Tesch, Sebastian, Albert Speer (1905 – 1981) (= Hitlers Architekten 2). Böhlau, Wien 2016. VIII, 337 S., 234 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Als Nachfolger des recht früh verstorbenen Paul Ludwig Troost (1878 – 1934), über den Timo Nüsslein im ersten Band (2012) der von Winfried Nerdinger und Raphael Rosenberg betreuten Reihe „Hitlers Architekten. Historisch-kritische Monografien zur Regimearchitektur im Nationalsozialismus“ berichtet hat – 2014 ist dort auch bereits der dritte, vorgezogene Band Lioba Schmitt-Inkamps über den Gestalter des Obersalzbergs, Roderich Fick (1886 – 1955), erschienen –, zählt der in der Folge zum „Lieblingsarchitekten“ Adolf Hitlers avancierte Albert Speer (1905 – 1981) zu den prominenten Exponenten des nationalsozialistischen Regimes. Diesem besonderen persönlichen Naheverhältnis zum Diktator, dazu einem überdurchschnittlichen Organisationstalent in Verbindung mit dem erforderlichen Ehrgeiz verdankte sich seine Berufung in das Amt des Rüstungsministers, das mit außerordentlichen Machtbefugnissen zur Ausnützung sämtlicher wehrwirtschaftlichen Ressourcen ausgestattet war. Wie man heute weiß, bestehen keine Zweifel, dass Speer in dieser Funktion in verschiedene Verbrechenskomplexe der nationalsozialistischen Herrschaft verantwortlich verstrickt war. Dem bald nach Kriegsende in Nürnberg installierten Internationalen Militärtribunal gegen die Spitzenfunktionäre des Dritten Reichs mangelte es jedoch noch vielfach an umfassenden Einblicken in die komplexe Herrschaftspraxis der Institutionen des NS-Staates, sodass es Albert Speer mit Geschick verstand, durch das Kleinreden seiner Kompetenzen, das Suggerieren einer vernunftgesteuerten, widerstandsnahen Haltung und nicht zuletzt durch sein positiv wahrgenommenes persönliches Charisma dem drohenden Todesurteil zu entgehen.
Die Herausgeber nennen zwei Gründe für die Verzögerung beim Erscheinen dieses zweiten Bandes der Reihe: Nach und nach „wurde deutlich, dass die Anzahl der Bauvorhaben, an denen Speer beteiligt war, und der Umfang der an unterschiedlichen Orten aufbewahrten Quellen kaum mit einem einzigen Dissertationsvorhaben umfassend bewältigt werden konnten“; darüber hinaus „konnte der Autor […] nicht alle Teile seines Projektes fertig stellen“. Die vorliegende Veröffentlichung legt den Schwerpunkt daher auf die Jahre bis 1937 und „die Bauvorhaben jenseits der bereits gut erforschten Komplexe in Nürnberg (Reichspartei[tags]gelände) und Berlin (Neue Reichskanzlei, Neugestaltung der Reichshauptstadt)“. Sie liefert vor allem das erste Werkverzeichnis der Speerschen Bauten, „das Vollständigkeit anstrebt und auf der Grundlage archivarischer Quellen erstellt wurde“ (Vorwort, V – VI). Trotzdem ist die Arbeit strukturell so angelegt, dass sie den Bogen über den gesamten Zeitraum von Albert Speers Schaffen spannt. Nach den üblichen Vorbemerkungen zum Forschungsstand und zu den Quellen sowie einem kritischen Blick auf Speers Selbstinszenierung folgen die Abschnitte nachstehender Chronologie: Speers Werdegang von der Geburt in Mannheim bis zum Parteieintritt (1905 – 1931), sein Aufstieg in der Partei (1931 – 1933), seine Etablierung bei Hitler (1934 – 1937), seine Tätigkeit als Generalbauinspektor und seine Stellung in der Bauwirtschaft (1937 – 1942), sein Agieren als Rüstungsminister (1942 – 1945) sowie seine Nachkriegskarriere (1945 – 1981). Ein kurzes, fünfspaltiges Fazit versucht anschließend das Wesentliche dieser außergewöhnlichen Laufbahn zu bilanzieren.
Der Verfasser urteilt, der Aufstieg des bei Heinrich Tessenow ausgebildeten Albert Speer im Dunstkreis von Joseph Goebbels und dessen Entourage zu Hitlers „Hofarchitekten“ (S. 60) sei den Quellen zufolge „weniger ein glücklicher Zufall, sondern eine mehrstufige Karriereleiter, die er mit heute nicht mehr bis ins Letzte bezifferbarer Eigeninitiative in einem Umfeld radikaler Nationalsozialisten hinaufsteigt“ (S. 62). Ein automatischer Eintritt Speers in das Erbe Paul Ludwig Troosts sei 1934 noch keineswegs zu konstatieren; auch seine zwischen 1935 und 1936 wahrgenommenen Aufträge stellten bestenfalls „ein Bindeglied (auf dem Weg zum konkurrenzlosen Architekten Hitlers) dar“ (S. 84). Erst mit der Ernennung zum „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ (GBI) erhielt Speer 1937 „von Hitler eine Machtfülle über die Architektur im Reich, die ihresgleichen sucht“, und zugleich „eine offiziell legitimierte amtliche Stellung“ (S. 104). Von Interesse sind die mit der Schaffung dieser Dienststelle einhergehenden Rechtsprobleme und die Art und Weise, wie sie gelöst wurden. Die von Speer geforderten umfassenden Befugnisse stießen an das Problem, dass „eine oberste Reichsbehörde im Gegensatz zu einem Ministerium keine gesetzgeberischen Befugnisse hat und genauso wenig einem Ministerium Anweisungen erteilen kann“, womit „das von Speer gewünschte Weisungsrecht nur schwer in einer gesetzeskonformen Regelung zu verankern“ gewesen sei. Man bediente sich der Hilfskonstruktion eines sogenannten Reichsbeauftragten, „der gesetzgeberisch und bezüglich des Anweisungsrechts als direkt von Hitler delegiert handeln könnte“. Obwohl die mit Erlass Hitlers ins Leben gerufene Generalbauinspektion „formal keine Reichsbehörde“ gewesen sei, wurde verfügt, „dass aufgrund der Befugnisse und der Form der Finanzierung die GBI wie eine oberste Reichsbehörde anzusehen sei“, womit ihr „letztlich nie ein fester Status zugeschrieben wird. […] Angesichts des brachialen Eingriffs in die bestehenden Strukturen hätte eine konkretere formale Regelung als die Einsetzung durch den allgemein gehaltenen ‚Führererlass‘ erhebliche Schwierigkeiten bereitet. […] Speers Kompetenzen werden zwar von Hitler bestimmt, […] aber auch durch Göring erweitert, der ihn […] zusätzlich als ‚Sonderbevollmächtigten im Rahmen des Vierjahresplanes‘ beruft. Damit erhält Speer über bauliche Aspekte hinaus Eingriffsmöglichkeiten“ (S. 105f.).
Mit der Übernahme des Rüstungsministeriums nach dem Unfalltod Fritz Todts im Februar 1942 werden diese Befugnisse erheblich ausgeweitet. Albert Speer vereint nun in seiner Person unter anderem die Kompetenzen eines „Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft“ (GBBau) und eines „Generalinspektors für Wasser und Energie“ und kann im Mai 1942 das Rüstungsamt des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) in sein Ministerium eingliedern. Mit der Übernahme der „Organisation Todt“ (OT) verfügt er „fortan über die größte ausführende Bauorganisation im Reich und kann seine beherrschende Stellung im Bauwesen nachhaltig festigen“. Im Sommer 1943 „unterstehen Speer 45 % des Rüstungsbereichs, die immerhin einem Sechstel der gesamten Industrieproduktion entsprechen. Zwar erlangt er zu keinem Zeitpunkt die vollständige Kontrolle über alle Produktionskapazitäten, doch ist Speers Dienststelle im Sommer 1944 – als ihm auch die Luftwaffenrüstung unterstellt wird – für kurze Zeit die größte Ministerialbürokratie, bevor sie im Herbst 1944 auseinanderzufallen beginnt“. Bemerkenswerter Weise kann der Verfasser trotz dieser eindeutigen Faktenlage berichten, es gebe „keine Hinweise darauf, dass Speer darauf hingearbeitet hätte, in diesem Bereich [der Kriegswirtschaft; W. A.] umfangreich tätig zu werden. […] Sein Ziel ist es, sich eine entscheidende Machtposition in sämtlichen Baufragen zu verschaffen, die ihn durch Opponenten unangreifbar machen soll“ (S. 201ff.). So befasst sich Speer keineswegs nur mit Repräsentativbauten, sondern „über die gesamte Kriegszeit (mit dem Wohnungsbau als Verwaltungs- und Planungsaufgabe)“, kontrolliert „den zivilen Hochbau in den Ostgebieten“ (S. 205) und habe insgesamt ein nach dem Krieg einzurichtendes Bauministerium unter seiner Führung angepeilt.
Im Hinblick auf die Ausbildung eines eigenständigen nationalsozialistischen Architekturstils vertritt Sebastian Tesch aufgrund der erhaltenen, mehrfach umgearbeiteten Planungsunterlagen zur Neugestaltung Berlins die Auffassung, dass „ein endgültiger Ausdruck […] nicht definiert“ worden sei (S. 175). Ebenso könne man beim Stand des Wissens noch nicht sagen, inwieweit Speers Arbeiten seiner eigenen Kreativität entspringen oder vorwiegend die architektonischen Wünsche Hitlers umsetzen. Denn für Hitler gelte, „dass ihm eine architektonische Begabung nicht abzusprechen ist und er als Dilettantenarchitekt durchaus in der Lage ist, an Entwurfsprozessen mitzuwirken. Eine Vielzahl von Skizzen Hitlers ist erhalten und wartet auf eine gründliche Auswertung“ (S. 180). Auch die augenfällige, dem menschlichen Maß entrückte „Übergröße der Bauprojekte“ sei als „Machtdemonstration gegenüber dem Ausland und für das eigene Volk zu sehen, das diese Leistungen selbstverständlich mit dem Bauherrn Hitler verknüpfen soll“ (S. 185). Einschränkend hält der Verfasser aber fest, dass „Machtarchitekturen“ auch aus anderen Kontexten bekannt seien und „die schiere Größe nicht als besonderes Merkmal der NS-Architektur gelten kann“ (S. 188).
Ein der Darstellung angeschlossenes Werkverzeichnis erfasst insgesamt 98 Bauprojekte zwischen 1929 und 1967 ausschließlich aus Speers Privatbüro, der Großteil davon wurde nicht realisiert. 13 Vorhaben entfallen auf die Zeit vor 1933, 20 auf die Nachkriegszeit, die verbleibenden zwei Drittel auf die Jahre des Dritten Reichs. Zu jedem Projekt nennt die Dokumentation Ort, Planungszeitpunkt und Status, dazu die wichtigsten Quellen- und Literaturnachweise ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Kurzdarstellungen der jeweils bekannten Fakten zur Baugeschichte und Planskizzen oder Fotografien runden, soweit verfügbar, die einzelnen Informationseinheiten ab. Der mit einem Personenregister versehene Anhang bietet neben dem allgemeinen Literaturverzeichnis auch eine Zusammenstellung fremdsprachiger Ausgaben von Speers „Erinnerungen“ (1969) für 18 Staaten, verzichtet auf der anderen Seite aber auf eine (sicher bedeutsamere) zusammenfassende Auflistung der relevanten, in den insgesamt 1604 Fußnoten verstreut zitierten Archivalien. Methodisch lebt die kleinere sprachliche Mängel aufweisende, funktional illustrierte Arbeit Sebastian Teschs von einer Verschränkung der Darstellung des Wirkens ihres Protagonisten als Architekt mit seiner politischen Karriere und seiner fragwürdigen Selbstdarstellung, die dank seiner „Erinnerungen“ und der „Spandauer Tagebücher“ (1975) in der deutschen Öffentlichkeit nach 1945 nicht ohne Wirkung geblieben ist. Die daraus resultierenden Thesen stellen manche etablierte Ansicht über die nationalsozialistische Architektur generell und den Stellenwert Speers für deren stilistische Prägung wieder zur Diskussion.
Kapfenberg Werner Augustinovic