Reichsstadt im Religionskonflikt. Vierte Tagung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte. Mühlhausen 8. bis 10. Februar 2016, hg. v. Lau, Thomas/Wttmann, Helge (= Studien zur Reichsstadtgeschichte Band 4). Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017. 400 S., 77 Farbabb., 10 Schwarz/weiß-Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Mit der inzwischen erprobten Zuverlässigkeit legt der Mühlhäuser Arbeitskreis für Reichsstadtgeschichte seinen vierten Band, der opulent mit Abbildungen ausgestattet ist, mit den Ergebnissen der Tagung im Februar 2016 zum Abschluss der fünften Tagung vor, die sich mit den Auswirkungen des Religionskonflikts auf das Leben in den jeweiligen Reichsstädten befasste. Die 17 Beiträge der Aufsatzsammlung bringen wiederum eine breite Palette der behandelten Reichsstädte. C. Schrenk behandelt das Leben der Juden in der Reichsstadt Heilbronn. Seit dem belegten Beginn jüdischen Lebens in der Stadt (um 1050) folgen Pogrome unterschiedlicher Schwere, beginnend mit dem sogenannten ‚Rintfleischpogrom‘ (1298). Kaiserlicher Judenschutz ist seit Karl IV. nachgewiesen, ihm folgte Sigismund (1414). Beide sahen in dem Schutz eine Quelle zur Bereicherung des Reichs und auch der Fürsten. Dennoch kam es 1437/1469 zu Vertreibungen, nach denen nur zögerlich und unter demütigenden Auflagen jüdisches Leben möglich war. Mit einer Urkunde, welche die Stadt drucken ließ (1543), verhängte Kaiser Ferdinand ein Verbot von Geldgeschäften durch Juden mit Heilbronner Bürgern. Judenordnungen (1667/1737) regelten die Restriktionen im Leben in der Stadt bis zum Ende der Reichsstadt (1802/1803). A. Willershausen beschreibt religiöse und militärische Aspekte der ‚Reichsstädte der Wetterau im Zeitalter der Hussitenkriege (1419 – 1431)‘. Hierbei handelten Wetzlar, Friedberg und Gelnhausen gemeinsam im Rahmen des ‚Kreuzzuges‘ gegen die Hussiten. Als eine wichtige Quelle wird die Stadtbuchchronik J. Brells ausgewertet. Die Beteiligung der Wetterauer Reichsstädte an dem Kriegszug war nur gering. Gerade bei diesem Artikel (20 Seiten Text, 12 Seiten Anmerkungen) ist die Sorgfalt bei der Heranziehung der Quellen hervorzuheben. I. Würth schildert in ‚Reichsstadt und Häresie im Spätmittelalter‘ frühe Beispiele des Umgangs der Reichsstadt Straßburg mit einer Waldensergruppe (1400) und der Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen mit Gruppen von Geißlern (1420 und 1446). Wichtig schien es für die Reichsstädte gewesen zu sein, sich gegenüber den Nachbarn als durchsetzungsfähig zur Verteidigung des rechten Glaubens zu zeigen, während dabei eigene Bürger nicht zu hart behandelt wurden, um den Zusammenhalt in der Reichsstadt nicht zu gefährden. W. Reinhard greift in ‚Reichsstadt und Reformation‘ den Titel der wichtigen Schrift Bernd Moellers (1962, 1987 und 2011) auf, ohne auf die neue Ausgabe (2011) näher einzugehen, so dass leider nur die Ausgabe von 1987 berücksichtigt wird. Wie schon von Moeller herausgearbeitet, war die Reformation in den Reichsstädten ein Wechselspiel von Sachverhalten der Kirchengeschichte und Theologiegeschichte und der sozialen und politischen Geschichte, wie dies in Ergänzung der Forschung Moellers Kirchenhistoriker und Sozialhistoriker betont haben. W. Freitag ergänzt in ‚Autonomiestädte und Reich im Zeitalter der Reformation – das Beispiel Westfalen‘ die Beobachtungen Reinhards für die Städte Münster und Soest als Beispiele für Städte, die keine Reichsstädte waren. Bei diesen Städten waren ebenso Protestversammlungen, Schwureinigung der Bürgerschaft und Androhung von Gewalt gegen den Rat zu beobachten. Gegenüber dem Landesherrn hatte eine Stadt wie Soest eine Verhandlungsposition, die der einer Reichsstadt nicht unähnlich war. G. Chaix gibt in ‚Reichsstadt und Konfession‘ einen Überblick über das Zusammenleben der verschiedenen Konfessionen besonders in den Reichsstädten und zeigt eine Vielfalt von katholischen, evangelisch–lutherischen, oberdeutsch–zwinglianischen und reformierten Konfessionalisierungsprozessen, die auch zu einer Verdrängung einer evangelischen Konfession durch eine andere führte. Damit waren die Reichsstädte ein Abbild Europas im Kleinen. Anhand der Inschriftensammlungen in Deutschland und der Schweiz stellt K. Krüger ‚Das Bild der Toten im Religionskonflikt‘ dar. Zu seinen Beispielen, insbesondere aus dem Basler Münster, wäre zu verweisen auf den 1531 zerstörten Karg – Retabel Hans Multschers (1433) im Ulmer Münster. Die Grabinschriften bei Katholiken und Evangelischen folgten nicht selten einem Katalog ‚genehmer‘ Bibelstellen im Religionskonflikt. Ihre besondere Ausprägung zeigte sich bei der Schandsäule des Bürgermeisters Johann Kalckberner, die bis 1792 auf dem Aachener Marktplatz stand. T. T. Müllers Beitrag ‚Frühreformation und Bauernkrieg‘ vergleicht die unterschiedliche Entwicklung der Reformation in den Reichsstädten Nordhausen und Mühlhausen. Während sich Nordhausen einigermaßen geräuschlos der Reformation zuwandte, führte die Tätigkeit Heinrich Pfeiffers und Thomas Müntzers in Mühlhausen, nicht ohne Verzicht auf Gewalt, zu einer Veränderung der bestehenden Ordnung. Im Gefolge des Bauernkriegs konnte sich die Reform in Nordhausen festigen, wenn auch das katholische Reichsstift St. Crucis bis zum Ende des alten Reichs bestand. Demgegenüber verlor Mühlhausen für mehr als zwei Jahrzehnte de facto seine Reichsfreiheit und musste in dieser Zeit eine Rekatholisierung hinnehmen. M. Matthäus ‚Die Reformation in Frankfurt – zwischen Kaisertreue und Protestantismus‘ stellt besonders die Zeitumstände bis 1536, dem Jahr des Beitritts zum Schmalkaldischen Bunds, dar. Der Übergang liegender Güter als Stiftungen auf den Klerus bedeutete für das Steueraufkommen der Reichsstadt eine erhebliche Beeinträchtigung, in ähnlicher Form beeinträchtigte das zunehmende Kirchenasyl die Strafverfolgung durch den Rat. In der Folgezeit konnte sich der von Patriziern dominierte Rat nicht gegen den Klerus durchsetzen und traf zu Lasten der unteren Bevölkerungsschichten unpopuläre Maßnahmen. Der Streit um die Predigten in der Bartholomäuskirche führte zu Verwicklungen zwischen Kaiser und Rat. Als der Kaiser in diesem Zusammenhang die für die Stadt wichtigen Messen einschränkte, lenkte der Rat schnell ein, auch eine Reichsstadt war zu erpressen. T. Kirchner führt mit der Frage ‚Welchem Kaiser gehorchten die Aachener? Beziehungen zum Stadtherrn während eines reichsstädtischen Religionskonfliktes‘ zu einer Stadt, in der das Stadtregiment den Frieden zwischen Katholiken, Lutheranern und Reformierten zu wahren suchte. Durch Einwanderungen aus den Niederlanden war das Gleichgewicht zwischen den Konfessionen zulasten der Katholiken verschoben worden. Dadurch kam die Befürchtung auf, die Katholiken könnten sich, von spanischer Seite unterstützt, gegenüber dem reformiert–lutherischen Stadtregiment durchsetzen. Als 1581 eine kaiserliche Kommission den Rat anhalten wollte, die kirchlichen Verhältnisse von 1560, trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Verschiebungen, wiederherzustellen, gelang es dem protestantisch dominierten Stadtregiment den Eindruck zu erwecken, es schütze wirkungsvoll die Ruhe in der Stadt. Als ein der katholischen Opposition nahestehender Patrizier von Kaiser Rudolf II. als einem ‚schell narr‘ sprach, führte der Rat gegen ihn einen Prozess wegen Beleidigung des Kaisers, und zeigte damit, dass er die Ehre des Kaisers wahre. In die frühe Neuzeit führt C. Helbich ‚Reichsunmittelbarkeit und ius reformandi im Reichskammergerichtsprozess zwischen dem Stift und der Stadt Essen 1568–1670‘. Als der Rat 1563 den ersten evangelischen Prediger geholt hatte, erhob die Äbtissin des Reichsstifts Essen, Irmgard von Diepholz, im Jahre 1568 Klage am Reichskammergericht, da sie sich in ihren Rechten der Präsentation und Investitur und in ihren Rechten als Landesfürstin verletzt sah. Die politischen, religiösen und rechtlichen Hintergründe der Klage werden dargelegt wie auch die erhaltenen Prozessakten mit ihrem Inhalt ausführlich beschrieben werden. Der Prozess zog sich lange Zeit hin, zwischen 1623 bis 1647 ruhte er völlig, und wurde erst 1670 durch ein Urteil entschieden. Konfessionell blieb Essen eine weitgehend lutherisch dominierte Enklave innerhalb des katholischen Stiftsgebiets, die Stadt erreichte jedoch nicht ihr Ziel der Reichsfreiheit. Der Tagungsleiter, H. Wittmann, schildert die Probleme der Reichsstadt Mühlhausen um die ehemalige Klosterkirche St. Crucis am Beispiel ‚Cujus corpus in hanc incorruptus inter heterodoxos sub humo latitat Mühlhusii – der hl. Hermann als katholischer Erinnerungsort in der protestantischen Reichsstadt Mühlhausen‘. 1566 hatte die lutherische Gemeinde endgültig die Mehrheit in der Stadt erlangt und konnte damit in der Kornmarktkirche ihre jährliche Erinnerungsfeier an die ‚siegreiche‘ Reformation abhalten. Demgegenüber suchte die katholische Minderheit, unterstützt durch fuldische Franziskaner, den Begräbnisplatz des Hermannus de Gerstungen, genannt Molhusinus, für sich zu sichern. An diesem Beispiel sind die über Jahrhunderte schwelenden religiösen Konflikte in einer Stadt zu sehen. Das reichhaltige Archiv der Reichsstadt bietet für die Studie eine gute Grundlage. R. Hammel–Kiesow widmet sich in ‚Glaubenspolitik im Vergleich – Die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen in Hamburg und Lübeck im späten 16. und 17. Jahrhundert‘ den Folgen der Konfessionsspaltung, die in großer Zahl Gläubige zwang, ihre angestammte Region zu verlassen. Als einflussreiche Handelsstädte wurden die lutherisch gewordenen Städte mit dem Zuzug von Reformierten, Juden und getauften Juden aus Spanien (conversos) konfrontiert. Im Interesse der Handelsbeziehungen hatten die Städte ihre Entscheidungen jeweils an dem Einfluss auf ihre Handelsbeziehungen zu treffen. Hamburg zeigte sich den Ankömmlingen gegenüber offener als Lübeck. Der Verfasser stellt am Schluss seiner Studie fest, dass verlässliche Aussagen nicht allein auf religiöse Einflüsse zurückzuführen seien, sondern eine Vielzahl von Einflüssen wirksam wurde und schließt damit wenig befriedigend. A. Riotte beleuchtet ‚die Parität in Biberach 1649 bis 1825 – Wunschbild und Wirklichkeit‘, die das Leben in der Reichsstadt, wie auch das der Städte Augsburg, Dinkelsbühl und Ravensburg für lange Jahre prägte. Es bildeten sich politische Parallelgemeinden, in denen sich die Patrizier die einträglichsten Stellen gesichert hatten. Dazu kam, dass ein aus Zunftbürgern bestehendes demokratisches Regiment mit dem im Verhältnis 6 : 4 aristokratisch–demokratisch gemischten Regiment auszutarieren war. Diese Verhältnisse führten zu einem Verwaltungskörper, der für die Verhältnisse dieser Kleinstadt überdimensioniert war. In der Gegenwart erinnert hieran der Zustand in der bosnischen republika srpska. Die Schilderung zeigt zwar die Probleme auf, die im täglichen Zusammenleben auftraten, wenn sie auch durch die gemeinsam genutzte Simultankirche nicht erschwert wurden, jedoch wurden wenigstens gewalttätige Übergriffe vermieden. Die Phänomene der ‚Paritäten‘ und der ‚Simultaneen‘ verdienen noch intensivere Detailstudien, die Geschichte der Reichsstädte bietet genug Anschauungsmaterial. In die Schweiz führt H. Jecker mit ‚Täufertum und Pietismus als Herausforderung für Obrigkeit und Kirche in Bern 1650 – 1720‘. Der Autor erklärt zu Beginn, dass das Ausscheiden der Schweiz aus dem Reich mit dem Westfälischen Frieden zwar zum Ende der Reichsstadtzeit für Bern führte. Die dort auftretenden theologischen Probleme einer Volkskirche mit dem Pietismus und einer evangelischen Volkskirche mit dem Täufertum traten in ähnlicher Form auch in Reichsstädten auf, so dass es den ausgewiesenen Kenner der Täufergeschichte reizen musste, die Probleme auch anhand eines Beispiels zu schildern, das außerhalb des engeren Bereichs des veranstaltenden Arbeitskreises liegt. Die Reaktion der Stadtgemeinde, durch eine umfassende „Sozialdisziplinierung“, das Täufertum zu bekämpfen, führte zur Bildung neuer Gruppierungen, die sich dem Druck zu entziehen suchten. Letztlich führte die Täuferpolitik zur Formierung neuer oppositioneller Kreise und scheiterte mit dem eigentlichen Ziel. Dies Beispiel verdient die Überprüfung anhand ähnlicher Entwicklungen deutscher Reichsstädte. A. Krischer schließt den Themenreigen ab mit der Rückschau ‚Vormoderne Städte und ihre Religionskonflikte‘. Leider setzt sich der Verfasser in seinem Schlusswort, wie W. Reinhard, auch nur mit B. Moellers Schrift der Ausgabe 1987 auseinander. Das Orts- und Personenregister reizt zur Vertiefung und zur Quersuche. Zu wünschen ist, dass die Lesser–Stiftung auch in den Folgejahren solche Tagungen fördern wird.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz