Lauterbach, Wolfgang Adam, Compendium Juris, in der Bearbeitung von Schütz, Johann Jacob, neu hg. v. Schepers, Heinrich/Herberger, Maximilian, eingeleitet v. Herberger, Maximilian. Verlag Alma Mater, Saarbrücken 2015. X, 589 S. Besprochen von Tilman Repgen.
Wolfgang Adam Lauterbach (1618-1678) zählt zu den herausragenden deutschen Rechtslehrern des 17. Jahrhunderts. Sein besonderer Ruhm beruht auf der außerordentlich erfolgreichen Publikation von Mitschriften seiner Vorlesungen in Tübingen seit 1648. Das hier neu aufgelegte Compendium juris gilt als Hauptwerk Lauterbachs, auch wenn es sich dabei „nur“ um eine Arbeit seines Schülers Johann Jakob Schütz handelt, der ein Jahr nach dem Tod Lauterbachs diesen Grundriss der Pandekten publizierte. Sofort wurde das Werk ein starker Erfolg. Bis 1736 erschienen mindestens 63 Auflagen. An fast allen deutschen Fakultäten benutzte man es als Leitfaden für den Rechtsunterricht. Es gilt als ein „Klassiker“ des Usus modernus pandectarum. Dabei geht es in diesem Werk nur um das gemeine Recht, nicht das württembergische Partikularrecht. Das ist ein wichtiger Unterschied zu dem seit 1690 von dem Sohn Wolfgang Adam Lauterbachs Ulrich Thomas Lauterbach auf der Grundlage der Aufzeichnungen seines Vaters publizierten „Collegium theoretico-practicum ad quinquaginta libros Pandectarum“, das Literatur und partikularrechtliche Rechtsprechung in reichem Maß enthielt. Wem es um ein plastisches Bild (privat-)rechtlicher Lehre im 17. Jahrhundert geht, der wird gerade auch zu dem zuletzt genannten „Collegium“ greifen.
Die Zielrichtung des „Compendium“ ist eine andere: Es ist gerade deshalb auch heute von besonderem Interesse, weil es eine damals neuartige und offenbar erfolgreiche Didaktik verwendet, die Lauterbach in seiner Vorlesung angewandt hat, um den gewaltigen Stoff der Pandekten übersichtlich zu gestalten. Hierfür sah er von einer Darstellung des Partikularrechts völlig ab. In dieser Hinsicht ist ihm später dann gerade auch Johann Gottlieb Heineccius gefolgt, der mit dieser Methode ebenfalls außerordentlich erfolgreich geworden ist – auch außerhalb Deutschlands. Klaus Luig (NDB, Bd. 13, Berlin 1982, S. 736-738) hat mit Recht den Verzicht auf die Darstellung des württembergischen Rechts in Lauterbachs „Compendium“ als eine Voraussetzung für den breiten Erfolg desselben aufgefasst. Der Erfolg lag wohl – auch das hat Luig betont – daran, dass das „Compendium“ als Nachschlagewerk in besonderer Weise geeignet war. Begleitet von einer erläuternden Vorlesung bot diese Darstellungsmethode gegenüber der zu Wiederholungen neigenden älteren Art der Kommentierung, die auch ungleich umfangreicher war, einen gewissen Vorteil für die Stoffbeherrschung, die Savigny später freilich dem ganzen Usus modernus pandectarum absprechen sollte (vgl. Der Beruf, 1814, S. 112).
Es war Justus Henning Böhmer (1674-1749), der später zu einer Darstellung nach den Voraussetzungen des Tatbestands einer jeden Norm wechselte und damit eine moderne Methode entwickelte. Lauterbach übernahm vielleicht von Matthäus Wesenbeck (1531-1586) die Idee, die „Methode des einfachen Themas“ zu verwenden (dazu Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, 2. Aufl. 2012, S. 92-94). Es ging dabei darum, innerhalb der Legalordnung entlang der Gesetzestitel (paratitla) nach bestimmten Topoi wie Begriff, differentia specifica, species, causa, interpretatio, contraria usw. zu suchen. Es sollte so ein möglichst einfacher Weg zur Auffindung der relevanten Rechtssätze gefunden werden. Die Aufgabe bestand darin, „den Ort (topos, locus) zu finden, wo [das Wissen] ‚in seiner Zelle‘ abgelegt ist“ (Schröder, l. c., S.95). Es ging also vor allen Dingen um eine Ordnung von Begriffen und Grundsätzen.
Diese Methode hat Schütz in der Ausgabe von Lauterbachs „Compendium“ in anschaulicher Weise graphisch umgesetzt, indem er auf den Seitenrändern mittels Marginalnoten die logische Struktur des Textes kenntlich gemacht hat. Herberger erläutert das in seiner Einleitung zum Neudruck S. III-IV. Dabei geht es um zwei verschiedene Systeme:
1. Auf dem jeweils inneren Rand werden die connexionis rationes und divisionis membra mitgeteilt. Es geht also um die begriffliche Einteilung der Gedanken. Innerhalb eines jeden Titels beginnt die alphabetische Zählung der Leitbegriffe mit einem Großbuchstaben, auf den im Text mit einem Sternchen hingewiesen wird. Die begriffliche Untergliederung wird mit entsprechenden Kleinbuchstaben gekennzeichnet, denen zunächst zwei Kommata folgen. Ist der Gedanke abgeschlossen, folgt statt der Kommata ein Punkt. Da die begrifflichen Erläuterungen verschränkte Gedankengänge erfordern, entsteht eine äußerliche Struktur sich kreuzender und überlagernder Bezüge. Mit Hilfe der Notierung am inneren Rand kann man also schnell zu einem Begriff Zusammengehöriges aus dem übergeordneten Gedankengang der Erläuterung eines Digestentitels herausgreifen.
2. Auf dem jeweils äußeren Rand werden hingegen mit einem Buchstabensystem insgesamt 24 Argumente oder Argumentationsfiguren kenntlich gemacht. Es geht hierbei also nicht um eine Struktur der Darstellung, sondern um eine inhaltliche Qualität der jeweiligen Aussagen. Diese Notationen setzen somit die oben erwähnte „Methode des einfachen Themas“ um. Eine Übersicht enthält S. iv der Einleitung zum Neudruck.
So findet der Leser beispielsweise zum Titel De probationibus et praesumptionibus (D. 22.3) zunächst eine Definition (D) des Beweises, der in zwei Erscheinungsformen unterteilt (†) wird: artificialis und inartificialis. Ersterer ist ein indirekter Beweis, der andere klärt die Frage unmittelbar. Als causa efficiens (C) für den Beweis nennt Lauterbach das „Recht“ (jus), abgeleitet aus mehreren Codex-Fragmenten. Subjekt (S) des Beweises ist die Überzeugung des Richters. Gegenstand (O) des Beweises ist die Tatsache.
Geht man auf diese Weise durch die Digestenvorlesung Lauterbachs, so zeigt sich tatsächlich ein großer Mehrwert, der aus dieser Darstellungsform resultiert. Die äußerst knappe Ausdrucksweise der Mitschrift wird durch die Notationen klar und systematisch. Und so verwundert es nicht, dass Gottfried Wilhelm Leibniz das „Compendium“ von Lauterbach bei seinen Arbeiten an einer Systematisierung des römischen Rechts verwendet hat, wie sein erhaltenes Arbeitsexemplar zeigt (vgl. S. IV der Einleitung zum Neudruck). In diesem Umstand dürfte wohl auch die causa efficiens für den Neudruck von Lauterbachs „Compendium“ zu sehen sein, für den die Herausgeber nicht etwa ein Faksimile geschaffen haben, sondern eine echte Neuausgabe. Der Leibnizspezialist Heinrich Schepers hat diese Edition vorbereitet. Sie wird, wenn die Publikation der Anmerkungen von Leibniz zu Lauterbachs „Compendium“ realisiert wird, als wertvolle Referenz dienen, ist aber auch schon jetzt für alle die, die sich mit dem Usus modernus pandectarum beschäftigen, ein nützliches Arbeitsmittel.
Hamburg Tilman Repgen