Schulmeister-André, Irina, Internationale Strafgerichtsbarkeit unter sowjetischen Einfluss – Der Beitrag der UdSSR zum Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess (= Beiträge zum internationalen und europäischen Strafrecht 27). Duncker & Humblot, Berlin 2016. 580 S. Diss. jur. Marburg 2015. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Wie die Welt und der Mensch so befindet sich auch das Recht trotz einer allgemeinen Konservativität in ständigem Wandel. Mussten die Verlierer kriegerischer Auseinandersetzungen früher stets mit dem tatsächlichen Tod in der Niederlage rechnen, so droht ihnen in der Gegenwart ein rechtsstaatliches Verfahren, in dem wohl auf die Dauer die Todesstrafe keinen Platz mehr haben wird. Diese Veränderung lässt sich anschaulich an dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg an dem Ende des zweiten Weltkriegs ablesen.
Mit ihm befasst sich die von Christoph Safferling betreute, durch ein Stipendium der International Max Planck Research School for Comparative Legal History an der Universität Frankfurt am Main geförderte, in dem Wintersemester 2014/2015 an dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Marburg angenommene Dissertation der Verfasserin. Die gewichtige, eine interessante Frage überzeugend untersuchende Arbeit fand unmittelbar bei ihrem Erscheinen das besondere Interesse eines ausgewiesenen Sachkenners. Deswegen genügt an dieser Stelle der Hinweis auf wenige Grundzüge.
Gegliedert ist das weiterführende, abgewogen ermittelnde Werk nach einer Einleitung über Anlass, Zweck, Quellen und Aufbau in acht Abschnitte. Sie betreffen die juristische Bewältigung von Kriegsverbrechen als Herausforderung der sowjetischen Rechtswissenschaft der 1930er und 1940er Jahre, die Ahndung von Kriegsverbrechen als Gegenstand sowjetischer Regierungspolitik, die Entwicklung von dem 3. Mai 1945 bis zu dem 26. Juni 1945, die Ausarbeitung des Statuts für das internationale Militärtribunal in dem Zuge der Verhandlungen in London von dem 26. Juni bis zu dem 28. August 1945, den sowjetischen Beitrag zur Anklagevorbereitung, das Hauptverfahren vor dem Tribunal unter sowjetischer Mitwirkung und die sowjetische Einflussnahme auf Beratung und Urteilfindung. Im Ergebnis stellt die Verfasserin fest, dass die Sowjetunion bei der Entwicklung der Idee eines gerichtsförmigen Verfahrens gegen die nationalsozialistischen Hauptkriegsverbrecher des Deutschen Reiches wesentlichen Einfluss ausgeübt hat, dass in der Folgezeit aber die zum Teil völlig unzureichende Organisation bei der Vorbereitung des Prozesses und das konfrontative Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika den Einfluss der Sowjetunion auf die wesentlichen Ereignisse in Zusammenhang mit dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess schwinden ließ.
Innsbruck Gerhard Köbler