Töppel, Roman, Kursk 1943. Die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs. Schöningh, Paderborn 2017. 289 S., 24 Abb., 8 Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.
Nach der berühmten Schlacht um Stalingrad 1942/1943, in der die deutsche Wehrmacht mit der Einschließung und Kapitulation der 6. Armee unter Generalfeldmarschall Friedrich Paulus endgültig den Nimbus der Unbesiegbarkeit verlor, ist die Schlacht im Kursker Bogen im Sommer 1943 wohl das prominenteste militärische Großereignis an der Ostfront. Auf dem hinteren Einband der vorliegenden Publikation ist von „eine(r) der größten Schlachten der Kriegsgeschichte“ zu lesen, an der „etwa drei Millionen Soldaten mit mehr als 10.000 Panzern und Selbstfahrlafetten sowie 8.000 Flugzeuge teilnahmen“. Es handelt sich dabei um den fehlgeschlagenen Versuch der Wehrmachtsführung, unter der Tarnbezeichnung „Unternehmen Zitadelle“ durch einen Zangenangriff auf Kursk im Zusammenwirken von Kräften der von Norden aus operierenden Heeresgruppe Mitte (Generalfeldmarschall Hans Günther von Kluge) und der gleichzeitig von Süden vorstoßenden Heeresgruppe Süd (Generalfeldmarschall Erich von Manstein) die dort bestehende Frontausbuchtung abzuschnüren, dabei größere sowjetische Truppenkontingente einzuschließen und gefangen zu nehmen sowie mittels der durch die eintretende Verkürzung der Front frei werdenden eigenen Kräfte wieder entsprechende Handlungsfreiheit zu gewinnen. Dass dies nicht gelang, ist neben einem ganzen Bündel weiterer Faktoren in erster Linie der erdrückenden quantitativen Übermacht geschuldet, mit der die Rote Armee der deutschen Offensive entgegentrat und mit der sie in der Folge ihren Vormarsch in Richtung der Reichsgrenzen antrat, der nicht mehr zu stoppen war.
Bei dem gewaltigen Umfang dieser militärischen Operation ist es nicht verwunderlich, dass sich verantwortliche Führer auf beiden Seiten zu dem Ereignis später eingehend zu Wort gemeldet haben und ihre je eigenen Deutungen des Geschehens zu überliefern trachteten. Kurz zusammengefasst kann man sagen, dass dabei die – allgemein weit verbreitete und menschlich durchaus verständliche – Tendenz, das eigene Handeln in einem möglichst günstigen Licht darzustellen und Fehler zu unterschlagen oder anderen anzulasten, die Memoirenliteratur beherrscht. Weite Kreise des deutschen Offizierskorps wälzten so die Verantwortung auf Hitler ab, dem man die Urheberschaft für die eigenen Fehlplanungen sowie mangelnde Flexibilität unterstellte, während auf russischer Seite besonders während der sowjetischen Zeit nicht an der offiziellen Lesart des glorreichen „Großen Vaterländischen Krieges“ gerüttelt werden durfte, was nicht nur das Verschweigen von Führungsfehlern beinhaltete, sondern auch den äußerst „großzügigen“ Umgang mit Zahlenmaterial, bei dem die deutschen Verluste übertrieben und die eigenen kleingerechnet wurden. Problematisch wird das vor allem dort, wo Wissenschaftler diese Informationen übernehmen, ohne sie mit anderen Quellen kritisch abzugleichen, womit diverse Mythen Eingang in Standardwerke finden und sich über Zitate als kanonisierte Wahrheiten verfestigen. Es ist ein grundlegendes Anliegen des Verfassers, anhand der verfügbaren Quellen solche scheinbaren Gewissheiten zu relativieren und durch eine realistische Darstellung der Sachlage zu ersetzen. Neben Beständen des Bundesarchivs, Abteilung Militärarchiv in Freiburg im Breisgau, wo Unterlagen wie die Kriegstagebücher der in die Schlacht involvierten deutschen Verbände und Einheiten verwahrt werden, konnte er auch nachgelassene Unterlagen Erich von Mansteins bei der Familie Manstein einsehen und noch viele Veteranen der Kämpfe zu taktischen, technischen und organisatorischen Details befragen. Im Ergebnis kann er damit manches Faktum, das bisher im Status der Gewissheit tradiert worden ist, in Frage stellen oder korrigieren.
Der Vorgang, der unter dem Begriff der Kursker Schlacht 1943 erfasst wird, setzt sich nach gängiger Anschauung aus drei unterschiedlichen, aufeinander folgenden Militäroperationen zusammen: Dem oben angesprochenen deutschen Unternehmen „Zitadelle“ vom 4./5. Juli bis zum 13./16. Juli folgen die Großoffensiven der Roten Armee vom 12. Juli bis zum 18. August gegen Orjol (Operation „Kutusow“) und vom 3. August bis zum 23. August gegen Charkow (Operation „Feldherr Rumjanzew“). Zusätzlich müsse aber eine weitere, in Darstellungen oft vernachlässigte sowjetische Offensive am Mius und am Donez zur Wiedereroberung des Donezbeckens einbezogen werden, die am 17. Juli einsetzte und Anfang August „nach relativ geringen Anfangserfolgen unter schweren Verlusten gescheitert“ war (S. 178). Roman Töppel zeigt zunächst ausführlich die Vorbereitungen in den Kontexten der tristen allgemeinen Lage des Deutschen Reiches in der ersten Jahreshälfte 1943 (Fall Stalingrads, Verschärfung des strategischen Bombenkriegs gegen Städte des Ruhrgebiets, Kapitulation in Afrika und damit drohende alliierte Invasion in Italien, Krise des U-Bootkrieges, Mangel an Arbeitskräften in der Rüstungsindustrie), die es zu beheben galt, und der Optionen einer militärischen Strategie an der Ostfront (Abwarten der sowjetischen Offensive und „Schlagen aus der Nachhand“ oder selbst „aus der Vorhand“ offensiv initiativ werden). Er kann überzeugend darlegen, dass ein früherer Angriffsbeginn, wie er später von Kritikern der Operation moniert worden ist, aufgrund der ungünstigen Witterungsverhältnisse gar nicht möglich war und die Rolle Hitlers in manchem inadäquat gezeichnet werde. „Hitler, in der Memoirenliteratur oft als ‚unbelehrbar‘ beschrieben, war […] im Frühjahr und Sommer 1943 einige Male bereit, auf seine Generalität zu hören und sich von Gegenargumenten überzeugen zu lassen. So blieb er dabei, die Offensive ‚Zitadelle‘ nicht nur als erste Operation nach der Schlammperiode durchzuführen, sondern den Kursker Bogen gegen seine eigenen Bedenken auch so anzugreifen, wie es die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen Mitte und Süd wünschten“ (S. 30f.). Zudem seien weder Hitler noch Manstein, wie zumeist behauptet, die geistigen Väter von „Zitadelle“ gewesen, sondern der Oberbefehlshaber der 2. Panzerarmee, Generaloberst Rudolf Schmidt, der als Erster diesen Ansatz gegenüber seinem Vorgesetzten Kluge angeregt habe. Sehr detailliert und ausführlich erörtert der Verfasser Anzahl und Qualität der deutschen und russischen gepanzerten Waffensysteme (die 24 Schwarzweißabbildungen im Anhang in der Größe von jeweils einer halben Seite zeigen mit Masse dieses militärische Gerät). Es wird deutlich, wie sehr dieses militärische Unternehmen den Charakter einer Materialschlacht besaß, in der die Rote Armee ihr quantitatives Übergewicht stetig zu mehren vermochte. Schon für die erste Phase der Schlacht um Kursk, die deutsche Offensivoperation „Zitadelle“, errechnet Roman Töppel mit Vorbehalt aus den Quellen für die Rote Armee 1,9 Millionen Soldaten, 5000 Panzer und Selbstfahrlafetten, 3.600 Flugzeuge und 31.400 Geschütze und Granatwerfer, während die deutschen Angreifer lediglich über 780.000 Soldaten, 2.900 Panzer und Selbstfahrlafetten, 1.800 Flugzeuge und – hier in der Artillerie zeigt sich das größte Ungleichgewicht – 7.400 Geschütze und Granatwerfer verfügten (vgl. S. 101f.). Für einen erfolgversprechenden Angriff gegen einen abwehrbereiten Gegner, das sei hier zur Ergänzung dieser ohnehin eine deutliche Sprache sprechenden Daten angemerkt, verlangt das Lehrbuch der Taktik aber die dreifache Überlegenheit des Angreifers. Der massive Ausbau der sowjetischen Verteidigungsgürtel (gestaffelt zunächst drei Verteidigungsgürtel der Armeen mit einer Gesamttiefe von bis zu 45 Kilometern, dahinter weitere drei Verteidigungsgürtel der Fronten, diese wiederum in Summe bis 75 Kilometer tief; all das versehen mit Panzersperren, Minenfeldern und gut ausgebauten Panzerabwehr-Stützpunkten), verschärfte das bestehende Ungleichgewicht noch erheblich und zeigt einmal mehr, wie unwahrscheinlich es unter diesen ungleichen Voraussetzungen für die deutschen Kräfte war, zu reüssieren und das Ziel Kursk zu erreichen.
Im anschließenden Kapitel werden die Kämpfe und mit ihnen auch die Fehler analysiert, die Akteuren unterschiedlicher Ebenen auf beiden Seiten unterliefen und die – wenn, wie etwa im Rahmen der Operation „Kutusow“, als die sowjetische Führung es verabsäumte, ihr Schwergewicht auf die Schwachstelle bei Uljanowo zu verlagern, wo zu diesem Zeitpunkt ein Durchbruch nach Süden und die Einschließung der deutschen Verbände im Raum Orjol nicht mehr zu verhindern gewesen wäre, Chancen von operativer Tragweite von den zuständigen Kommandanten nicht oder nicht rechtzeitig erkannt und genutzt werden konnten – nicht unerheblichen Einfluss auf den Ausgang der Schlacht hatten. Auf die weitgehend bekannten Einzelheiten des Verlaufs der Kämpfe, der von den acht Karten im Anhang ergänzend optisch veranschaulicht wird, sei in dieser Besprechung nicht weiter eingegangen. Interessanter mag die Bilanz sein, die der Verfasser zieht. Zwar habe die deutsche Führung ihre Ziele auf der ganzen Linie verfehlt und damit auch „eine schwere moralische Niederlage“ (S. 217) hinnehmen müssen: Kursk konnte nicht genommen, damit die Front nicht verkürzt werden, eigene Kräfte konnten nicht als Reserven freigemacht werden; das erwünschte klare Signal an die Verbündeten und den Gegner blieb aus; Gefangene konnten nicht in ausreichendem Umfang gemacht und zur Zwangsarbeit herangezogen werden; vor allem konnte die Offensivkraft der Roten Armee nicht nachhaltig beeinträchtigt werden. Ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung mit den Zahlen, die über Verluste und Ausfälle auf beiden Seiten kursieren, könne man aber zeigen, dass die von der sowjetischen Propaganda verbreitete und nach dem Krieg auch von einigen deutschen Generälen vertretene Ansicht, „die deutschen Verbände seien während des Unternehmens ,Zitadelle‘ verblutet“ (S. 200), den Tatsachen widerspreche. Wie sich aus verschiedenen Unterlagen näherungsweise errechnen lasse, betrage in der gesamten Kursker Schlacht das Verhältnis der Verluste der Wehrmacht zu jenen der Roten Armee bei Personal 1:6, bei Panzern und Selbstfahrlafetten ebenfalls 1:6 und bei Flugzeugen 1:5. Für die von der russischen Führung verschleierten, immensen Verluste bei den sowjetischen Truppen sei eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich. Die waffentechnische und taktische Überlegenheit deutscher Flieger, die durch das Maschinengewehr 42 gesteigerte Feuerkraft der deutschen Infanterie, überlegene taktische Konzepte bei den Deutschen wie das flexible Führen durch Auftrag und der Kampf der verbundenen Waffen, die mobile gepanzerte Artillerie und der effektive Einsatz der deutschen Kampfflugzeuge in Zusammenarbeit mit Fliegerverbindungsoffizieren bei den Verbänden werden genannt, aber auch Ursachen, welche die Rote Armee in ihrem Bereich zu verantworten hatte, wie taktische Fehler, eine mangelhafte Ausbildung ihrer Soldaten, die unzureichende Erfahrung ihrer Kommandeure auf der unteren und mittleren Ebene sowie gravierende Fehler der oberen Führung, die ihre Kräfte immer wieder rücksichtslos frontal gegen die stärksten Stellungen des Gegners angesetzt habe. Der Verfasser spekuliert – für den Rezensenten, der hier eher an ein inhumanes Normangriffsverfahren denkt, nicht wirklich überzeugend – über einen möglichen Grund für dieses schwer nachvollziehbare Verhalten: „(A)ngesichts der ständig weit übertriebenen Erfolgsmeldungen der Roten Armee musste die sowjetische Führung irgendwann glauben, ihre Truppen hätten nur noch zerschlagene deutsche Verbände vor sich. Möglicherweise ist dies auch eine Erklärung dafür, weshalb Stalin seine Armeen immer wieder frontal gegen die schlagkräftigsten deutschen Verbände anstürmen ließ“ (S. 211).
Ein Kapitel zu den oben bereits angesprochenen Mythen, welche die Erinnerung an die Kursker Schlacht sowohl auf deutscher wie auf russischer Seite bestimmen und beeinträchtigen, beschließt die Studie. Sie betreffen auch die Waffentechnik; authentische Erfahrungsberichte, die den schweren Panzerjäger „Ferdinand“ als die „stärkste und beste Angriffswaffe des deutschen Heeres“ (S. 224) bezeichnen, widerlegen etwa die vom ehemaligen Generalinspekteur der Panzertruppen, Generaloberst Heinz Guderian, verbreitete Legende, dieses Waffensystem habe bei Kursk versagt. Wer an opportunen Mythen rüttle, müsse aber immer noch mit politischem Gegenwind rechnen, der die freie Forschung gefährde. In diesem Zusammenhang referiert der Verfasser das Beispiel eines deutschen Doktoranden, der 2012 in seiner Dissertation und in mehreren Aufsätzen die Effizienz der Partisanentätigkeit im Raum Brjansk angezweifelt habe und seither angeblich „in Russland offiziell persona non grata“ sei (S. 234). Ein solches Vorgehen läge tendenziell auf einer Linie mit dem trotz aller Proteste jüngst in Polen verlautbarten Gesetz, wonach dem bis zu drei Jahre Gefängnis drohen, welcher der polnischen Nation eine Mitverantwortung an den nationalsozialistischen Verbrechen zuschreibt. Es ist somit ein zusätzliches Verdienst dieser trefflichen Studie, die im Wesentlichen eine Geschichte der militärischen Operationen sowohl aus dem deutschen als auch aus dem sowjetrussischen Blickwinkel liefert, aber die alltäglichen Schrecken des Krieges kaum thematisiert, bewusst zu machen, dass das Ideal einer seriösen und unvoreingenommenen Erforschung der Vergangenheit ein Anspruch ist, der gegen gesellschaftlichen und politischen Widerstand stets neu erstritten werden muss.
Kapfenberg Werner Augustinovic