Ulrich, Jan, Der Erbvertrag als Problem von Rechtswissenschaft. Eine rechtswissenschaftsgeschichtliche Untersuchung vor dem Hintergrund der Geschichte eines allgemeinen Vertragsbegriffs (= Grundlagen der Rechtswissenschaft 33). Mohr Siebeck, Tübingen 2017. XIV, 531 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Der als Wort in der deutschen Sprache anscheinend 1535 erstmals bezeugte, in der Gegenwart als merkwürdige Doppelnatur erklärte Erbvertrag ist grundsätzlich der Vertrag zwischen mindestens zwei Menschen, in dem mindestens einer der Vertragsschließenden (Erblasser) vertragsmäßige Verfügungen von Todes wegen (z. B. Erbeinsetzung, Vermächtnis, Auflage) trifft. In dem römischen Recht (D. 45, 1, 61) wird er wegen der mit ihm verbundenen Gefahr der Tötung des einen Vertragsteils durch den anderen Vertragsteil als sittenwidrig und danach als unzulässig angesehen. Demgegenüber ist er in griechischen Rechten geläufig und deswegen in der Rechtswirklichkeit des Reiches Ostroms entgegen dem Verbot der Digesten verbreitet.
Die vorliegende Untersuchung ist die von Bernd Kannowski, an dessen Lehrstuhl an der Universität Freiburg im Breisgau der Verfasser als wissenschaftliche Hilfskraft während seiner Studienzeit arbeitete, betreute, im Wintersemester 2016/2017 als externe Arbeit angenommene, für den Druck überarbeitete Dissertation des 1984 geborenen, in Freiburg und Aberdeen ausgebildeten, 2013 die zweite juristische Staatsprüfung ablegenden, nach kurzen Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Gießen und als Rechtsanwalt in einer großen Wirtschaftskanzlei inzwischen als Richter in Hessen wirkenden Autors. Sie gliedert sich nach einer Einleitung in drei Teile. Sie betreffen die Naturrechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts (Grotius, Pufendorf, Thomasius, Heineccius, Wolff, Darjes, Achenwall, Martini, Höpfner, Hufeland, Kant und Zeiller), die historische Schule und Pandektenwissenschaft (Savigny, Zitelmann, Windscheid, Enneccerus, Schuppe, Bierling) und die Zivilrechtswissenschaft in dem frühen 20. Jahrhundert (Manigk, Kipp, Henle, von Tuhr, Oertmann, Fischer, Peter) sowie nach dem zweiten Weltkrieg (Larenz, Flume).
In seinem Ergebnis zeigt der Verfasser, dass die den Erbvertrag in dem 18. Jahrhundert aus dem gemeinen Recht aufgreifenden Naturrechtssysteme des 17. und 18. Jahrhunderts den Erbvertrag auf der Grundlage ihres allgemeinen Vertragsbegriffs als promissio dandi einordnen konnten, wobei Kant Erbvertrag und Testament grundsätzlich gleich behandelte. Bei Savigny war der allgemeine Vertragsbegriff innerhalb der Lehre von den juristischen Tatsachen in dem gesamten Privatrecht anwendbar und nicht auf das schuldrechtlich verstandene Obligationenrecht beschränkt. Erst Larenz versteht dann die Willenserklärung (in einer Art Revolution) nicht mehr als juristische Tatsache, sondern als Geltungserklärung.
Abschließend kann der Verfasser festhalten, dass fast alle von ihm betrachteten rechtswissenschaftlichen Strömungen den Erbvertrag unter ihrem jeweiligen Vertragsmuster schlüssig darstellen konnten. Für die Einstufung der Willenserklärung als Geltungserklärung schließt er dies aber aus. Deswegen wirft er am Ende seiner selbständigen und ansprechenden Untersuchung die von ihm nicht mehr beantwortete Frage auf, ob Erbrechtslehre und theoretische Zivilrechtswissenschaft überhaupt noch als je ein Teil einer (einheitlichen) Rechtswissenschaft angesehen werden können.
Innsbruck Gerhard Köbler