Patschovsky, Alexander, Ein kurialer Ketzerprozess in Avignon (1354). Die Verurteilung der Franziskanerspiritualen Giovanni di Castiglione und Fracesco d'Arquata (= Monumenta Germaniae Historica, Studien und Texte 64). Harrassowitz, Wiesbaden 2018. XVIII, 136 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Ketzer (13. Jh., Häretiker) ist in dem katholischen Kirchenrecht jeder bewusste Leugner eines kirchlichen Grundsatzes. Ketzerische Lehren erscheinen bereits kurz nach der Begründung des Christentums, wobei die Abgrenzung zwischen Glauben und Irrglauben objektiv kaum möglich und der Vorwurf der Ketzerei vielfach mit anderen Überlegungen (z. B. menschliche Ablehnung, wirtschaftlicher Wettbewerb, Machtstreben) verbunden ist. Die Kirche bekämpft die Ketzer mit Exkommunikation, seit Gratian (um 1140) mit Verbannung, Gütereinziehung und gegebenenfalls kriegerischem Vorgehen, der Staat mit Verbannung, Beschlagnahme und Todesstrafe.
Die von dem in Ratibor 1940 geborenen, in Göttingen, Wien und München in Geschichte, Germanisitik und klassischer Philologie ausgebildeten, in München 1966 bei Herbert Grundmann promovierten, während einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Monumenta Germaniae Historica in München 1978 habilitierten und seit 1988 in Konstanz für mittelalterliche Geschichte wirkenden Verfasser vorgelegte schlanke Studie hat nach dem Vorwort eine lange Vorgeschichte. Während systematischer Recherchen zu ungedruckten häreseologischen Materialien in mittelalterlichen Handschriften mitteleuropäischer Bibliotheken während der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts stieß er auch auf Überlieferungen eines Avignoneser Prozesses, deren Publikation er in Aussicht stellte. Viele Jahre später konnte er sie nunmehr erfreulicherweise auch an optimaler Stelle verwirklichen.
Gegliedert ist das eindrucksvolle Werk nach hilfreichen Verzeichnissen in eine Einleitung, in der die personae dramatis, Ort und Zeit, Vorgeschichte, Verlauf, Akten, Materie, Ziel, Prozessführung, Ursache, Außenwirkung, Überlieferung und ratio editionis dargelegt werden, und die Edition der Quellen. Sie besteht aus elf Abschnitten von dem Prozessauftrag an Guillaume Court bis zu dem Urteil gegen Giovanni Castiglione. Erschlossen wird die vorbildliche Edition eines instruktiven mittelalterlichen Verfahrens durch ein umfangreiches Namen- und Sachregister von Aberbrothock (Kloster) bis zu den Zisterziensern.
Innsbruck Gerhard Köbler