Pöhlmann, Markus, Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges. Eine deutsche Geschichte 1890 bis 1945 (= Zeitalter der Weltkriege 14). Schöningh, Paderborn 2016. 604 S., Abb., Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.
Reduziert man die militärischen Charakteristika der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts auf ihren Nukleus, wird man festhalten können, dass der Erste Weltkrieg als statischer Stellungskrieg in Erinnerung geblieben ist, in dem marginale Geländegewinne unter massivstem Einsatz von Artillerie und verlustreichen Infanterieangriffen erzwungen werden mussten. Ganz im Gegensatz dazu firmiert das populäre Bild des Zweiten Weltkriegs als eines dynamischen Bewegungskrieges, in dem hochmobile Verbände unter Missachtung eigener Flankenbedrohung die gegnerischen Linien durchbrachen, die Feindkräfte in riesigen Kesseln umfassten und zerschlugen. Ermöglicht hat diese Revolutionierung der Landkriegsführung das fortentwickelte Waffensystem des Panzers als Kernelement der Waffengattung der Schnellen Truppen (ab 1. April 1943 Panzertruppen). Ob dieses Stellenwertes wenig überraschend, liegen bis heute zahllose Schriften vor, die sich in der einen oder anderen Weise mit dem Panzer beschäftigen. Allerdings mit einem Schönheitsfehler: „Das Ungleichgewicht zwischen der Masse an populärer Literatur und dem Mangel an wissenschaftlicher Fachliteratur verbunden mit der unheimlichen Wirkmächtigkeit der Erinnerungsliteratur bildet […] ein spezifisches Quellenproblem bei der Beforschung des Panzers als Waffe und als Symbol“ (S. 14). Die Frage, in welcher Weise und unter welchen Bedingungen die Entwicklung einer deutschen Panzerwaffe, wurzelnd in der im ausgehenden 19. Jahrhundert einsetzenden Motorisierung bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945, tatsächlich vonstattenging, war daher in vielen Aspekten nicht befriedigend und nicht in einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Weise geklärt worden. Markus Pöhlmann hat sich dieses Desiderats mit Sorgfalt angenommen. Wegen des ungenügenden Forschungsstandes, so betont er, müsse er sich auf die nationale Perspektive beschränken und „zunächst einmal Grundlagenforschung für den deutschen Fall leisten“ (S. 16). Im Ergebnis wurde seine von Michael Epkenhans, Johannes Hürter und Sönke Neitzel begutachtete, für die Veröffentlichung noch einmal überarbeitete Schrift im Mai 2016 von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam als Habilitation angenommen. Man kann vorwegnehmen, dass man der Arbeit den Status eines Standardwerks wird zuschreiben müssen, auf dessen Erkenntnisse zukünftige Studien zur Panzerwaffe aufbauen werden.
Der Verfasser setzt in dem von ihm untersuchten Zeitraum Zäsuren, die, meist von der allgemeinen Entwicklung vorgegeben und auf diese zurückwirkend, für den Werdegang des Waffensystems Panzer Bedeutung erlangten. Dass der Panzer in der Phase bis 1914 im kaiserlichen Heer ausblieb, sei nicht einer technikfeindlichen Haltung geschuldet gewesen, sondern einer durch „Innovationsüberlastung“ hervorgerufenen, „institutionellen Stresssituation“, in der „die Beschaffungsbürokratie auf die Vermehrung und Optimierung existierender Kriegsmittel (fokussierte) und nur eingeschränkt auf die Einführung neuartiger“. Als dann 1916 die ersten Panzer auf alliierter Seite in das Kampfgeschehen eingriffen, reagierte das deutsche Heer bis 1918 damit, „die Innovation zuerst kleinzureden, dann sie nachzubauen und sich als Beute anzueignen und schließlich gegen eine immer bedrohlicher werdende Ungleichheit auf diesem Rüstungssektor anzukämpfen“. Mit dem verlorenen Krieg und den Verbotsbestimmungen des Versailler Vertrages 1919 sei die Panzerwaffe aber „zum Symbol der deutschen Niederlage und dadurch wieder zur Projektionsfläche für Visionen von Wehrfreiheit und politisch-militärischer Revision“ geworden. Einer frühen intensiven Doktrinbildung – der theoretischen Beschäftigung mit der Frage, welchen Organisations-, Führungs- und Einsatzgrundsätzen die neu zu etablierende Waffengattung zu genügen habe – folgte schon ab 1928 der Aufbau einer Panzerwaffe durch die Reichswehr, ein Prozess der mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 weiter forciert wurde und ab 1935 in eine Hochrüstungsphase trat, sodass „die Wehrmacht 1939 den Krieg mit einer im internationalen Vergleich modernen Panzerwaffe beginnen (konnte)“. In der Folge entfaltete sich die eingangs angesprochene, für den Zweiten Weltkrieg vielfach als typisch wahrgenommene deutsche Strategie des „Blitzkrieges“, dessen operative Träger die mit Luftunterstützung rasch vorstoßenden Panzertruppen waren. Ende 1942 sei dieses Konzept aber auch schon am Ende gewesen; dank guter taktischer Führer, der kriegserfahrenen Truppe und eines Systemwandels in der Rüstung leisteten die Panzer fortan bis 1945 vorwiegend ihren Beitrag zum Hinauszögern der Niederlage. Das landläufige Bild korrigierend und ergänzend, hält der Verfasser daher fest: „Sucht man also einen militärhistorischen Standort des Waffensystems im Zweiten Weltkrieg, so sollte man den Panzer vielleicht nicht nur in seiner Rolle des Angriffs von 1939-41, sondern viel stärker als Stütze der Abwehr von 1942-45 begreifen“ (S. 518ff.).
Im Rahmen seines chronologischen Gerüsts bedient sich Markus Pöhlmann eines viergliedrigen sachthematischen Säulenmodells, anhand dessen der jeweilige Fortschritt im Entwicklungsprozess der Waffe dargestellt wird. Die erste Säule beleuchtet die Abhängigkeit waffentechnischer Innovationen vom vorherrschenden Kriegsbild, wobei es „tendenziell um Fragen von operativen und taktischen Abwägungen, von binnenmilitärischen Priorisierungskontroversen und haushalterischen Opportunitäten“ geht. Dazu tritt als zweite Säule der Komplex Forschung, Entwicklung und Rüstung. Mit dem dritten Element, der Operationsgeschichte der Panzerwaffe, rückt die Anwendung des Systems, zunächst simuliert im Zuge von Kriegsspielen und Manövern, sodann in der alltäglichen Praxis auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs, in das Blickfeld. Schließlich untersucht ein vierter Schritt die Doktrinbildung und ihre unmittelbare Umsetzung in Gefechtsvorschriften, aber auch die daraus mittelbar resultierende militärkulturelle Formung der Streitkräfte. Übergreifend sei das Bild des Panzers in der Kriegserinnerung in den Referenzraum der „gesamtgesellschaftliche(n) Kriegserfahrung“ zu stellen: „Der Panzer war in Deutschland eben nicht nur ein militärtechnisches Artefakt, sondern er erwuchs auch zu einem Symbol – zu einem Symbol für Sieg und Niederlage, für ingenieurtechnische oder industrielle Leistungsfähigkeit, für die gewaltsame Revision der politischen Verhältnisse und für eine über den militärischen Kontext hinausreichende nationale Selbstverortung in einer technischen und später auch ideologischen Moderne“ (S. 15f.). Die Studie entwirft daher auch explizit drei unterschiedliche „Bilder vom Panzer“ für den Ersten Weltkrieg, die Zwischenkriegszeit und den Zweiten Weltkrieg. Für Letzteren begleiten konkrete Fallbeispiele und allgemeine Betrachtungen die Darstellung der Operationen in Polen, Frankreich und Russland. Den maßgeblich vom Einsatz des Panzers geprägten afrikanischen Kriegsschauplatz betrachtet der Verfasser hingegen als Sonderfall und klammert ihn komplett aus seiner Arbeit aus. Im Dienst der Erfassung und Herausarbeitung des Wesentlichen stehen die nützlichen Resümees, welche die signifikanten Merkmale der jeweiligen Periodisierungsphase präzise auf den Punkt zu bringen versuchen (1890 – 1914; 1914 – 1918; 1918 – 1928; 1929 – 1935; 1936 – 1939; 1939 – 1941; 1941 – 1943; 1944/1945). Rohdaten stehen im Anhang zur Verfügung in Gestalt von vier innovativen Aufstellungen zur Fertigung (jährlich bei den Heeresabnahmestellen übernommene gepanzerte Vollkettenfahrzeuge mit Bewaffnung aus Serienproduktion: Panzerkampfwagen, 1934 – 1945; Panzerjäger und Artillerie auf Selbstfahrlafette, 1940 -1945; Sturmgeschütze und Jagdpanzer, 1940 – 1945; Gesamtfertigung nach Gruppen, 1934 – 1945), 21 Typenblättern (grafische Aufrisse der Modelle im Maßstab 1:100 und technische Daten) und neun Gliederungen der gepanzerten Truppen im Zeitraum von 1934 bis 1944 (8 Divisionsgliederungen, 1 Brigadegliederung).
Ein eigener Unterabschnitt der Arbeit (S. 491ff.) beschäftigt sich mit der Verstrickung von Panzersoldaten in Kriegsverbrechen und der Klärung der Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Spezifika der Waffengattung und solchen Rechtsverletzungen denkbar und wahrscheinlich ist. Im bewussten Kontrast zur weitgehend „von Anathema und Apologie dominiert(en) […] Erinnerungsliteratur der Panzerwaffe“ (S. 492) referiert der Verfasser Kriegsverbrechen in Polen, Frankreich, der Sowjetunion und Italien und identifiziert verschiedene Auslöser für die rechtswidrigen Akte. Während die meisten dieser Auslöser (unter anderem Unerfahrenheit, Frustration, Rassismus, schlechte Führung, verbrecherische Befehle wie der Kriegsgerichtsbarkeitserlass und der Kommissarbefehl, die Härte des Kampfes, Normverletzungen durch den Gegner, Absprachen auf höherer Ebene zwecks Unterstützung der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes) aber nicht waffengattungsspezifisch festzumachen sind, verbleibe vornehmlich als „moralische Sollbruchstelle der Panzertruppen […] der auf ihr lastende operative Druck“ (S. 494), entsprungen dem Auftrag, ohne Rücksicht auf Flankenbedrohung rasch in die Tiefe des Raums vorzustoßen, wobei Kriegsgefangene zwangsläufig hinderlich waren und im Raum befindliche Angehörige des Feindstaates immer eine potentielle Bedrohung darstellten. Traten zu diesem operativen Druck die vorher genannten universalen Auslöser, stieg die Wahrscheinlichkeit von Kriegsverbrechen, weshalb wohl im Herbst 1941 „für alle drei Führungsebenen der Panzerspitzen – Division, Korps und Panzergruppe – teilweise signifikant höhere Erschießungszahlen im Vergleich zu den nachfolgenden Infanterieverbänden vor(liegen)“ (S. 497). Die „merklich höhere Verbrechensanfälligkeit der Panzerverbände der Waffen-SS“ sei wohl ihrer intensiveren nationalsozialistischen Ideologisierung, vielleicht auch „spezifischen Korrelationen der Führung und des personellen Ersatzes“ (S. 503) zuzuschreiben, wohingegen ein klarer Zusammenhang zwischen der „Osterfahrung“ einer Truppe und Kriegsverbrechen beim Stand der Forschung nicht erwiesen sei.
Markus Pöhlmanns auf einer breiten Quellenbasis erarbeitete Geschichte der deutschen Panzerwaffe stellt insgesamt den gelungenen Versuch dar, die Entwicklung dieser Waffengattung aus einer rein militärspezifischen Betrachtungsebene herauszuheben und in einen gesamtgesellschaftlichen Wirkzusammenhang zu stellen, der militärische, geistesgeschichtliche, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Komponenten zusammenführt. In dieser Konstellation stellt sie ein zeitgemäßes Modell bereit, das für weitere Studien wegweisend sein kann. Darüber hinaus korrigiert die Arbeit auch ältere Fehleinschätzungen, die auf die unkritische Rezeption von Lobbyisten der ehemaligen Panzertruppe der Wehrmacht zurückzuführen sind: Nicht einzelnen Visionären im Kampf gegen ein widerstrebendes militärisches Establishment, wie Panzergeneral Heinz Guderian weismachen will, sei der tatkräftige Aufbau der Panzerwaffe bis Kriegsbeginn in erster Linie zu verdanken, sondern vielmehr der Tatsache, dass „Entscheidungsträger wie Beck, Halder oder auch Hitler die innovativen Konzepte prinzipiell anerkannt“ (S. 520) und nach Maßgabe der organisatorischen und budgetären Möglichkeiten in den Gesamtaufbau der Wehrmacht integriert haben. Zur Frage, inwieweit die Panzertruppe, wie oft kolportiert, personell tatsächlich als Nachfolger der Kavallerie anzusprechen ist, errechnet der Verfasser, „dass höchstens ein Viertel des Personals der Reiterregimenter bis Kriegsbeginn in Panzerregimenter wechselte“ (S. 210). Im Fall einer weiteren Auflage des Werks sollten die grammatischen Flüchtigkeitsfehler berichtigt und das „Verzeichnis der Karten und Grafiken“ (Operationspläne und die Datensammlungen des Anhangs) um eine Auflistung des weiteren Bildmaterials ergänzt werden.
Kapfenberg Werner Augustinovic