Haas, Sebastian, Die preußischen Jahrbücher zwischen neuer Ära und Reichsgründung (1858-1871). Programm und Inhalt, Autoren und Wirkung einer Zeitschrift im deutschen Liberalismus (= Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 47). Duncker & Humblot, Berlin 2017. 535 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die preußischen Jahrbücher, die von 1858 bis 1935 erschienen, waren zunächst eine politische Zeitschrift, die von preußischen Altliberalen und Vertretern der Casino-Fraktion des Frankfurter Parlaments 1857 begründet wurde. Ihr „beherrschendes Ziel“ war ein „deutscher Nationalstaat“, „der auf vier Grundprinzipien aufbaute: Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten, Sicherung des parlamentarischen Systems, verantwortungsvoll agierende Regierende und politisch gebildete Bürger“ (S. 427). In seinem Werk untersucht Haas die „Berichterstattung und Kommentierung“ der Zeit zwischen 1858 (Neue Ära in Preußen) und der Reichsgründung (1871). Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen die Themen, mit denen sich die preußischen Jahrbücher befassten. In diesem Zusammenhang analysiert Haas anhand der Korrespondenz der Herausgeber und Autoren, wie diese das politische Geschehen interpretierten und inwieweit ihre Kontakte „zur Staatsführung über ein kritisch-distanziertes Maß hinausgingen“ (S. 22). Ferner geht es um die Rolle der preußischen Jahrbücher und Altliberalen „innerhalb der liberalen Nationalbewegung“ (S. 23). Schwerpunkt der Untersuchungen sind die einzelnen Beiträge in den preußischen Jahrbüchern, die monatlich erschienen und bis Ende 1862 anonym blieben (S. 52f.). Erst ein Register von Ende 1870 benannte etwa die Hälfte der Autoren von 1858 bis 1862. Die höchste Auflage erlangten die Jahrbücher 1875/1876 mit 1700 verkauften Exemplaren (S. 25). Herausgeber der preußischen Jahrbücher war zunächst Rudolf Haym (1821-1901), der nach dem Scheitern seiner Habilitation 1845 erst 1868 eine ordentliche Professur in Halle für deutsche Literatur erlangte (S. 43ff.; S. 60ff. zu Heyms Mitarbeitern und seiner Redaktionsführung). 1863 übernahm der Publizist und späteres Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstags Wilhelm Wehrenpfennig (1829-1900) die Redaktion der preußischen Jahrbücher, die er sich mit Treitschke ab 1866 teilte. Die Jahrbücher waren hauptsächlich verbreitet im liberalen, national eingestellten Bürgertum.

 

Nach dem Abschnitt B über den „Hintergrund“ der preußischen Jahrbücher (S. 28-75) analysiert Haas die Inhalte der Jahrbücher vor und in der Neuen Ära (1858-1862; S. 76-183) und in Abschnitt D die preußischen Jahrbücher „in konfliktreichen Zeiten“ (1862-1866; S. 184-294). Nach dem kürzeren Abschnitt E: „Die preußischen Jahrbücher im Umbruch“ (S. 293-328) folgt der Abschnitt F. über Preußen und die Jahrbücher in der Konsolidierungsphase des Norddeutschen Bundes und während des Krieges 1870/1871 sowie der Reichsgründung (S. 329-414). Den Abschluss des Werkes bildet neben einem „Fazit und Ausblick“ noch ein Abschnitt über die Stellung der Jahrbücher im ersten Jahr der Reichsgründung. Außerordentlich hilfreich und informativ ist das Artikelverzeichnis der preußischen Jahrbücher von 1848-1871 (S. 440-489; 216 Autoren aus Wissenschaft und Politik, S. 60). Neben einem Personenverzeichnis bringt Haas noch ein Sachverzeichnis (S. 533-535), das wohl erheblich ausführlicher hätte sein sollen. Die preußischen Jahrbücher waren kleindeutsch ausgerichtet und, obwohl sie Bismarcks Einigungspolitik begrüßten, nicht an eine bestimmte Parteirichtung gebunden. Insgesamt kommentierten sie in der Zeit bis 1871 die preußische Politik „glaubwürdig“ (S. 434). Sie waren das „ ‚Zentralorgan der ernstlich Gebildeten und politisch Verständigen‘ also der national gesinnten, historisch interessierten, verfassungstreuen und zumeist protestantischen Liberalen in Preußen und auch in den übrigen deutschen Staaten“ (S. 434 unter Benutzung eines Zitats aus einem Schreiben von Baumgarten an Treitschke vom 13. 11. 1867).

 

Die preußischen Jahrbücher sind auch für den Rechtshistoriker von großem Interesse, da sie zahlreiche Aufsätze zu Fragen des Staatsrechts, Verfassungsrechts, des Zivilrechts und Strafrechts sowie des Prozessrechts enthalten. Von den staats- und verfassungsrechtlichen Beiträgen abgesehen hat Haas die übrigen rechtspolitisch ausgerichteten Beiträge nur am Rande behandelt. Hingewiesen sei auf folgende Beiträge, die noch einer genaueren Analyse bedürften, über das preußische Recht und das Rechtsstudium von Levin Goldschmidt (1859), über das Institut der Staatsanwaltschaft (1859), über die Justizreformen Friedrich des Großen (1860), über die Reform des Zivilprozesses (1867) und den Entwurf einer Zivilprozessordnung (drei Beiträge), über die obligatorische Zivilehe (1871), zur Reichstagskompetenz (Otto Bähr, 1871), über die Gewerbe- und Verehelichungsfreiheit und die Zivilgesetzgebung des Norddeutschen Bundes (Karl Braun, 1868, 1869) sowie über das Strafgesetzbuch von 1870. Auch wenn sich die Untersuchungen von Haas nicht direkt an die Rechtshistoriker wendet, so ist dieses Werk insgesamt auch für den Rechtshistoriker von Wichtigkeit, das diesem die jeweiligen Publikationsstrategien der Herausgeber der preußischen Jahrbücher und die allgemeinen politischen Zusammenhänge erschließt, die für die einzelnen Beiträge maßgebend waren.

 

Kiel

Werner Schubert