Bleidick, Dietmar, Die Ruhrgas 1926 bis 2013. Aufstieg und Ende eines Marktführers (= Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 30). De Gruyter/Oldenbourg, Berlin 2017. IX, 639 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.
An seinem Anfang hatte der Mensch außer der wärmenden Sonne nur die aus seiner Umwelt entnommene Nahrung und die durch das beherrschbare Feuer verbrennbaren Stoffe wie Holz und Torf als Energiequellen zu seiner Verfügung. In dem Laufe seiner Geschichte gelang ihm allmählich der immer weitere Ausgriff. Dadurch stiegen freilich auch seine Bedürfnisse, so dass schließlich die Energiegewinnung über die damit verbundene Umweltverschmutzung für ihn zu einer kaum mehr übersehbaren Bedrohung geworden ist.
Mit einem Teilaspekt dieser außerordentlich wichtigen Entwicklung beschäftigt sich die vorliegende Habilitationsschrift des in Bochum ab 1989 in Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft ausgebildeten, nach einer freiberuflichen Tätigkeit in Unternehmenspublikationen und Archivwesen seit 1996 als wissenschaftliche Mitarbeiter und danach als wissenschaftlicher Assistent Wolfhard Webers tätigen, 1998 mit einer Dissertation über die Hibernia-Affäre bzw. den Streit um den preußischen Staatsbergbau in dem Ruhrgebiet zu Beginn des 20. Jahrhunderts promovierten und nach einer Tätigkeit in dem Konzernarchiv ThyssenKrupps seit 2006 das historische Archiv BP/Arals leitenden Verfassers. Sie gliedert sich nach einem Vorwort und einer kurzen Einleitung in sechs Abschnitte. Sie betreffen in chronologischer Reihenfolge die Anfänge der Ruhrgas 1926 bis 1934, die Mangelverwaltung unter staatlicher Direktive 1934 bis 1958, den Übergang von dem Kokereigas zu dem Erdgas in den 1960er Jahren, die Ruhrgas als Drehscheibe des europäischen Erdgasverbunds, die Gaswirtschaft in dem zusammenwachsenden Europa und die Ruhrgas in dem E.ON-Konzern zwischen 2003 und 2013.
Nach der überzeugenden Darstellung des Verfassers befanden sich in dem Rahmen der in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzenden Industrialisierung und des damit stark wachsenden Energiebedarfs des Menschen nach dem ersten Weltkrieg Stahlindustrie und Bergbau des Ruhrgebiets in einem grundlegenden Umstrukturierungsprozess zwecks Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit, wobei sich Rationalisierung, Mechanisierung und Modernisierung mittels Unternehmenskonzentration als Lösung anboten. Da der Ruhrbergbau 1926 jedenfalls kurzfristig nicht absetzbare Kohlensorten in dem Umfang einer Monatsförderung hatte, suchten Albert Vögler (Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke AG) und Alfred Pott (seit 1923 Generaldirektor des Bergbaus des Stinneskonzerns) nach neuen Verwendungsmöglichkeiten, die Pott in der Kohleveredelung bzw. Kohlechemie sah, weshalb durch fünf Bergbaugesellschaften an dem 11. Oktober 1926 eine Aktiengesellschaft für Kohleverwertung (AGKV mit einem Grundkapital von 162900 Reichsmark) gegründet wurde, aus der wenig später unter Übernahme des Leitungsnetzes der RWE AG durch Umbenennung die Ruhrgas AG erwuchs, die bis 1936 einen Marktanteil von 50 Prozent an der Gasversorgung in Deutschland erreichte. Nach dem Wechsel von dem aus der Kohle des Bergbaus gewonnenen Kokereigas zu dem mit politischen Annäherungsfolgen seit 1970 aus der Sowjetunion sowie anderen Staaten eingeführten Erdgas wurde das Unternehmen Marktführer in Europa, verlor aber seine beherrschende Stellung als Folge der Energiemarktliberalisierungspolitik in der Europäischen Union seit 2003 rasch, wurde als E.ON Ruhrgas in die E.ON AG eingegliedert und zu dem 2. Mai 2013 auf die E.ON Global Commodities SE mit Sitz in Düsseldorf verschmolzen, so dass der Verfasser insgesamt die Geschichte der Ruhrgas als ein faszinierendes europäisches Beispiel für die Dynamik und Dramatik des modernen Energieversorgungsmarkts der Menschheit mit allen ihren problematischen Folgen erweisen kann.
Innsbruck Gerhard Köbler