Jasch, Hans-Christian/Kaiser, Wolf, Der Holocaust vor deutschen Gerichten. Amnestieren, Verdrängen, Bestrafen, mit einem Vorwort v. Maas, Heiko. Reclam, Ditzingen 2017. XI, 263 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Unter den Verbrechen, die dem deutschen Staat unter der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen 1933 und 1945 zuzurechnen sind, ragt der technokratisch organisierte und arbeitsteilig realisierte Genozid an den europäischen Juden sowohl quantitativ als auch qualitativ heraus. Die strafrechtliche Ahndung nationalsozialistischer Verbrechen wurde nach Kriegsende zunächst von den alliierten Besatzungsmächten und in weiterer Folge von deutschen Gerichten in beiden deutschen Staaten betrieben und dauert bis heute an. Dieser Prozess unterlag dabei unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Konjunkturen und ist in seiner Gesamtheit wegen seiner als unzureichend empfundenen Ergebnisse harsch kritisiert worden. Der ehemalige Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz und aktuelle deutsche Außenminister, der Sozialdemokrat Heiko Maas, benennt in seinem Vorwort als Hauptindikatoren für die als ernüchternd empfundene zahlenmäßige Bilanz der Strafverfahren korrekt „(d)ie Verjährung von Totschlag, die extensive Gehilfen-Rechtsprechung, die ‚kalte Amnestie‘ durch die Gesetzgebungspanne beim Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz und de(n) konkrete(n) Tatnachweis, den die Gerichte selbst für das Personal von Vernichtungslagern lange Zeit zur Voraussetzung für eine Verurteilung machten“. Trotz alledem hätten aber die durchgeführten Verfahren „zwei Tatsachen sehr deutlich“ gemacht: „Die Größe eines Verbrechens darf die Justiz niemals davon abhalten, Täter zu bestrafen und Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; und die staatliche Organisation eines Verbrechens schützt niemanden davor, für sein Handeln einmal zur Rechenschaft gezogen zu werden“ (S. X - XI). In diesem Bewusstmachen der individuellen Verantwortung jedes Einzelnen für sein Handeln liege ungeachtet aller Schwächen der grundsätzliche und bleibende Wert der justiziellen Aufarbeitung des Holocaust.

 

Bei der radikalen „Zielsetzung der Täter, keinen einzigen jüdischen Menschen in ihrem Herrschaftsbereich am Leben zu lassen“, kann es nicht überraschen, dass „(e)in erheblicher Teil“ der wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen von deutschen Gerichten gesprochenen Urteile den Holocaust-Komplex berührt. Die Autoren des vorliegenden Buches, der promovierte Jurist und Direktor des Hauses der Wannsee-Konferenz in Berlin, Hans-Christian Jasch, und sein ehemaliger Stellvertreter in dieser Funktion, der promovierte Historiker Wolf Kaiser, haben „den Versuch unternommen, in einer nicht nur für Juristen und Historiker verständlichen Sprache Grundlinien der Entwicklung nachzuzeichnen und exemplarisch vor allem durch Zitate aus Urteilen anschaulich werden zu lassen, wie die deutsche Justiz mit dem Holocaust umgegangen ist“ (S. 7f.). Das Werk stellt somit keine neuen, auf Archivmaterial gestützten Forschungserkenntnisse vor, sondern liefert eine zusammenfassende Darstellung der Strafverfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in mehreren Phasen unter kritischer Würdigung der dabei jeweils relevanten Rechtsgrundlagen und ihrer Auslegung durch die Gerichte in Westdeutschland und Ostdeutschland. In einer ersten Phase geht es um den Stellenwert des Holocaust im Kontext des alliierten Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher, des International Military Tribunal (IMT), sowie der zwölf amerikanischen Nürnberger Nachfolge-Prozesse vor dem National Military Tribunal (NMT). Mit der schrittweisen Rückübertragung der Zuständigkeit in nationalsozialistischen Strafsachen auf deutsche Gerichte in den Besatzungszonen und nachfolgend in den beiden deutschen Staaten lassen sachlich gerechtfertigte Zäsuren 1958 (Errichtung der Zentralen Stelle in Ludwigsburg), 1968 („Kalte Amnestie“ durch Neufassung des § 50 Abs. 2 StGB), 1990 (Wiedervereinigung) bis zu den letzten Verfahren im wiedervereinigten Deutschland eine grobe Strukturierung des Strafverfolgungsprozesses unter jeweils geänderten Rahmenbedingungen zu.

 

Von Anfang an war und blieb bereits die Frage nach den Rechtsgrundlagen höchst umstritten, denn „weder das IMT noch der Alliierte Kontrollrat (ließen sich) auf die HLKO [Haager Landkriegsordnung; W. A.] festlegen. So schufen sie Tatbestände außerhalb des bisherigen Kriegsvölkerrechts, um neben bereits durch die HLKO geächteten Kriegsverbrechen auch das Verbrechen der Aggression (Führen eines Angriffskrieges) und vor allem Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Menschheit zu ahnden“ (S. 16). Somit waren das Statut des IMT und das darauf fußende Kontrollratsgesetz Nr. 10 (KRG 10) zwar geeignet, nationalsozialistische Verbrechenskomplexe wie den Holocaust zu erfassen, aber in ihrer Legitimität umstritten (Stichworte Siegerjustiz, Rückwirkungsverbot). Dieser Vorbehalt galt nicht für das Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) bzw. ab Sommer 1953 das Strafgesetzbuch (StGB), das, bereinigt um die genuin nationalsozialistischen Verschärfungen, Gesetze und Verordnungen, mit Ausnahme der sowjetischen Besatzungszone, des Saarlands und Berlins von den deutschen Gerichten ergänzend zum KRG 10 – welches im Übrigen „weder Mindeststrafen an(ordnete) noch Grenzen für eine Höchststrafe (setzte) und die Festsetzung des Strafmaßes damit allein dem Gericht (überließ)“ (S. 44) – herangezogen werden durfte, jedoch „im Hinblick auf kriminelle Handlungen einzelner Bürger“ geschaffen worden und den Herausforderungen organisierter, staatlich sanktionierter Verbrechen nicht angemessen war: „Da Holocaustverbrechen in der Regel in Ausführung von Befehlen begangen wurden, stellte sich die Frage, inwieweit die Täter aus eigenem Willen handelten oder lediglich dem Willen anderer, ihnen in der Hierarchie übergeordneter Personen folgten. Waren sie Mittäter[,] Gehilfen oder bloße Werkzeuge ihrer Auftraggeber? Es war schwierig, […] das Maß der individuellen Schuld festzustellen. So musste es als nahezu unmöglich erscheinen, eine angemessene Strafe zu verhängen“ (S. 37). Das im Mordparagraphen 211 Abs. 2 (R)StGB normierte Tatbestandsmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ sei von den Gerichten dann „sehr eng ausgelegt“ worden; diese hätten „meist verneint, dass die Taten die objektiven Merkmale der Grausamkeit und Heimtücke aufwiesen, etwa indem sie davon ausgingen, dass die Opfer gewusst hatten, was ihnen drohte. Die Richter bedienten sich der Standardformel, es liege keine Grausamkeit vor, wenn den Opfern keine ‚über den Tötungszweck hinausgehenden Schmerzen, Qualen oder Leiden‘ zugefügt worden seien“ (S. 161f.). 1960 waren Delikte wie Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge verjährt; die bereits 1965 drohende Verjährung von Mord konnte nach dreimaligem Aufschub erst 1979 durch Bundestagsbeschluss endgültig unbefristet abgewendet werden. Eine später als gesetzgeberische „Panne“ gerechtfertigte, von kritischen Stimmen aber als „Kalte Amnestie“ eingestufte Abänderung des § 50 StGB durch Novellierung des Einführungsgesetzes zum Ordnungswidrigkeitengesetz (EGOWiG) 1968 führte allerdings dazu, dass ab nun beim Teilnehmer an einem gemeinschaftlich begangenen Mord „die Strafe zwingend zu mildern war, wenn nicht ‚besondere persönliche Merkmale‘ vorlagen“ (S. 159f.), womit in solchen Fällen automatisch die Verjährung eintrat, eine Regelung, die bald eine „Flut von Einstellungsverfügungen“ (S. 163) nach sich gezogen habe.

 

Neben diesen die Rechtsgrundlagen betreffenden Entwicklungen, zu denen noch die jeweiligen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs treten, haben auch politisch und gesellschaftlich motivierte gesetzgeberische Maßnahmen wie Regelungen zur Wiedereinstellung belasteter Beamter, Amnestien oder Straffreiheitsgesetze die angemessene strafrechtliche Aufarbeitung des Holocaust gehemmt. Überdies hätten sich die Gerichte die Sichtweise der Nürnberger Prozesse (IMT, NMT) zu Eigen gemacht, in der die „Interpretation des Holocaust unter den beiden Anklagepunkten ‚Angriffskrieg‘ und ‚Verschwörung‘ […] eine intentionalistische, monokausale Geschichtsinterpretation (begünstigte), die in Hitler, Himmler, Göring und Heydrich die Haupttäter und in der SS-Führung die vermeintlich allein agierende Zentrale des Massenmords und in deren ideologisch bestimmten Absichten und Handlungen die alleinige Ursache des Holocaust sah. Dies wirkte sich entlastend auf andere Mittäter aus“ (S. 33), die – wie die Wehrmacht, die Justiz, die Verwaltung oder die Wissenschaft – die Mythen ihrer angeblichen „Sauberkeit“ jahrzehntelang pflegen konnten. Wie manche der exemplarisch ausgewählten Prozesse des Bandes erkennen lassen, trat zudem die paradoxe Situation ein, dass bildungsferne Exzesstäter niederen Ranges und sogar nachgeordnete Hilfskräfte wie die als Kapos in den Konzentrationslagern eingesetzten Funktionshäftlinge strenger bestraft wurden als ihre oft akademisch gebildeten Vorgesetzten, die als sogenannte Schreibtischtäter die Verbrechen in leitender Position geplant, angeordnet und durchgeführt hatten. Der Publizist Ralph Giordano rügt diese Spruchpraxis als eine grundsätzliche Verkennung des Wesens des Holocaust durch die Justiz: „Nur dieser zusätzliche Beitrag, nicht die bloße Beteiligung am Geschehen selbst, […] wurde zum einzigen Delikt. Wer von den Wach- und Tötungsmannschaften des Vernichtungsapparates am ordnungsgemäßen Ablauf mitgewirkt hatte, dem passierte vor den Schwurgerichten der NS-Prozesse der zweiten Welle wenig oder gar nichts. Erst wenn durch Zeugen bekundet worden war, dass der Angeklagte eine persönliche Mehrleistung über die geforderte normale hinaus vollbracht hatte, […] sahen sich bundesdeutsche Richter genötigt, eine Verurteilung auszusprechen. […] Das dirigierende, das planerische Element der Vernichtung, ihr bürokratischer Motor, sie erschienen in der quantitativ gewiss imponierenden Leistung der NS-Prozesse der zweiten Welle so gut wie gar nicht“ (S. 207). Dem ist ergänzend hinzuzufügen, dass die Richter damals in ihren Urteilen den Stellenwert von Himmlers SS-Ideologie tatsächlich keineswegs angemessen erfasst und gewürdigt haben, denn diese forderte ja gerade einen sogenannten „rationalen Antisemitismus“, in bewusster Abgrenzung zum affektiven Radau-Antisemitismus der Sturmabteilung (SA), was nichts weniger bedeutete, als dass von SS-Leuten erwartet wurde, Juden nicht aus Hassgefühl zu vernichten, sondern völlig emotionslos in der Überzeugung, ein unumgänglich notwendiges Werk – die Unschädlichmachung des angeblichen Todfeindes – „anständig“ (Himmler) zu verrichten. Eine solche technokratisch-inhumane Haltung verbietet theoretisch sadistische Exzesse einzelner ebenso, wie sie jegliches Erbarmen – etwa gegenüber Frauen und Kindern – von vornherein ausschließt.

 

Von den in den Einsatzgruppen in verschiedenen Führungspositionen verwendeten Angehörigen des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) seien beispielsweise mit Alfred Filbert (Führer Einsatzkommando 9/Einsatzgruppe B) und Albert Rapp (Führer Sonderkommando 7a/ EG B) zwar zwei Juristen wegen ihrer persönlichen Tatbeiträge als Täter verurteilt worden, doch „(i)n anderen Fällen […] brachten die Gerichte sehr viel mehr ‚Verständnis‘ für die Angeklagten auf“ und stuften hochrangige Täter mit Kommandogewalt wie etwa Carl Zenner (SS- und Polizeiführer Minsk), Otto Bradfisch (Führer EK 8/EG B) oder Robert Mohr (Führer EK 6/EG C) als bloße Gehilfen ein. Mit dieser milden Spruchpraxis wären die Gerichte nach Ansicht der Verfasser auch in eigener Sache tätig geworden, indem sie zwar anerkannten, dass die Verbrechen schon unter der NS-Herrschaft als solche erkennbar gewesen seien, aber zugleich behaupteten, die Justiz sei damals von den Haupttätern Hitler und Himmler am Wirksamwerden gehindert worden. „Damit wurde die systemstabilisierende Rolle, die Juristen und die Justiz im Nationalsozialismus insgesamt gespielt hatten, verdrängt und verschleiert. Das half, den hohen Grad der personellen Kontinuität zu legitimieren, der an Gerichten, in Staatsanwaltschaften und in der Justizverwaltung bis in das Bundesministerium der Justiz hinein herrschte“ (S. 104). Für den Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit minderten die Urteile der Gerichte „in den Augen der Allgemeinheit die Mitwirkung am Massenmord zu einem Delikt von der Größenordnung etwa des schweren Diebstahls oder der gewerbsmäßigen Hehlerei herab“ (S. 105).

 

Änderungen in der Rechtsprechung, so wird erkennbar, waren bei gleichbleibenden Rechtsgrundlagen vor allem politischen Bedürfnissen und dem gesellschaftlichen Wandel geschuldet. Diese Entwicklung ist nicht linear verlaufen. Während westdeutschen Gerichten die Anwendung des alliierten KRG 10 ab September 1951 nicht mehr gestattet war, stützte sich die Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen im Osten Deutschlands bis zuletzt auf das IMT-Statut und das Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) von 1968. Die dortigen Gerichte urteilten strenger als die bundesdeutschen, wurden aber häufig politisch-propagandistisch instrumentalisiert und damit in vielen Fällen rechtsstaatlichen Ansprüchen kaum gerecht. Paradebeispiel dafür seien die Urteile (darunter 33 Todesurteile) in den Waldheimer Prozessen von 1950, die nach dem Beitritt der DDR zum Bundesgebiet 1991 für nichtig erklärt wurden, womit aber keineswegs die Feststellung der Unschuld der Verurteilten verbunden war. Die mit dem Münchner Demjanjuk-Prozess 2011 und in den nachfolgenden Verfahren gegen Oskar Gröning und Reinhold Hanning – sie alle wurden wegen Beihilfe zum Mord verurteilt (Demjanjuk nicht rechtskräftig, da er vor der Revisionsentscheidung verstarb) – eintretende Änderung in der Einschätzung der „Haupttat“ durch die Gerichte, zu deren Förderung die Genannten durch ihre Anwesenheit und Tätigkeit beigetragen hätten, ohne dass, wie lange üblich, der Nachweis einer konkreten einzelnen Mitwirkungshandlung an der Vernichtung der Opfer erforderlich sei, ist nicht so neu, wie man annehmen möchte, und keineswegs nur dem Einfluss höchstrichterlicher Entscheidungen im Kontext der Terroranschläge vom 11. September 2001 zuzuschreiben. Schon im ersten Treblinka-Prozess 1951 vor dem Landgericht Frankfurt am Main wurde Josef Hirtreiter wegen Mordes mit der Begründung verurteilt, „dass er ‚auch an der Tötung der während seiner Anwesenheit im Lager Treblinka vergasten Menschen beteiligt‘ war, obwohl ihm nicht nachgewiesen werden konnte, dass er an den Morden im ‚Oberlager‘ direkt persönlich mitgewirkt hatte. […] ‚Das Lager Treblinka war nur zu dem Zweck errichtet worden, eine möglichst große Zahl von Juden zu töten. Es stand unter der Leitung von nur 20 – 25 Deutschen; in welcher Weise diese sich im einzelnen betätigten, […] ist, soweit sie im Rahmen der ihnen gestellten Aufgaben handelten, ohne Bedeutung für die Frage der Tatbestandsmäßigkeit ihres Tuns. Bei einer derartigen, organisierten Massenstraftat sind alle […] Handlungen als vorher bestimmte Einzelakte eines Gesamtgeschehens für den vorher bestimmten Erfolg, die Vernichtung zahlreicher Menschen, ursächlich, denn dieser Erfolg wurde nur durch das Zusammenwirken aller einzelnen Handlungen ermöglicht und wäre ausgeblieben, wenn diese nicht ausgeführt worden wären“ (S. 73f.). Unter anderen politischen und gesellschaftlichen Vorzeichen, als sie die Folgejahre kennzeichneten, wäre mit den vorhandenen Rechtsgrundlagen also durchaus eine konsequente Strafverfolgung möglich gewesen. Ein Wermutstropfen ist sicherlich, dass der späte Umschwung in der Rechtsauslegung wiederum niedrige Chargen trifft, die als sehr junge Menschen ohne Lebenserfahrung, bisweilen gegen ihren Willen und kurzfristig, in den Dunstkreis der Verbrechen geraten waren und nun im Greisenalter nach strengen Maßstäben stellvertretend für ein System zur Rechenschaft gezogen werden, dessen bedeutendere Exponenten nicht selten nach einem gutbürgerlichen Leben und von der Justiz unbehelligt in aller Ruhe ihr Leben beschließen konnten. Die mit diesen Verfahren geübte Gerechtigkeit ist somit in erster Linie ein Signal an die Opfer und ihre Nachkommen, dass das ihnen einst rechtswidrig zugefügte Leid von der Mehrheitsgesellschaft weiterhin wahrgenommen wird und durch zeitliche Distanz nicht relativiert werden darf.

 

Hans-Christian Jasch und Wolf Kaiser haben einen inspirierenden, hinreichend dokumentierten und informativen Band vorgelegt, der zwar einer übersichtlichen Zeittafel entbehrt, aber nichtsdestotrotz deutlich macht, dass die an Inkonsistenzen reiche Strafverfolgung von Holocaustverbrechen bereits weitgehend in das Stadium der Historisierung eingetreten ist. Rechtsgeschichtliche wie zeitgeschichtliche Fragestellungen überwiegen mittlerweile das Sühneinteresse. Für Täter und überlebende Opfer zeichnen sich zunehmend die biologischen Grenzen ab. So ist der in dem Buch als bislang letzteröffnetes Verfahren angeführte Prozess gegen Hubert Zafke, der einst als SS-Sanitäter in Auschwitz diente, vom Landgericht Neubrandenburg im September 2017 wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit des zu diesem Zeitpunkt 96-jährigen, an Demenz erkrankten Beschuldigten im Einvernehmen mit allen Parteien eingestellt worden.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic