Assmann, Aleida, Der europäische Traum. Vier Lehren aus der Geschichte. Beck, München 2018. 207 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Möglicherweise ist die Geschichte des Traumes besonders eng mit dem Menschen verbunden, wenngleich vielleicht auch bei Tieren während des Schlafes unbewusste Vorgänge in dem Gehirn ablaufen können. Jedenfalls hat der Mensch seit langem in dem Unterbewusstsein vielfältige Träume, von denen die Angstträume ihm Furcht einflößen, weshalb er positive Träume von idealen Zuständen durchweg vorzieht. Sie bieten ihm Befreiung von Schrecken und Not sowie Hoffnung auf Glück und Seligkeit.

 

Mit einem Teilaspekt dieses Fragenkreises beschäftigt sich das vorliegende, schlanke, mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnete Werk der in Gadderbaum bei Bielefeld 1947 als Tochter eines Theologen geborenen, in Heidelberg und Tübingen in Anglistik und Ägyptologie ausgebildeten, mit Jan Assmann verheirateten, in Heidelberg 1977 mit einer Dissertation über die Legitimität der Fiktion in der Anglistik promovierten, 1992 in Heidelberg in der neuphilologischen Fakultät habilitierten und 1993 für Anglistik und allgemeine Literaturwissenschaft nach Konstanz berufenen, auf Grund ihrer vielfältigen Forschungen über kulturelles Erinnern und Vergessen gastweise vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika tätigen Verfasserin. Der aktuelle Band gliedert sich in zwei Teile. Dabei steht an dem Beginn die Frage, ob man aus der Geschichte lernen kann, für die der zweite Teil Fallbeispiele bietet.

 

In diesem Rahmen sieht die Verfasserin vier Lehren aus der Geschichte bezüglich der Friedenssicherung, der (Wieder-)Herstellung von Rechtsstaatlichkeit oder des Umbaus von Diktaturen in Demokratien, der historischen Wahrheit und des Aufbaus einer deutschen Erinnerungskultur und der Wiederentdeckung der Menschenrechte. Die Fallbeispiele betreffen den 8. und 9. Mai, die europäische Erinnerung an den ersten Weltkrieg, die deutschen Antworten auf zwei Diktaturen, den spanischen Bürgerkrieg, die Rolle der 68er für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, monologisches und dialogischen Erinnern in Europa, die vergessene deutsche Migrationsgeschichte und Schicksalsvergleiche zwischen Empathie und Abwehr, wobei an dem Ende Differenzen, Defizite und Desiderate in der Form linken und rechten Unbehagens an der deutschen Erinnerungskultur, der Ost-West-Spaltungen und des kolonialen Erbes Europas nicht unerwähnt bleiben. Möge das den Trägern und Stützen der Willkommenskultur gewidmete Werk, das die Zukunft Europas von der weiteren Grundorientierung an Friedenssicherung, Demokratie, Wahrheit und Menschenrechten gebunden sieht, der weltweiten Verwirklichung aller schönen Träume aller Menschen in vielfältiger Weise dienlich sein.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler