Wegmann Stockebrand, Adolfo, Obligatio re contracta. Ein Beitrag zur sogenannten Kategorie der Realverträge im römischen Recht (= Ius Romanum 4). Mohr, Tübingen 2017. XIII, 329 S. Besprochen von Hans-Michael Empell.

 

Die Untersuchung hat der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg im Wintersemester 2014/2015 als Dissertation vorgelegen. Christian Baldus hat die Arbeit betreut. Der Titel provoziert Fragen: Was bedeutet der – in der Romanistik bisher nicht verwendete – Begriff der obligatio re contracta? Warum wird die allseits anerkannte Kategorie der Realverträge nur als „sogenannte“ bezeichnet?

 

In der Einleitung (S. 1ff.) formuliert der Verfasser die These, der seine Arbeit gewidmet ist: Im klassischen römischen Recht wird allein das Darlehen als Realkontrakt qualifiziert, während die Leihe, die Verwahrung und das Faustpfand dieser Vertragskategorie nicht zugeordnet werden. Diese These stellt der Verfasser in einen historischen Zusammenhang: Im gemeinen Recht habe man auf der Grundlage der Institutionen Justinians und der in den Digesten überlieferten Exzerpte aus den res cottidianae des Gaius nicht nur das Darlehen, sondern auch die Leihe, die Verwahrung und das Faustpfand als Realverträge qualifiziert. Dies sei bis heute herrschende Meinung unter den Romanisten. Nachdem Niebuhr 1816 den nahezu vollständigen Text der Institutionen des Gaius in Verona entdeckt habe, sei es möglich geworden, diese Deutung anhand des neu aufgefundenen Textes zu überprüfen und eventuell zu revidieren. Das sei jedoch nicht geschehen. Die Analyse der Institutionen des Gaius, seiner res cottidianae und weiterer Stellen in den Quellentexten zeige, dass die klassischen Juristen allein das Darlehen als Realvertrag eingestuft haben.

 

Nach der Vorstellung seiner These gibt der Verfasser einen Überblick über den Forschungsstand (S. 6ff.). Er konstatiert, die Romanistik habe sich mit der Frage, ob eine Kategorie der Realverträge, so wie wir sie uns vorstellen, wirklich bestand, kaum beschäftigt. Sodann geht er auf die Zielsetzung seiner Untersuchung ein und stellt fest, es gehe ihm nicht darum, alle mit Darlehen, Leihe, Verwahrung und Pfand verbundenen Probleme zu erörtern. Ziel sei es vielmehr, „die Struktur der römischen obligatio re contracta“ zu erforschen (S. 23).

 

Im Hauptteil der Arbeit wendet sich der Verfasser zunächst dem vorklassischen und frühklassischen römischen Recht zu (S. 25ff.). Als Ergebnis seiner Untersuchung stellt er fest, es ließen sich keine Belege dafür finden, dass Leihe, Verwahrung und Pfand als Realverträge klassifiziert wurden.

 

Obwohl der Verfasser in den folgenden Abschnitten die Institutionen und die res cottidianae des Gaius, die Schriften weiterer klassischer Juristen sowie die Institutionen Justinians behandelt, sollen hier allein seine Darlegungen zu den Institutionen des Gaius (und einmal auch zu dessen res cottidianae) dargestellt und kritisch beleuchtet werden. Dies ist das Werk, mit dessen Hilfe der Verfasser seine These in der Hauptsache begründet.

 

Unter der Überschrift: „Divisiones obligationum in der gaianisch-justinianischen Tradition“ (S. 64ff.) widmet sich der Verfasser dem Begriff des Vertrages (contractus), wie er den Institutionen des Gaius zugrunde liegt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die von Gaius vorgenommene Einteilung der Pflichten in solche aus Vertrag und aus Delikt (Inst 3,88). Die Entstehung der vertraglichen Pflichten wird weiter unterteilt: re contrahitur obligatio aut verbis aut litteris aut consensu (Inst 3,89). Es gibt demnach Real-, Verbal-, Litteral- und Konsensualkontrakte. Entscheidend für die vom Verfasser vertretene These, allein das Darlehen werde als Realvertrag klassifiziert, ist sein Verständnis des Merkmals re. Nach seiner Auffassung wird damit nicht die bloße Hingabe einer Sache (Verschaffung von Besitz oder Detention) bezeichnet, sondern die Übereignung durch Übergabe, die datio. Dieses Merkmal liege bei Verwahrung, Leihe und Pfand nicht vor, so dass allein das Darlehen re zustande komme. Dadurch werde die Pflicht erzeugt, das empfangene Geld (oder andere vertretbare Sachen) zurückzuerstatten.

 

Folgt man dem Verfasser, so ist Vertrag (contractus) im Sinne der Institutionen des Gaius jede rechtlich erlaubte, eine Pflicht begründende Handlung – im Unterschied zu einer rechtswidrigen Handlung (Delikt). Die vier Kriterien, mit deren Hilfe Gaius die Vertragskategorien bildet, sind demnach selbstständige, voneinander unabhängige Tatbestände, durch welche die jeweiligen Pflichten begründet werden (S. 72ff.). Der Verfasser wendet sich damit gegen die seiner Auffassung nach in der Romanistik herrschende Meinung, wonach die Vertragskategorien durch unterschiedliche Abschlussmodi gekennzeichnet sind. Alle Verträge haben danach einen gemeinsamen Kern, nämlich einen Konsens (conventio); die Vertragskategorien werden mit Hilfe der unterschiedlichen Formen gebildet, in denen der Konsens geäußert wird.

 

Aus dem Vertragsbegriff leitet der Verfasser ein wichtiges Argument ab: Nur unter der Voraussetzung, dass contractus einen Konsens bezeichnet und die Vertragskategorien als Abschlussmodi zu verstehen sind, lässt sich re als Hingabe deuten, so dass nicht allein das Darlehen, sondern auch Leihe, Verwahrung und Pfand zu den Realkontrakten gehören (S. 74). Der vom Verfasser vertretene Vertragsbegriff führt demnach notwendig zu der Konsequenz, dass re die datio bezeichnet – mit der Folge, dass allein das Darlehen als Realvertrag zu qualifizieren ist.

 

Dieses Argument muss kritisiert werden. Selbst wenn man dem Verfasser darin folgt, dass Gaius einen Vertragsbegriff voraussetzt, der jede rechtmäßige, pflichtenbegründende Handlung umfasst, folgt daraus nicht zwingend, dass die einzelnen Vertragskategorien vom Konsensbegriff frei sind. Es ist durchaus möglich, re als eine Handlung zu verstehen, die auf einem Konsens beruht, und gleichzeitig den Begriff des contractus auf alle rechtmäßigen, pflichtenbegründenden Handlungen zu beziehen. Denn auch die Manifestation eines Konsenses kann eine rechtmäßige, pflichtenbegründende Handlung sein.

 

Zudem lässt sich die Trennung von Konsens und Vertrag bei den Realverträgen, nach Ansicht des Verfassers also beim Darlehen, nicht konsequent durchhalten. Das Darlehen kommt durch datio zustande. Eine datio liegt vor, wenn sich die Beteiligten während der Übergabe einig sind, dass das Geld (oder eine sonstige vertretbare Sache) als Darlehen gegeben und empfangen und dadurch übereignet wird. Die datio impliziert somit einen Darlehenskonsens, der als causa traditionis fungiert (worauf der Verfasser an späterer Stelle auch eingeht; S. 128). Eine Trennung der Begriffe „Realvertrag“ und „Konsens“ ist daher nicht möglich.

 

Vor allem jedoch ist zu fragen, ob überhaupt ein Zusammenhang zwischen den beiden vom Verfasser behandelten Vertragsbegriffen und der Deutung von re besteht. Betrachtet man die Merkmale, nach denen die Vertragskategorien gebildet werden, als Äußerungsformen eines Konsenses, ist es einleuchtend, re als bloße Hingabe zu verstehen. Die Formen, in denen sich der Konsens manifestiert, sind dann sinnlich wahrnehmbare Handlungen, die, modern ausgedrückt, mit deskriptiven Merkmalen bezeichnet werden. Unter dieser Voraussetzung ist es plausibel, re als bloße Hingabe zu verstehen. Zwingend ist dieser Zusammenhang entgegen dem Verfasser (S. 74) freilich nicht. Denn es besteht die Möglichkeit, den Realvertrag wesentlich als Konsens zu begreifen und zugleich re als datio zu verstehen. Warum sollte sich ein Konsens nicht in Form einer datio äußern? Das Argument, der Gaius unterstellte Vertragsbegriff spreche zwingend dafür, re als datio zu deuten, erscheint nicht einleuchtend.

 

Kehren wir zu den Darlegungen des Verfassers zurück. Im folgenden Abschnitt mit dem Titel „Die obligatio re contracta im klassischen römischen Recht“ (S. 115ff.) bemüht er sich ein weiteres Mal um den Nachweis, dass re die datio meint. Er argumentiert zum Beispiel, dass die Wendung dare rem meistens (wenn auch nicht notwendig) die Übereignung bezeichnet: „Datio rei oder dare rem besteht in der Erfüllung einer Verpflichtung durch eigentumsverschaffende Sachüberlassung.“ (S. 123) Die Erfüllung einer Pflicht durch datio rei besteht demnach in einer Übereignung. Sodann wendet sich der Verfasser der Begründung einer Pflicht zu und fährt fort: „Re contrahitur obligatio hat in den Institutionen des Gaius eine präzise Bedeutung, und zwar die Obligationskontrahierung durch datio rei.“ (S. 123) Das Merkmal re bezeichnet demnach die datio.

 

Im folgenden Abschnitt („Sonstige obligationes re contractae?“) widmet sich der Verfasser den obligationes re in den res cottidianae des Gaius (S. 183ff.). die nach den Institutionen des gleichen Juristen publiziert wurden. Im zweiten Buch dieses Werkes (D. 44,7,1,3 bis 6) heißt es unmittelbar nach der Behandlung des Darlehens, dass auch Leihe, Verwahrung und Pfand re verpflichten. Den naheliegenden Schluss, Gaius qualifiziere die drei genannten Vertragsarten (zumindest an dieser Stelle) als Realkontrakte, weist der Verfasser mit einem Wortlaut-Argument zurück, indem er geltend macht, bei diesen Vertragsarten entstünden zwar Realobligationen, denn es heiße im Hinblick auf Leihe bzw. Verwahrung und Pfand: re (…) obligatur; re (…) tenetur. Auch kämen die Pflichten durch Vertrag (contractus) zustande. Gaius beziehe sich aber gleichwohl nicht auf Realkontrakte, weil die Wortverbindung re contrahere hier – anders als beim Darlehen (D. 44,7,1,2 und Inst 3,90) –  fehle.

 

Diese Deutung ist fragwürdig. Wenn ein contractus vorliegt und eine vertraglich begründete Pflicht re zustande kommt, ist nicht ersichtlich, warum die Pflicht nicht durch Realvertrag begründet wird (obligatio re contracta). Das Argument des Verfassers ist einleuchtend nur unter der Voraussetzung, dass man seine These, wonach re die datio meint, bereits voraussetzt. Hier liegt wohl ein Zirkelschluss vor. Hinzu kommt Folgendes: In den gaianischen Institutionen heißt es zum Verbalkontrakt (Inst 3,92): Verbis obligatio fit, zum Litteralvertrag: Litteris obligatio fit (Inst 3,128). Auch hier fehlt contrahere. Dennoch würde niemand schließen, es läge kein Verbalkontrkt bzw. Litteralkontrakt vor, weil die Wortverbindung litteris bzw. verbis contrahere fehlt. Spätestens in den res cottidianae (wenn nicht schon in seinen Institutionen) hat Gaius Leihe, Verwahrung und Pfand als Realverträge eingestuft.

 

Es ist zweifelhaft, ob sich der vom Verfasser geprägte und im Titel der Arbeit erscheinende Begriff der obligatio re contracta den Quellen entnehmen lässt. Und selbst wenn der These des Verfassers zugestimmt werden könnte, wonach das Darlehen den einzigen Realkontrakt bildet, wäre es fragwürdig, nur von einer „sogenannten Kategorie der Realverträge im römischen Recht“ zu sprechen, wie es im Untertitel heißt. Folgt man der vom Verfasser aufgestellten These, umfasst die Kategorie der Realverträge zwar nur eine einzige Vertragsart, das Darlehen. Gaius selbst qualifiziert das Darlehen aber als eine Vertragsart, die dem genus der Realkontrakte zuzuordnen ist (Inst 3,89). Warum sollte man nicht Gaius folgen und von einer Kategorie (genus) der Realkontrakte sprechen?

 

Der Verfasser beendet seine Untersuchung mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse (S. 241 ff.). Es folgen Resümees in spanischer und italienischer Sprache (S. 247ff., 257ff.). Abgeschlossen wird das Werk durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 269ff.) und ein Quellenregister (S. 315ff.). Ein Abkürzungsverzeichnis und ein Sachregister fehlen leider.

 

Bedingt durch die notwendige Kürze einer Rezension, konnte hier nur ein kleiner Teil der Ausführungen des Verfassers dargelegt und kritisch beleuchtet werden. Der Verfasser hat den Rezensenten zwar nicht von seiner These überzeugen können. Dies ändert aber nichts daran, dass er eine äußerst gründliche und penibel genaue Untersuchung vorgelegt hat. Die Sekundärliteratur wird umfassend ausgewertet. Die Arbeit ist innovativ und anregend. Der Rezensent hat viel daraus gelernt. Wer immer sich künftig den vom Verfasser untersuchten Fragen widmet, wird sich mit diesem Werk auseinandersetzen müssen. Die Leistung des Verfassers nötigt große Hochachtung ab.

 

Heidelberg                                                     Hans-Michael Empell