beeinflussung seiner Umwelt. Als soziales Wesen strebt er in diesem Zusammenhang zwecks Vermehrung seiner Durchsetzungswahrscheinlichkeiten nach Anhängern, die ihn bei der Verwirklichung seiner Zielsetzungen unterstützen. Von daher entwickelt der Mensch schon früh Zusammenschlüsse, die vor Gewalt gegenüber anders denkenden Mitmenschen nicht zurückschrecken.

 

Mit einem einzelnen Beispiel dieser Problematik beschäftigt sich das vorliegende Werk des in Sankt Peter am Kammersberg in der Steiermark 1961 geborenen, zunächst die höhere graphische Lehranstalt in Wien durchlaufenden und danach als Hersteller bei verschiedenen Verlagen in Wien tätigen, sein zusätzliches Studium der Geschichte an der Universität Wien 2002 mit einer Dissertation über die österreichischen Nationalsozialisten und den Juliputsch 1934 abschließenden Verfassers, der nach den Vorbemerkungen  in den Jahren von 2012 bis 2014 mit Unterstützung des Zukunftsfonds der Republik Österreich ein Forschungsprojekt durchführte, in dem es darum ging, die Frage  nach der möglicherweise zwischen einigen Hundert und einigen Tausend schwankenden Zahl von Todesopfern des Februaraufstands 1934 zu klären. Weil es ihm an der Zeit schien, die Ergebnisse des Projekts allgemein zu veröffentlichen und weil ein diesbezügliches Buch bisher fehlt, legt er nunmehr eine wissenschaftliche Darstellung vor. Sie will den Aufstand, seine Vorgeschichte, seinen Verlauf und die wichtigsten Forschungsfragen zu diesem bedeutenden Ereignis der Geschichte der ersten österreichischen Republik nüchtern und unvoreingenommen darlegen.

 

Dabei behandelt der Verfasser in grundsätzlich chronologischer Abfolge fünfer Sachkapitel  den Weg in den von Misstrauen und Hass zwischen dem Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und den Sozialdemokraten gekennzeichneten Weg in den Februar, die Kämpfe zwischen Regierungskräften des autoritären Regimes und Einheiten des republikanischen Schutzbunds der Sozialdemokratie in Linz an dem 12. Februar 1934, den Aufstand vom Montag, dem 12. Februar 1934, und Dienstag, dem 13. Februar 1934, die Opfer, die besonderen Fälle von Steyr, Holzleithen, Floridsdorf, Graz und Schlingerhof sowie damit verbundene Mythen, Legenden und offene Fragen. Er ermittelt rund 360 Opfer, deren Kerndaten er von Ableitinger, Johann bis Zimmermann, Maria sorgfältig festgestellt hat. Dabei betont er am Ende einleuchtend, dass auf Grund der Eigenarten des Menschen Engelbert Dollfuß mit seinem Regime die sozialdemokratische Verzweiflungstat bewusst heraufbeschworen hat, dass Otto Bauer und die Sozialdemokratie 1933/1934 längst zu Gefangenen der eigenen radikalen Phrasen und Intransigenz geworden waren und dass der Sieg des Regimes über die Sozialdemokratie insofern ein Pyrrhussieg war, als dem Nationalsozialismus und dessen Machtergreifung in Österreich dadurch stärker  in die Hände gespielt wurde als durch irgendein anderes Ereignis in der ersten österreichischen Republik.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler