Hauer, Gesine, Hexenprozesse an der Ludoviciana. Die Spruchpraxis der juristischen Fakultät Gießen in Hexensachen (1612-1723) (= Studia Giessensia, Neue Folge 4). Olms, Hildesheim 2016. VIII, 240 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Hexe (Zaungeist?) soll die bereits dem Altertum bekannte zauberkundige Frau mit magisch-schädigenden Kräften sein, die angeblich durch die Luft fliegen, sich in Tiere verwandeln und giftige Zaubertränke herstellen kann. Das Wort ist um 1300 bei Hugo von Langenstein bezeugt, seine gerichtliche Verwendung in Luzern 1419. Vielleicht in dem späten 14. oder frühen 15. Jahrhundert beginnen um den Genfer See bzw. in Savoyen bei der Verfolgung der aus Heterodoxien seit dem 12. Jahrhundert entstandenen, von piemontesischen Inquisitionen des 14. Jahrhunderts beeinflussten, Armut und Frieden fordernden, Eid und Amt verweigernden Waldenser (des Lyoner Kaufmanns Pierre Valdes) Hexenverfolgungen mit vermutlich mit Unterstützung von Theologen aus Inquisitionsprozessen  entstandene Hexenprozesse (um 1430, 1431/1432 und 1457/1459 38 Hexenprozesse im Tessin bzw. in der Leventina, Hamburg 1444, Heidelberg 1446), die mit päpstlicher Unterstützung durch die Hexenbulle (1484) nach 1500 rasch um sich greifen und auch der Herrschaftsausübung dienen können.

 

Einen besonderen Teilaspekt dieser Prozesse untersucht die Verfasserin in einem Nachklang zu der vierhundertsten Wiederkehr der Universitätsgründung in Gießen in ihrer 2015 von dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität angenommenen, mit einer Reihe von Abbildungen versehenen Dissertation. Sie gliedert sich nach einer Einführung in vier Sachkapitel. Diese betreffen eine Grundlegung (Hexenverfolgung, Hexenprozesse in Gießen und Umgebung, Hexenprozesse an der Universität Gießen als Folge der Aktenversendung), die Überlieferungssituation in dem Aktenbestand Hexensachen mit den Sachkomplexen Schadenzauber, Vertrag mit dem Teufel und Teufelstaufe, Teufelsbuhlschaft und Hexenritt und Hexentanz sowie der Schilderung der verfügbaren Quellen und die Spruchtätigkeit der protestantischen juristischen Fakultät der Universität Gießen (Spruchkollegium, Ablauf der Sprucherteilung, Dauer der Sprucherteilung, Kosten, Konsulenten, Form der Sprüche, Gegenstand der Sprüche).

 

Insgesamt kann die sich vor allem auf Gießen beschränkende und auf ein Sachregister verzichtende Verfasserin zwischen 1612 und 1723 57, ab 1652 51 Sprüche der von 1624 bis 1652 geschlossenen Fakultät zu Hexensachen (durchschnittlich weniger als eine je Jahr aus vor allem nahen protestantischen Gebieten) in rund 15000 überlieferten Akten ermitteln. In ihnen kann sie eine konkrete Systemkritik ebenso wenig wie vernünftige Zweifel an dem tatsächlichen Bestehen des Delikts der Hexerei finden, so dass sie die juristischen Professoren Gießens zutreffend als Kinder ihrer Zeit einordnet, die sich aber immerhin um Einhaltung eines Verfahrens an Hand des geltenden Rechtes (vor allem Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. von 1532) einsetzten. In ihrem Ergebnis halten sich die eine Folterung des Verdächtigten zulassenden und die eine Folterung des Verdächtigten ablehnenden Sprüche ungefähr die Waage und wird zwar öfter auf eine Verurteilung (Tod durch Feuer oder Tod durch Schwert) der nach Folter Angeklagten entschieden, doch nach der vorsichtigen Feststellung der ansprechend wertenden Verfasserin immer auf der Grundlage eines erfolterten Geständnisses – so unmenschlich dies aus heutiger aufgeklärter Sicht auch wirkt.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler