Wolfram, Herwig, Tassilo III. Höchster Fürst und niedrigster Mönch (= kleine bayerische biographien). Pustet, Regensburg 2017. 144 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.
In dem Laufe der Entwicklung hat der Mensch mit Hilfe seines gewachsenen Gehirns das gegenüber Tieren umfassendere Gedächtnis gewonnen und es mittels seiner sonstigen Fähigkeiten auch zu der wissenschaftlichen Disziplin der Geschichte ausgebaut, die sich unter anderem dem Leben Einzelner widmet, sofern für sie allgemeineres Interesse vermutet wird. In diesem Rahmen bietet der Verlag Pustet zwecks Verlebendigung der Vergangenheit eine bunte Reihe kleiner bayerischer Biographien (von Tassilo über Aventin, Caritas Pirckheimer, Johann Nepomuk von Ringseis, die Wagners bis zu Alfons Goppel), die als Aufgabe mit Zukunft bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen will. Nach dem kurzen Vorwort hat der Verfasser, langjähriger Direktor des Instituts für österreichische Geschichtsforschung in Wien, sehr gerne das Angebot des Verlegers und des Herausgebers angenommen, eine biographische Annäherung an die Person des tragisch endenden Fürsten, Königs und Herzogs Tassilo III. zu versuchen, an den man sich diesseits wie jenseits von Salzach und Inn heute noch, wenn auch in regional unterschiedlicher Stärke, gerne erinnert.
Gegliedert ist das schlanke, Lernen und Vergnügen verknüpfende Werk nach einer Einleitung, in der das biographische Problem dahingehend beschrieben wird, dass die Antworten, welche die Quellenlage auf die Frage, „wer aber war Tassilo wirklich“, erlaubt, karg und lückenhaft sind, so dass außer den Ereignissen des Lebens auch der Geschichte der Herrschaft des Landes und der Leute nachzugehen ist, in 11 Sachkapitel. Sie beginnen mit der schriftlichen Überlieferung in Chroniken, Annalen, Heiligenlegenden, Urkunden und dem Salzburger Verbrüderungsbuch und schildern zunächst den Aufstieg des „Dächslein“ Tassilo von dem Skandal um seine Geburt bis zu dem Höhepunkt der Macht zwischen 768 und 778 und wenden sich dann der Ausschaltung Tassilos und seiner Familie und dem Skandalprozess von Ingelheim des Jahres 788 zu, nach dem Karl der Große binnen eines Jahrzehnts das Volk der Bayern erwirbt. Im Anschluss hieran behandelt der Verfasser elegant und eindringlich Grenzen und Völker, Land und Leute, Tassilos Herrschaftsinstrumente (Bayernrecht, Herzogtum, Herzogsgut, Benefizialwesen, Gaue und Volk), die Kirche und das kulturelle Leben (Bischöfe wie Virgil, Arn und Arbeo sowie Synoden), die Klostergründungen (Scharnitz, Innichen, Kremsmünster, Mondsee) sowie die Unterdrückung und die Wiederentdeckung der Erinnerung.
Insgesamt sieht der Verfasser den (um) 741 als Sohn des Herzogs Odilo und seiner Gemahlin Hiltrud zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt (um 796) geborenen, bis 757 bevormundeten Bayernherzog Tassilo (748-788) als eindrucksvolles Beispiel dafür, dass der Sieger (Tassilos Vetter Karl der Große) in der Erinnerung Recht behält und der Besiegte eben Unrecht hatte, so dass man ihn als kleinen Geist, als Treubrüchigen und Verräter sowie als talentlosen Politiker einstufen kann. Dabei übte Tassilo nach den Ausführungen des Verfassers ein Kirchenregiment aus, wie es Karl erst nach ihm erreichte, verbot vor Karl den Verkauf von Unfreien ins Ausland, führte vor den Karolingern den Zehnt ein, erwirkte vor Karl die Salbung seines Sohnes durch den Papst in Rom, hatte in der alten Römerfestung eine ererbte Residenz vor Karls Niederlassung in Aachen und erhielt eine – wenn es sie tatsächlich jemals gab - freilich längst verschollene Lebensbeschreibung ebenfalls vor dem auch nach ihm sterbenden Karl. Vor allem gab Tassilo nach dem Verfasser Bayern eine derart starke und dauerhafte Ordnung, dass Land und Leute von dem Untergang Tassilos und seiner Familie nicht mehr beschädigt werden konnten, so dass ihm die Nachwelt nicht nur in Bayern diese beispielhafte, (längere Jahre währende) Durchsetzung gegen eine expansive, ja aggressive Großmacht der Karolinger danken sollte.
Innsbruck Gerhard Köbler