Wüsthof, Lucas, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht (= Monumenta Germaniae Historica, Schriften 73). Harrassowitz, Wiesbaden 2017. LXIII, 367 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Sachsenspiegel und Schwabenspiegel sind zwei der bekanntesten Quellen der deutschen Rechtsgeschichte und das Augsburger Stadtrecht ist das bedeutsame Recht einer der wichtigsten Städte des Heiligen römischen Reiches. Früher standen sie in Brennpunkten der rechtsgeschichtlichen Forschung, ehe diese sich in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich aktuelleren Fragen zuwendete. Umso erfreulicher ist es, dass der 1987 geborene Verfasser sich in seiner von Bernd Kannowski langjährig betreuten, 2016 in Bayreuth angenommenen Dissertation mit diesen gewichtigen Gegenständen beschäftigte.

 

Gegliedert ist die interessante Untersuchung in drei Teile, von denen der erste den Forschungsstand, die von dem Verfasser selbständig problematisierte „Rezeption“ in dem Sinne von Voraussetzungen einer textlichen Abhängigkeitsbestimmung, den (in rund 400 Handschriften und etwa 100 Fragmenten überlieferten, am häufigsten ursprünglich als Kaiserrecht und erst seit 1609 allgemein mit dem später durchgesetzten Namen bezeichneten) Schwabenspiegel und die Augsburger Stadtrechtsquellen von 1156 und 1276 behandelt. Dem folgt der Vergleich von Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, der nacheinander den ersten Stadtrechtsteil, den zweiten Stadtrechtsteil, den dritten Stadtrechtsteil, den ländlichen Rechtsraum, Stadtrechtsnachträge, den Codex Krafft und das Lehnrecht betrachtet. Am Ende bietet der Verfasser auf der Grundlage seiner zusammenfassenden Zwischenergebnisse ein Endergebnis zu dem Quellenverhältnis, dem Entstehungsort und der Verfasserschaft und beschließt sein auf einem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis (S. XVIII-LXIII) ruhendes Werk mit einem Vergleichsstellenglossar, einer Übersicht über die Handschriftenüberlieferung, Abbildungen der Vergleichsstellen des Codex Krafft der Universitätsbibliothek Gießen (Handschrift 972) und drei Registern der Handschriften, Namen und Sachen.

 

Ausgangspunkt der Studie ist die Ansicht, der Schwabenspeigel sei in Augsburg und dort im Zusammenhang mit dem Augsburger Stadtrecht um das Jahr 1276 entstanden. „Vielerorts wird darauf rekurriert, nirgends aber diese Behauptung hinterfragt oder bewiesen“. Mittelbar belegt der Verfasser diese Aussage  mit Eckhardt, Rechtsbücherstudien 1 (1927) und Müller, Schwabenspiegel und Prosakaiserchronik S. 234.

 

Ziel ist die Rekonstruktion eines möglichst vollständigen Bildes eines Einzelstrangs der Rezeptionsgeschichte des Schwabenspiegels. Der Verfasser erhofft dadurch wichtige Neuerungen bezüglich Entstehungsort, Autorenschaft und Wirkungsbereich des Schwabenspiegels. Als Ergebnis soll der Leser Antworten auf die Fragen nach der Geschichte des Schwabenspiegels, des Augsburger Stadtrechts und nach ihrem Verhältnis zueinander erhalten.

 

Bei der anschließenden Untersuchung des Schwabenspiegels kann der Verfasser Angaben zu Autoren, Entstehungsort und Entstehungszeit nicht ermitteln und auch eine Eingrenzung der benutzten Bibliotheksbestände nicht erreichen. Eine Verfasserschaft von Franziskanern ist ebenfalls nicht mit letzter Sicherheit nachweisbar, auch wenn Predigten Davids von Augsburg und Bertholds von Regensburg in dem Text des Schwabenspiegels verwendet sind. Als erwiesen darf gelten, dass die Schreiber (oder eher der oder die Verfasser) städtische Verhältnisse und die damaligen politischen Entwicklungen kannten. Als mögliche Entstehungssorte verbleiben nach dem Verfasser Augsburg und Regensburg, als Entstehungszeitrum die Zeit zwischen 1268 und dem Jahr 1287, aus dem die älteste datierte Handschrift des Schwabenspiegels stammt.

 

Das dem lateinischen ersten Stadtrecht Augsburgs in einer Urkunde Friedrichs I. Barbarossa von dem 21. Juni 1156 folgende mittelhochdeutsche Stadtrecht Augsburgs verbindet der Verfasser mit dem Reichstag Rudolfs I. von Habsburg in dem Mai 1275. Hier wurden dem König Vorarbeiten vorgelegt. Dabei bleibt für den Verfasser eine „Benutzung oder Beeinflussung des Schwabenspiegels“ durchaus möglich, weshalb er Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht nach der Reihenfolge in dem Augsburger Stadtrecht (Artikel 1-27, 28-113, 114-150 sorgfältig vergleicht.

 

Dabei kann er etwa feststellen, dass die Bezeichnung Landrechtsbuch in den Quellen des 13. Jahrhunderts vorrangig dem Schwabenspiegel und den ihm verwandten Quellen zuzuordnen ist. Erst die spätere Rechtsbücherforschung sammelt nach dem Verfasser sämtliche Rechtsspiegel unter dem Namen Landrechtsbücher. Wenn Kluge also schreibe, die Überschrift des Augsburger Stadtrechts von 1276 kleide den Rechtstext in das Gewand der Ordnungsvorstellung des Spiegelrechts, äußere er eine ernstzunehmende Vermutung, doch hält es der Verfasser selbst für zweifelhaft, ob die „Augsburger“ mit der Überschrift ihres Stadtrechts auf den Schwabenspiegel anspielen.

 

Insgesamt ermittelt der Verfasser in dem ersten Teil des Augsburger Stadtrechts von 1276 sechs Vergleichsstellen, die „abseits von anderen möglichen Quellen nur im Schwabenspiegel und in dem Stadtrecht und nicht im Sachsen- und Deutschenspiegel ihre Vorlage finden.“ Wegen der seinerzeitigen Aktualität der dabei einbezogenen Fragen bleibt für ihn der einzige Anhaltspunkt für eine Beziehung des Augsburger Stadtrechts zu dem Schwabenspiegel die in der Überschrift verwendete Bezeichnung Landrechtsbuch. Auf der Grundlage der Vorläufigkeit dieser Beobachtung fährt er mit seinem Vergleich fort.

 

Dabei kann er für den zweiten Teil des Augsburger Stadtrechtsfesthalten, dass die Vergleichsstellen größtenteils nur sachliche und keinesfalls inhaltliche Übereinstimmungen aufweisen. „Ein Urteil bezüglich eines unmittelbaren  Gesamtzusammenhangs von Stadtrecht und Schwabenspiegel ist insoweit nicht auszusprechen.“ Deswegen setzt er seine Suche in dem dritten Teil des Augsburger Stadtrechts fort.

 

Auch hier erhält er aber keine letztverbindlichen Antworten auf das Verhältnis von Stadtrecht und Schwabenspiegel. Mit einer einzigen Ausnahme lassen sich alle Vergleichsstellen neben dem Schwabenspiegel zumindest in dem Deutschenspiegel nachweisen. Das schlagkräftigste Argument für eine gegenseitige Abhängigkeit ist ihm die Fünf-Schilling-Buße des Burggrafen.

 

Am Ende seiner aufwendigen, sorgfältigen und verdienstvollen Durchsicht verbleibt für den Verfasser als stärkstes Argument für eine unmittelbare Beziehung zwischen Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht von 1276 die erste Abschnittsüberschrift. „Gemeinsam mit den Vergleichsstellen verdeutlicht sie, dass die Augsburger eine Inkorporierung oder Orientierung des Schwabenspiegels bezweckten. Hätte sich umgekehrt der Schwabenspiegel aus dem Stadtrecht bedient, wäre ein solcher Hinweis unzweckmäßig.“

 

„Eine flächendeckend Schwabenspiegelrezeption im Sinne einer wechselseitigen Abhängigkeit ist für das Augsburger Stadtrecht nicht nachzuweisen. Einer solchen steht neben den Textabweichungen und Paralleleinflüssen des mittelalterlichen Rechts die Existenz des Deutschenspiegels entgegen. Während das Stadtrecht überwiegend mit dem Deutschen- und Schwabenspiegel kommuniziert, sind auch Textpassagen feststellbar, die nur einer“ (!) „der beiden Rechtsbücher zugeordnet werden können“.

 

„Das Ergebnis ist ein Rezeptionsparadoxon zwischen Deutschen-, Schwabenspiegel-“ (!) „und Stadtrecht, das eine Gesamtaussage zur Schwabenspiegelrezeption in Augsburg für die Zeit um 1275/1276 verhindert“ und am ehesten auf eine Autonomie aller drei Quellen deutet. Obwohl sich nach dem Verfasser das Augsburger Stadtrecht von 1276 mit hoher Wahrscheinlichkeit an dem Grundgefüge des Schwabenspiegels orientiert, hält er eine Augsburger Provenienz des Rechtsbuchs für nicht belegt. „Angesichts neuererer Forschungsergebnisse zu einer möglichen Herkunft des Schwabenspiegels aus Regensburg und den Jahren 1268/1272“ lässt sich für ihn „eine Augsburger Ursprungsidentität des Schwabenspiegels nicht mehr vertretbar“ annehmen, doch erscheint ihm die Fortsetzung einer ersten Schwabenspiegelfassung in Augsburg denkbar.

 

Hinsichtlich der Verfasserschaft geht er davon aus, dass der Schwabenspiegel auf Grund seiner Quellenfülle „von einer Autorenmehrzahl“ geschaffen wurde. Eine unmittelbare Autorenschaft der Franziskaner vermag er weder zu belegen noch auszuschließen, wenn auch für eine franziskanische Autorenschaft „eine Reihe von Indizien sprechen“ (!). „Eine Identität von Schwabenspieglern“ (!) „und Stadtrechtsverfassern ist auszuschließen“, zumal der inhaltliche Aufbau und das sprachliche Selbstverständnis „beider Quellen zu weit voneinander entfernt“ sind, „als dass man eine Schreiberidentität“ (!) „feststellen könnte“.

 

Insgesamt ist dem Verfasser eine sehr ansprechende Leistung gelungen, durch die  mittelalterliche Rechtsbücher und Stadtrecht in dem Heiligen römischen Reich wieder in Erinnerung gerufen werden. Mit Vorsicht gelangt er eher zu weiteren Eingrenzungen als zu eindeutigen Festlegungen. Möge auf dieser hilfreichen Grundlage die kommende Forschung vielleicht auch noch weiter fortschreiten.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler