Die mittelalterliche Thronfolge im europäischen Vergleich, hg. v. Becher, Matthias (= Vorträge und Forschungen 84). Thorbecke, Ostfildern 2017. 483 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
In dem von Altertum und Neuzeit eingerahmten mittleren Zeitalter der europäischen Geschichte überwog der Gedanke der Monarchie die Vorstellungen von Demokratie und Republik noch so sehr, dass die meisten politischen Gemeinschaften von Monarchen bestimmt wurden. Nach dem kurzen Vorwort des Herausgebers des vorliegenden stattlichen Bandes hat sich der geschichtswissenschaftliche Blick auf das Mittelalter in den letzten Jahren insgesamt gewandelt. Dies ermöglicht einen neuen Zugriff auf „alte“ Themen, weshalb auf der Tagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte von dem 24. bis zu dem 27. September 2013 mit der Thronfolge erneut eine grundsätzliche und vieldiskutierte Thematik auf dem Programm stand, die vor dem Hintergrund der neuesten Tendenzen der Forschung erörtert und beleuchtet werden konnte.
Der daraus erwachsene Tagungsband umfasst zusammen mit einem ergänzenden Beitrag Rudolf Schieffers über die Ausbreitung der Königssalbung im hochmittelalterlichen Europa insgesamt 13 Studien, an deren Spitze einführende Gedanken des Herausgebers zur Gesamtthematik stehen. Danach beginnt Ralph-Johannes Lilie mit der Sicherung der Herrschaftsnachfolge in Byzanz zwischen Erbkaisertum und Wahlmonarchie. Eine in der Folge naheliegende Untersuchung über Russland ließ sich leider nicht verwirklichen.
In der Folge erörtert Brigitte Kasten testamentarische Regelungen zur Integration der Königssöhne in die Familienherrschaft, während Steffen Patzold an Hand eines wenig beachteten Textes des 11. Jahrhunderts die Vorbereitung auf einen Thronwechsel behandelt und Michaela Muylkens die rivalisierende Königsherrschaft als Form der Herrschaftsnachfolge betrachtet. Alheydis Plassmann untersucht die Herrschaftsnachfolge in England zwischen Erbschaft, Wahl und Aneignung zwischen 1066 und 1216, Klaus Herbers die Herrschaftsnachfolge auf der iberischen Halbinsel und Martin Kintzinger vergleicht die Regelungen der Nachfolge auf dem Königsthron in Frankreich und im Deutschen Reich. Auf die Frage dynastischer Kontinuität in dem Wahlreich der Kurfürsten im Spätmittelalter legt Andreas Büttner besonderes Gewicht, auf die römisch-deutsche Königin im spätmittelalterlichen Verfassungswandel Stefanie Dick.
Abschließend prüft Franz-Reiner Erkens Thronfolge und Herrschersakralität in England, Frankreich und dem deutschen Reich unter Aspekten einer Korrelation und nimmt Florian Hartmann die Thronfolgen im Mittelalter zwischen Erbe und Wahl, zwischen Legitimität und Usurpation, zwischen Kontingenz und (konstruierter) Kontinuität in den Blick, wobei sich neben manchen Regelmäßigkeiten auch viele Zufälligkeiten sowie ambivalente, oft paradoxe Befunde zeigen. Ein Personen- und Ortsregister von Aachen bis Zwentibold bzw. Zwettl schließt die vielfältigen detaillierten Erkenntnisse auf. Möge damit eine anregende Grundlage für weitere Forschungen gelegt sein.
Innsbruck Gerhard Köbler