Hövermann, Jan, Recht und Elektrizität. Der juristische Sachbegriff und das Wesen der Elektrizität 1887 bis 1938 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 94). Mohr Siebeck, Tübingen 2018. XVI, 361 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Als der moderne Mensch entstanden war, nutzte er innerhalb der vier Elemente des verzehrenden Feuers, des flüssigen Wassers, der gasigen Luft und der festen Erde zwar Pflanzen und Tiere als Nahrung und Überlebensgrundlage sowie Steine und Stöcke als Hilfsmittel und Werkzeuge, die ohne sein Wissen auch sein Nervensystem beherrschende Elektrizität kannte er aber nur in der beeindruckend gewaltigen Form des Blitzes, den er als unbeherrschbaren Zufall begreifen musste. Für die ihm hilfreichen Sachen erfand er in dem Rahmen seines allmählich gebildeten Rechtes die Figuren des Besitzes und Eigentums, der freiwilligen Gabe und der unerlaubten Wegnahme und fügte so den körperlich fassbaren Sachen die nur in seinen Gedanken bestehenden körperlosen Rechte hinzu. Nachdem als Folge von Aufklärung und wissenschaftlicher Forschung in der Mitte des 19. Jahrhunderts Telegrafie und Galvanik entdeckt worden waren und um 1866 Werner von Siemens das dynamoelektrische Prinzip gefunden hatte, mit dessen Hilfe Elektrizität in immer größerem Umfang jedermann zwecks Beleuchtung und sonstiger beliebiger Nutzung zur Verfügung gestellt werden konnte, ergab sich darüber hinaus auch die Notwendigkeit der rechtlichen Einordnung der zur wertvollsten Vermögensquelle des Menschen aufsteigenden und spätestens seit der allgemeinen Maschinisierung und Digitalisierung des Lebens weltweit unverzichtbaren (elektrischen) Energie.
Mit diesem außerordentlich interessanten beschäftigt sich die von Tilman Repgen und Hans-Heinrich Trute betreute, von der Studienstiftung des deutschen Volkes geförderte, in dem Rahmen der Albrecht Mendelssohn Bartholdy Graduate School of Law an der juristischen Fakultät der Universität Hamburg erarbeitete und 2017 von der jristischen Fakultät er Universität Hamburg angenommene Dissertation des 1985 geborenen, in Hamburg und Dublin ausgebildeten, zeitweise als wissenschaftlicher Mitarbeiter Tilman Repgens tätigen Verfassers. Sie gliedert sich nach einer kurzen Einleitung über den juristischen Elektrizitätsdiskurs, den Umgang mit naturwissenschaftlichem Wissen, Methodengeschichte, Quellen und Gang der Darstellung in sechs Sachkapitel. Sie betreffen in gemischt chronologisch-sachlicher Ordnung die Entscheidung des Reichsgerichts von dem 10. März 1887, das Wesen der Elektrizität, den Streit um die Strafbarkeit der Elektrizitätsentziehung zwischen 1896 und 1914, die Elektrizitätsentziehung als Gegenstand der Gesetzgebung, die Elektrizität und den zivilrechtlichen Sachbegriff sowie die Eigentumsrechte, Versorgungsverträge und die gerichtliche Praxis.
In dem Kern der jahrzehntelangen Diskussion, die der Verfasser in seinen umfangreichen Literaturgrundlagen sorgfältig einbindet, ging es darum, ob Elektrizität als physikalische Bezeichnung für alle Erscheinungen, die ihre Ursache in ruhender oder bewegter elektrischer Ladung haben, als Sache gemäß § 90 BGB und bzw. oder § 242 StGB verstanden werden kann. Dafür ergab sich in dem frühen Elektrizitätsdiskurs die mehrheitliche Auffassung, dass die elektrische Energie ein unkörperlicher, als Eigenschaft an Körpern wirkender Zustand ist, die nach einer Entscheidung des Reichsgerichts von dem 1. Mai 1899 weder gestohlen werden noch einen Besitzer und Eigentümer haben kann, aber strafrechtlich durch ein besonderes Einzelgesetz betreffend die Bestrafung der Entziehung elektrischer Arbeit von dem 9. April 1900 geschützt und privatrechtlich Gegenstand eines anpassungsfähigen Vertragsrecht sein kann. Im Ergebnis hat sich damit das seit Jahrzehntausenden mit Tieren, Pflanzen, Steinen und Stöcken befasste Recht relative Autonomie gegenüber den modernen wandlungsfähigen und ihm Detail sehr diffizilen Erkenntnissen anderer Wissenschaften vorbehalten.
Innsbruck Gerhard Köbler