Wappen – Handbuch der Heraldik, 20. Aufl., bearb. v. Biewer, Ludwig/Henning, Eckart. Böhlau, Köln 2017. 382 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

In der Reihe der historischen Hilfswissenschaften kommt der eng mit der Genealogie verquickten Wappenkunde oder Heraldik weiterhin ein nicht unerheblicher Stellenwert zu. Während die Disziplin in der universitären Ausbildung heute bedauerlicher Weise vielfach zu kurz kommt, ist sie vor allem in der Grundlagenforschung zur Mediävistik unverzichtbar. Der seit 1869 existierende HEROLD, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin, bemüht sich auf vielfältige Art, dieses Gebiet mit seinem Fachwissen zu sichern, zu erweitern und zu administrieren; so befindet beispielsweise ein auf fünf Jahre gewählter, aus einem Heraldiker, einem Genealogen und einem Rechtskundigen zusammengesetzter HEROLDs-Ausschuss der Deutschen Wappenrolle (DWR) mit der Stellung eines Organs nach § 30 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ehrenamtlich über Aufnahme, Beurkundung und Veröffentlichung deutscher Familienwappen. In ihrer Dokumentationsleistung ist die seit 1884 bestehende, 1962 in das Gebäude des Geheimen Staatsarchivs überführte und über mehr als 150.000 Nachweise verfügende Wappenbilderkartei des Vereins besonders hervorzuheben. 1887 erschien erstmalig die „Wappenfibel“ als erste Vorläuferin der nunmehr vorliegenden, von den Bearbeitern aktualisierten und neu gestalteten 20. Auflage des „Handbuch(s) der Heraldik“. Ludwig Biewer leitete von 2003 bis 2014 das Politische Archiv des Auswärtigen Amts und nahm Lehraufträge für Heraldik an der Universität Bonn und der Freien Universität Berlin wahr; Eckart Henning war ebenfalls in leitender Stellung im Archivwesen tätig und wirkte seit 1993 als Honorarprofessor am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität Berlin. Beide sind Beisitzer des HEROLDs-Ausschusses für die Deutsche Wappenrolle.

 

Wappen sind aller Voraussicht nach im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts aus dem praktischen Bedürfnis heraus entstanden, „den im Kampf infolge der Vollständigkeit und Gleichheit der Rüstungen unkenntlichen Krieger durch weithin sichtbare Kennzeichen für Freund und Feind zu unterscheiden“ (S. 25), etymologisch sei das Wort gleichbedeutend mit den (Abwehr-)Waffen. Vom Kriegswesen verlagerte sich die Heraldik bald zu den ritterlichen Turnieren und mutierte nach deren Verschwinden im 14. Jahrhundert zum Symbol, eine Funktion, die den Wappen bis in die Gegenwart zukommt. Dass die Wappenfähigkeit an den Adel gebunden war, sei eine verbreitete Fehlmeinung; schon für den Anfang des 13. Jahrhunderts sind bürgerliche Wappen nachgewiesen, und „selbst eine Wappenführung durch ‚unehrliche‘ Berufe (Abdecker, Scharfrichter, Büttel u. Ä.) und durch die vor ihrer Emanzipation unter Fremdenrecht stehenden Juden lässt sich vereinzelt feststellen“ (S. 250). Der ungebrochene Ansturm von Antragstellern auf Eintragung in die Deutsche Wappenrolle veranschaulicht jedenfalls das soziale Prestige, das mit der Führung eines Familienwappens offensichtlich immer noch verbunden wird. Das vorliegende Handbuch liefert nun einen systematischen Überblick über alle relevanten Felder des Wappenwesens und gliedert sich in die Abschnitte Wappenkunde, Wappenkunst, Wappengebrauch, Nachbargebiete sowie den Anhang.

 

Die Wappenkunde beschäftigt sich mit allgemeinen Grundbegriffen und der Systematik der heraldischen Wissenschaft, der Geschichte des Wappen-, Turnier- und Heroldswesens, mit diversen Datenbanken zur Heraldik, den einzelnen Bestandteilen des Wappens und seiner korrekten Beschreibung, dem sogenannten Blasonieren. In einer gelisteten Tektonik der Heraldik wird als dritter Abschnitt der Bereich des Wappenrechts und der Wappensoziologie angeführt; er positioniert das Wappenrecht im System der Rechtswissenschaft und umfasst das öffentlich-rechtliche Wappenrecht, das privatrechtliche Wappenrecht, die Institutionen zur Ordnung des Wappenwesens, das heraldische Beurkundungswesen, Wappenmissbrauch und Wappenschwindel, ständische Besonderheiten des Wappenwesens sowie die Wappenführung durch Geistliche und Frauen. Schon mit dem Aufkommen der Heraldik „wurden die Wappen auch zum Gegenstand von Rechtsgeschäften“, ein kaiserliches Recht auf Ausstellung von Wappenbriefen „wurde ununterbrochen von Karl IV. [1346 – 1378] bis zu Franz II. (1806) ausgeübt“ (S. 44), meist an sogenannte Hofpfalzgrafen delegiert und in den Varianten des Kleinen Palatinats oder des umfassenderen Großen Palatinats verliehen (vgl. S. 244f.). Der vordringliche Zweck und die rechtliche Bedeutung dieser Urkunden bestand darin, „dass das verbriefte Wappen(recht) durch die kaiserliche Anerkennung beweisbar und durch die Strafandrohungen gegen Missbrauch geschützt wurde“ (S. 46). Da dazu früher auch andere, historisch nicht haltbare Interpretationen ventiliert worden sind, beschließen die Verfasser das Kapitel der Wappenkunde mit einer Zusammenfassung der am meisten verbreiteten „Irrmeinungen“ auf diesem Feld im Umfang von zweieinhalb Druckseiten.

 

Auch im zweiten Abschnitt, der die Wappenkunst und mit ihr die – vorwiegend kunstgeschichtlich interessierenden – Grundsätze der bildlichen Darstellung der Wappen sowie Fragen der Symbolisierung, des Stils und der Deutung abhandelt, kommen mit dem vom Gesetzgeber mehrfach bestätigten Rechtsgrundsatz der Ausschließlichkeit (ein Kennzeichen muss sich von bestehenden Zeichen gleicher Art hinreichend unterscheiden) und der Kritik an den fragwürdigen Praktiken kommerzieller Wappenhändler juristische Inhalte auf das Tapet. Dies gilt umso mehr für den nachfolgenden dritten Teil, den Wappengebrauch, der die Staatswappen, Landeswappen und Kommunalwappen als Hoheitszeichen, die kirchliche Amtsheraldik und das weite Feld der Familienheraldik umfasst. Da im Bürgerlichen Gesetzbuch kein Persönlichkeitsrecht und damit auch kein Recht am Wappen normiert sei, habe die Rechtsprechung die grundlegende Vorschrift über das Recht am Namen in § 12 BGB sinngemäß auf das Recht am Wappen zur Anwendung gebracht. Mit der Liberalisierung des Namensrechts trat folglich auch eine Lockerung der Bestimmungen zum Recht auf die Führung eines Wappens ein, indem nun nicht mehr allein die agnatische (Vaterstamm), sondern auch die kognatische (Mutterstamm) Abstammung die Weitergabe des Familienwappens zulässt. Im Übrigen sei heute „in Deutschland jeder Bürger berechtigt, ein Wappen frei anzunehmen oder früher verliehene bzw. bestätigte zu führen; es bedarf dafür keiner notariellen, gerichtlichen oder behördlichen Mitwirkung“ (S. 226). Ein rechtlicher Gebrauch des Wappens wiederum liege vor, „wenn es zur rechtsgeschäftlichen Betätigung, zur Bekundung der Urheberschaft an einem Werke oder als Hoheits- und Eigentumszeichen benutzt wird“. Die dahingehende aktuelle Verwendung von Wappen der Kantone und Bundesländer auf Autokennzeichen der Schweiz, Österreichs und Deutschlands sehen die Bearbeiter positiv, sie sei „vom Heraldiker zu begrüßen“ (S. 251). Als Funeralheraldik sind Wappen auf Grabdenkmälern seit den Anfängen des Wappenwesens in Gebrauch; Exlibris erscheinen vermehrt mit dem Buchdruck, seien jedoch vereinzelt auch schon im Verein mit handschriftlichen Vervielfältigungen nachzuweisen. Wappen spielen ferner eine Rolle in verschiedenen Nachbargebieten der Heraldik, die – wie die seit der Antike bekannten Siegel – zum Teil auf eine bedeutend längere Tradition als das Wappenwesen selbst zurückblicken können. Neben den Siegeln behandelt das Handbuch die schon bei vorgeschichtlichen Funden anzutreffenden Hausmarken, die vielleicht auf römische Tabellionatszeichen zurückgehenden Notarsignete, Berufszeichen, Orden und Ehrenzeichen sowie Fahnen und Flaggen.

 

In seiner Ausstattung bemüht sich das Werk um Praxisbezug und größtmögliche Anschaulichkeit. Hierzu dienen in erster Linie die zahlreichen anregenden, bisweilen auch farbig gedruckten Beispiele heraldischer Kunst. Andere, vor allem im Anhang versammelte Informationen eröffnen den Zugang zu fachlicher Expertise: Erstmalig verzeichnet das Handbuch, zusätzlich zum aktualisierten alphabetischen Index aktiver oder bereits verstorbener Heraldiker und einer Charakteristik des Vereins HEROLD, sämtliche ordentlichen und assoziierten Mitglieder der in Genf ansässigen Académie internationale d’Héraldique jeweils mit Postanschrift und Mailaccount; ein detailliertes Sachregister, die Nennung der bedeutendsten Bibliographien zur Heraldik und 28 Druckseiten weiterführende Titel bieten weitere Orientierung. Darüber hinaus findet der Nutzer, untergebracht im laufenden Text, ein Auswahlverzeichnis gedruckter regionaler Wappenbücher für Deutschland und Österreich (S. 198ff.), das von „Aal“ bis „Zwillingsbalken“ reichende alphabetische Register der Wappenbilderkartei des HEROLD (S. 64ff.) und eine exemplarische, der Systematik der Wappenbildersammlungen folgende Liste möglicher Schildbilder („gemeine Figuren), die den Sparten Himmelskörper und unbelebte Erde, Pflanzen, niedere Tiere, Vögel, Säugetiere, Fabelwesen, Menschen und übersinnliche Wesen sowie Werke von Menschenhand zugeordnet werden (S. 103ff.).

 

Die 20. Auflage des „Handbuch(s) der Heraldik“ ist ein gelungenes Hilfsmittel, das sowohl Laien als auch Fortgeschrittenen auf dem Gebiet des Wappenwesens gute Dienste leisten wird. Zwischen den Zeilen ist zudem immer wieder das sympathische Bestreben der Bearbeiter herauszulesen, nicht starr auf veralteten Strukturen zu beharren, sondern dem Wappen auch in der Gegenwart einen angemessenen und würdigen Stellenwert einzuräumen. In diesem Bemühen geißeln sie Auswüchse wie die Kommerzialisierung, die inkompetente Verletzung heraldischer Grundsätze oder das verbreitete vorsätzliche Vortäuschen möglichst alter oder adeliger Wappen, während der Rechtslage und gesellschaftlichen Bedürfnissen zuzuschreibende Veränderungen im Sinne einer lebendigen und zeitgemäßen Fortentwicklung der Disziplin ausdrücklich begrüßt werden.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic